Kostenpflichtige Corona-Tests: Ein weiterer Fehler in einer chaotischen Pandemie-Politik

Ab Juli werden Corona-Schnelltests für die meisten Menschen in Deutschland 3 Euro kosten. Das hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Freitag (24.06.) angekündigt. Vor dem Hintergrund steigender Infektionszahlen und sinkender Kaufkraft ist das eine Einsparung an der falschen Stelle, findet unsere Autorin. 

Die Sommerwelle ist in vollem Gange. Am Dienstag (28.06.) meldet das Robert-Koch-Institut (RKI) eine Inzidenz von 635,8. Vor einer Woche lag sie noch bei 458,5. Da sich bei weitem nicht mehr alle mit positivem Schnell- oder Selbsttest auch einem PCR-Test unterziehen, wird die Dunkelziffer noch höher sein. Mittlerweile ist die hochansteckende BA.5-Omikronvariante hierzulande vorherrschend. “Wir sehen tatsächlich schon wieder einen exponentiellen Anstieg der Fallzahlen”, warnte Virologe Christian Drosten am Donnerstag in einem Interview gegenüber dem Spiegel. “Die BA.5-Variante ist einfach sehr übertragbar und die Menschen verlieren gleichzeitig ihren Übertragungsschutz aus der letzten Impfung.” Und in genau dieser Lage werden kostenlose Bürgertests erst einmal abgeschafft. Welche Ironie.

Natürlich ist mittlerweile bekannt, dass die Inzidenz allein wenig Auskunft über die tatsächliche Dramatik der Pandemielage gibt. Ein Blick auf die Belegung der Betten auf den Intensivstationen zeigt: Aktuell gibt es noch keinen Grund zur Sorge. Doch wie schnell sich das ändern kann, haben wir aus zweieinhalb Jahren Pandemie gelernt. Oder sollten wir zumindest. Man sehe in anderen Ländern, dass mit höheren Fallzahlen auch die Hospitalisierungs- und Todeszahlen wieder ansteigen. “Das wird auch bei uns leider so sein”, gab Drosten zu bedenken. Am 1. Juni waren laut DIVI-Intensivregister 671 Covid-19-Patient*innen auf der Intensivstation in Behandlung, einen Monat später sind es schon 934.

Einsparungen und Investitionen an den falschen Stellen

Das Problem: Kostenpflichtige Tests – auch wenn diese nur 3 Euro kosten – führen dazu, dass sich weniger Menschen testen lassen werden. Das betrifft insbesondere Studierende, Auszubildende und Beschäftigte mit niedrigen Löhnen. Die jetzt schon vorhandene Dunkelziffer der Corona-Infektionen wird also in den nächsten Monaten voraussichtlich deutlich ansteigen. Die Lage wird immer unüberschaubarer – und schwups, ist der Herbst da und das Pandemie-Chaos wieder perfekt.

Lauterbach gab sich die letzten Tage reumütig. Er würde ja gerne weiter kostenlose Tests für alle anbieten. Das sei vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage aber eben nicht möglich.

Natürlich ist es nicht aus der Luft gegriffen, dass der Bund viel Geld in die Hand nehmen muss, um die Konsequenzen der Inflation sowie der Energieversorgungslage abzufedern. Neben der Diskussion um den Tankrabatt stehen jetzt auch Einmalzahlungen zur Entlastung der Bürger im Raum. Doch werden Studierende, die sich gerade so noch ihre Lebensmitteleinkäufe leisten können, noch regelmäßig 3 Euro für Corona-Schnelltests zahlen? Wohl kaum. Weiterhin die gesamten Schnelltests zu übernehmen, wäre also gerade vor dem Hintergrund der Inflation ein wichtiges Signal: Es kommen nicht noch zusätzliche Kosten auf euch zu, um eure Gesundheit zu schützen.

Es stellt sich auch die Frage, ob die Haushaltslage ohne das Neun-Euro-Ticket nicht wesentlich entspannter wäre. Wie bereits der erste Monat mit dem Angebot zeigt, hat die Einführung vor allem für Chaos und Unmut unter Reisenden wie Beschäftigten der Deutschen Bahn gesorgt. Es war keine Überraschung, dass die Zustände der Bahn nicht auf eine solche Kapazitätssteigerung vorbereitet sind. Dieses Geld hätte man also sinnvoller nutzen können. Zum Schutz der Bevölkerung vor der BA.5-Variante, die sich durch die extrem vollen Züge noch deutlich schneller verbreiten konnte. “Die haben das 9-Euro-Ticket deshalb so günstig gemacht, damit man sich die 3-Euro-Coronatests wieder leisten kann”, schreibt ein User sarkastisch auf Twitter.

Der Bund wälzt mit seiner Entscheidung einfach die Verantwortung auf die Bundesländer ab. Die meisten haben aber jetzt schon kapituliert und werden die drei Euro pro Test nicht übernehmen. “Die Ausgestaltung der Testverordnung ist Aufgabe des Bundes. Die Länder hatten deutlich gemacht, dass sie die Kosten für die Bürgertests nicht übernehmen können”, so Sachsen-Anhalts Gesundheitsministerin Petra Grimm-Bene von der SPD.

Besonders gefährdete Gruppen schützen

Zwar scheint mit gefallener Maskenpflicht, Neun-Euro-Ticket und Feriengefühl die Unbeschwertheit in der Gesellschaft ein Stück weit zurückgekehrt zu sein. Zustimmung für strengere Maßnahmen ab Herbst gibt es dennoch schon jetzt, wie der ARD-Deutschlandtrend vom 24. Juni zeigt. Ohne niedrigschwellige Testmöglichkeiten ist die Pandemielage und somit die Angemessenheit bestimmter Maßnahmen aber zunehmend schwer einzuschätzen. Wieder fischt die Politik im Trüben. Das kann schnell zu über- oder untertriebenen Schritten führen.

Kurz vor dem Besuch der Großeltern oder chronisch kranken Freunde noch schnell ins Testzentrum fahren? Ab Juli nicht mehr für alle selbstverständlich. Besonders problematisch werden die kostenpflichtigen Corona-Schnelltests für Angehörige in Pflegeheimen und Krankenhäusern werden. Immerhin: Für vulnerable Gruppen und für solche, die z. B. Verwandte in Krankenhäusern und Pflegeheimen besuchen, bleiben die Tests kostenlos. Alles andere wäre aber auch untragbar. Spätestens ab Oktober sollten Tests für alle wieder kostenlos sein. Das fordert auch der Deutsche Städtetag: “Das Infektionsgeschehen lässt sich mit weniger Tests schlechter einschätzen als bisher”, sagte Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Städtetages, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Das Ziel muss also sein: schnellstmöglich zurück zu kostenlosen Tests. Denn nur so können die richtigen Entscheidungen für den nächsten Pandemie-Winter getroffen werden.

Beitragsbild: Maskmedicare Shop via Unsplash

Ein Beitrag von
Mehr von Leonie Ndoukoun
„Die Nordstadt ist einfach IN geworden“ – Wie sich ein Stadtteil wandelt
Eine junge Café-Inhaberin, ein alteingesessener Verein und die Stadt Dortmund wollen die...
Mehr
Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert