Istha, Halle an der Saale und Hanau. Das sind die drei Orte in Deutschland, an denen zuletzt Menschen durch rechte Gewalt ums Leben kamen. Das waren drei rechtsextreme Anschläge in gerade einmal neun Monaten. Weitere neun Monate später folgt nun die Reaktion der Bundesregierung. Mit einem 1 Mrd. Euro schweren Maßnahmenpaket will sie Rechtsextremismus und Rassismus in Deutschland bekämpfen.
Insgesamt umfasst der Maßnahmenkatalog des Kabinettsausschusses gegen Rechtsextremismus und Rassismus 89 Maßnahmen. Dabei geht es um vier Hauptziele: Die Maßnahmen sollen das Bewusstsein für Rassismus und die Prävention vor Rechtsextremismus stärken, die Unterstützung von Betroffenen verbessern und für Chancengleichheit unabhängig von der Herkunft sorgen.
Einzelne Maßnahmen, die geplant sind, sind zum Beispiel die Abschaffung des Begriffs “Rasse” im Grundgesetz, die längerfristige Förderung von Projekten gegen Rassismus und eine Studie zum Thema Alltagsrassismus in der Gesellschaft. Prof. Dr. Dierck Borstel, Politikwissenschaftler der FH Dortmund, forscht zum Thema Rechtsextremismus. Er findet es „sehr positiv, dass die Bundesregierung ein so umfassendes Paket erarbeitet hat und vorlegt.“ Borstel gefällt besonders, dass die Maßnahmen die Opferperspektive berücksichtigen.
Rassismus gehört für Veye Tatah zum Alltag
Ähnlich sieht das auch Veye Tatah. Sie ist Gründerin des Dortmunder Vereins Africa Positive, kommt aus Kamerun und studierte an der TU Dortmund Ingenieur-Informatik. Sie hält feste Anlaufstellen für Opfer von Rassismus für sinnvoll. Außerdem müsse es Gesetze geben, die Rassismus hart ahnden. “Guter Wille allein reicht nicht”, meint Tatah. Alles in allem findet sie die vorgeschlagenen Maßnahmen sinnvoll.
Tatah findet aber, dass sich über neue Gesetze hinaus auch gesellschaftlich etwas tun müsse. Gerade den Alltagsrassismus könne man oft nicht mit Gesetzen bekämpfen. An alltägliche Diskriminierungen habe sie sich mittlerweile gewöhnt, sagt Tatah. Zum Beispiel, wenn sich Menschen in der U-Bahn aufstehen und weggehen, wenn sie sich neben sie setzt oder der Supermarktkassierer alle nett grüßt – außer sie.
Fehlt ein tieferes Verständnis für den Rassismus?
Auch Borstel sieht bei den vorgestellten Gesetzen Grenzen. Mit Kritik solle man sich zwar noch zurückhalten, da man die Maßnahmen noch nicht bewerten könne, Borstel mahnt dennoch: “was zu fehlen scheint, ist ein tieferes Verständnis zu den Ursachen von Rassismus”. In einigen ländlichen Regionen in Ostdeutschland zum Beispiel hätten die Menschen nach der Wende das Gefühl gehabt, dass sich niemand für sie interessiert.
Das wurde von Rechtsextremen ausgenutzt, so Börstel. Er meint: „Dort hilft es auch nicht, wenn noch ein Präventionsbus kommt, Grundgesetze verteilt werden und erzählt wird, was wir für ein tolles Parlament haben. Die Probleme sind komplexer und schwieriger.“ Stattdessen müsse man diese Regionen stabilisieren und dem Rechtsextremismus so die Wurzel ziehen.
Rassismus wird immer existieren
“Rassismus wird immer existieren”, ist Tatah überzeugt. Doch man könne ihn bekämpfen in dem man “Begegnungspunkte zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten schafft”. Hier müsse auch die Politik für mehr Berührungspunkte zwischen den Kulturen sorgen. Tatah kritisiert außerdem das Bild, dass von manchen Medien über Menschen mit Migrationshintergrund verbreitet wird und wünscht sich “mehr positive Akteure” mit Migrationshintergrund.
Langfristige Förderung für Ausstiegshilfen
Künftig sollen die Landesregierungen Projekte, die etwa präventiv gegen Rassismus arbeiten oder Aussteigern helfen, langfristig gefördert werden. Bisher mussten solche Projekte oftmals jährlich Anträge stellen, um weiterarbeiten zu können, konnten also nicht länger als ein Jahr planen. Borstel findet das “absurd” und lobt die Bereitschaft zur langfristigen Förderung: “Die Angebote müssen dauerhaft sein. Der endgültige Ausstieg aus der rechten Szene ist nicht mit dem Ausstieg aus einer Gruppierung erledigt.”
Das sieht auch die Ausstiegsberaterin Petra Franetzki so. “Wir müssen die Biografien der Aussteiger aufarbeiten und begleiten sie im Schnitt drei Jahre”, sagt Franetzki, die bei der Ausstiegsberatung NinA NRW arbeitet. Seit NinA NRW vor elf Jahren gegründet wurde, habe die Beratung in jedem Jahr einen neuen Antrag auf Fortsetzung der Förderung stellen müssen. Die Unsicherheit, die bisher herrscht sei nicht nur für sie als Ausstiegsberaterin schlecht, sondern auch für die Aussteiger selbst.
Kritik an der Studie zum Alltagsrassismus in der Gesellschaft
Einen Kompromiss ist der Kabinettsausschuss bei der Untersuchung von strukturellem Rassismus in der Polizei eingegangen. Bundesinnenminister Seehofer hatte eine Studie zum Thema Rassismus in der Polizei abgelehnt. Stattdessen gibt es jetzt eine Studie zu Alltagsrassismus in der Gesellschaft. “Man hätte schon auch einzelne Institutionen wie die Polizei oder die Bundeswehr untersuchen können”, findet Franetzki.
Wer früher vielleicht noch eine Reichskriegsflagge im Spind hatte, hängt sie heute ans Fenster
Seit 2009 arbeitet sie als Ausstiegsberaterin und hat das Gefühl, dass rechte Tendenzen in der Gesellschaft seither zugenommen haben oder zumindest deutlicher sichtbar sind. “Alles ist sagbar geworden. Wer früher vielleicht noch eine Reichskriegsflagge im Spind hatte, hängt sie heute ans Fenster.” Dass jetzt auch die Politik auf diese Entwicklung reagiert, findet sie dementsprechend richtig: “Gut, dass sich damit beschäftigt wird.”
Beitragsbild: Gerd Altmann via pixaby