Atomkraft, ja bitte?

Zehn Jahre nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima steht im kommenden Jahr die endgültige Abschaltung der deutschen Atomkraftwerke an. Doch es gibt Stimmen, die an der Kernenergie festhalten wollen. Ihr Hauptargument: Klimaschutz. Aber passen Klimaschutz und Atomkraft tatsächlich zusammen?

Vor gut zehn Jahren, im März 2011, erschütterten Nachrichten aus Japan die Welt: Im Kernkraftwerk Fukushima war es nach einem Tsunami zu drei Kernschmelzen gekommen. Dabei wurden große Mengen an radioaktiven Substanzen freigesetzt. Meer, Grundwasser und Böden wurden kontaminiert.

Diese Katastrophe ließ viele Staaten ihre Atomprogramme überdenken. Mehrere Länder, etwa die Schweiz und Italien, beschlossen den Atomausstieg. Deutschland folgte einige Monate später, im Juni 2011. Bis Ende 2022 sollen alle deutschen Kernkraftwerke abgeschaltet werden. Es gibt aber auch Stimmen, die den Atomausstieg für einen Fehler halten. Ihr stärkstes Argument: Klimaschutz.

Weniger CO2-Emissionen als Kohle

Rainer Klute, Vorsitzender des Vereins „Nuklearia“, ist einer dieser Befürworter. Er und die rund 320 Mitglieder seines Vereins setzen sich für den Erhalt bestehender Atomkraftwerke und damit für den Ausstieg aus dem Atomausstieg ein. Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima hatte Klute begonnen, sich mit Kernenergie zu beschäftigen. „Deutsche Medien haben damals nicht korrekt über die Ereignisse berichtet, sondern vor allem mit der Angst vor der Kernenergie gespielt, zum Beispiel mit Überschriften wie ‚Atom-Horror‘. Deswegen werden Strahlungsfolgen in der Öffentlichkeit auch heute noch massiv überschätzt“, sagt er.

Rainer Klute, Nuklearia e.V. Foto: Privat

Dabei werde häufig vergessen, dass die Kernenergie zu den Energiequellen mit den geringsten CO2-Emissionen gehört, so Klute. Sie könne dabei helfen, CO2-Emissionen zu senken. Er verweist auf China. Um bis 2060 CO2-neutral zu werden, baut das Land zur Zeit neue Atomreaktoren. Rund 20 Prozent der benötigten Energie solle bis 2060 aus Atomkraft erzeugt werden.

Tatsächlich wird bei der Energieerzeugung aus Atomkraft deutlich weniger CO2 als etwa bei der Kohleverstromung emittiert. Nach Berechnungen des Weltklimarats IPCC liegen die CO2-Emissionen für eine Kilowattstunde Atomstrom über den gesamten Lebenszyklus, das heißt vom Uranabbau bis zum Rückbau des Kraftwerks nach der Nutzung im Bereich von 3,7 bis 110 Gramm. Zum Vergleich: Kohlestrom verursacht über den gesamten Lebenszyklus CO2-Emissionen von etwa 1000 Gramm pro Kilowattstunde.

Alte Kraftwerke müssten erneuert werden

Die sechs Atomkraftwerke, die in Deutschland aktuell noch 12,5 Prozent des Stromes erzeugen, bezeichnet Klute als „laufende Klimaschützer“ und fordert ihren Weiterbetrieb. Das wäre aber nicht ohne Weiteres möglich. Alle sechs wurden in den 1980er-Jahren gebaut und werden in den nächsten Jahren ihr ursprünglich geplantes Laufzeitende erreichen. Dr. Nico Bauer, Forscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), sagt: „Würde man den Atomausstieg rückgängig machen, müsste man die alten Kraftwerke alle erneuern. Das wäre sehr teuer und zeitaufwendig und würde zu erneuten Investitionsunsicherheiten führen.“

Auch China, ein Vorbild für viele Kernenergie-Befürworter, setzt nicht ausschließlich auf Atomkraft. Zwar ist die Kernenergie ein Teil des chinesischen Plans, bis 2060 klimaneutral zu werden. Allerdings sieht der Plan auch den  Ausbau von erneuerbaren Energien vor. Diese sollen künftig deutlich mehr Strom produzieren als Atomkraft und bis 2030 bereits 25 Prozent des chinesischen Strombedarfs decken.

Klute befürwortet den langfristigen Ausbau der Erneuerbaren ebenfalls. Doch eine zuverlässige, CO2-arme und bezahlbare Stromversorgung sei allein mit erneuerbaren Energien in absehbarer Zeit nicht möglich. „Sonne und Wind stehen nicht immer zur Verfügung, sie sind nicht zuverlässig. Und für die Strommengen, die wir bräuchten, gibt es keine ausreichenden Speicher“, sagt der Vereinsvorsitzende. Daher sei Kernenergie notwendig, um die Volatilität der Stromerzeugung aus Wind und Sonne auszugleichen. Alternative Energieträger wie Erdgas würden wie Kohlestrom Treibhausgase freisetzen und seien daher ungeeignet.

Kann Erdgas die Kohle ersetzen?

Dr. Nico Bauer, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Foto: PIK/Benjamin Kriemann

Atomstrom kommt für Bauer aufgrund des hohen Aufwandes auf für diese Aufgabe nicht infrage. „Während der Bau eines neuen Kernkraftwerkes von der Planung bis zur Fertigstellung etwa zehn Jahre dauert, können Solarpanels innerhalb weniger Monate aufgebaut werden“, sagt er. In den vergangenen zehn Jahren habe sich die weltweite Stromerzeugungskapazität aus Wind und Sonne verfünffacht. „Der Anteil [am Energiemix Anm. d. Red] der Erneuerbaren steigt, weil die Investitionskosten rasant sinken“, so Bauer. Der Ausbau erneuerbarer Energien sei auch insgesamt deutlich flexibler, schneller und günstiger – daher ist der Forscher optimistisch, dass die Erneuerbaren in Zukunft einen Großteil des Stroms produzieren werden. Für den Rest bevorzugt er Gaskraftwerke. Dieser Strommix aus erneuerbaren Energien und Erdgas sei wirtschaftlich kompetitiv.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien
Staaten weltweit fördern den Ausbau erneuerbarer Energien. Laut dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) betrug 2020 der Anteil der erneuerbaren Energien an der Nettostromerzeugung in Deutschland etwa 50,5 Prozent.

Die Internationale Energieagentur (IEA) prognostiziert in ihrem „World Energy Outlook 2020“, das erneuerbare Energien in den kommenden zwei Jahrzehnten 90 Prozent des Wachstums der globalen Stromnachfrage decken könnten. Der Anteil erneuerbarer Energien an der weltweiten Stromversorgung könnte demnach im Jahr 2030 auf 60 Prozent steigen, während die Kernenergie dann nur etwas mehr als 10 Prozent erzeugen würde. 

Die Verstromung von Erdgas verursacht allerdings auch bedeutende Treibhausgas-Emissionen. Methan, der Hauptbestandteil von Erdgas, ist laut Umweltbundesamt ein rund 25-mal stärkeres Treibhausgas als CO2. Je nach Art des Kraftwerks und der Förderung liegen die Emissionen durch Erdgas zwischen etwa 400 und etwa 700 Gramm CO2-Äquivalent pro Kilowattstunde und damit zwischen den Werten von Kohle- und Atomstrom.

Endlager für Atommüll fehlt

Ein anderes Problem eines langfristigen Ausstiegs aus dem Ausstieg: Der Atommüll. Denn für das hochradioaktive Material aus den Kraftwerken gibt es immer noch kein Endlager. Die Problematisierung des Atommülls hält Klute für „völlig überzogen und rein interessengesteuert.“ Die Regierung habe die Endlagersuche absichtlich hinausgezögert, um ein Argument gegen die Kernenergie zu haben. „Der Atommüll hat bisher noch nirgendwo auf der Welt zu irgendwelchen Opfern geführt. Denn wir wissen, wie wir mit diesem hoch radioaktiven Müll umgehen müssen und können uns schützen“, so Klute. Welche Auswirkungen Atommüll langfristig allerdings haben kann, ist nicht geklärt — denn der Zerfall radioaktiver Substanzen dauert zum Teil viele Tausend Jahre. Klutes Lösungsvorschlag: Moderne Reaktoren, Kraftwerke der sogenannten IV. Generation, könnten den radioaktiven Müll wiederverwerten und zur Produktion von neuem Strom verwenden.

Nico Bauer ist im Bezug auf die neuen Reaktoren weniger optimistisch: „Diese Reaktortypen stehen bisher nur auf dem Papier. Viele Experten sagen, dass sie erst ab 2050 zum Einsatz kommen könnten.“ Ähnlich äußerte sich Dr. Christoph Pistner, Bereichsleiter Nukleartechnik und Anlagensicherheit beim Öko-Institut in Darmstadt, in einer Diskussionsrunde beim Science Media Center Germany: „Die neuen Generation IV-Reaktoren sind noch lange nicht so weit. Klimatechnisch spielen sie jetzt erst mal keine Rolle.”, sagte er.

Auch wenn durch den Ausstieg aus dem Ausstieg kurzfristig CO2 eingespart werden könnte — die ungelöste Frage der Endlagerung und der politische Konsens gegen die Atomkraft machen einen Weiterbetrieb der deutschen Kernkraftwerke sehr unwahrscheinlich.

Teaser- und Beitragsbild: pixabay/distelAPPArath.

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3 Kommentare

  1. says: Alman Horst

    Da ist Paula Hammerschmidt auf den Rainer Klute von Nuklearia “reingefallen”.
    Eine einzige Frage hätte gereicht, um den Atom-Lobbyisten zu durchschauen:
    Wohin mit den Atommüllabfällen?

    Leider lehnen sich da ein paar arbeitslose Nuklearphysiker zu weit aus dem Fenster. Woher sie für ihre Atom-Propaganda bezahlt werden, halten sie auch lieber unter Verschluss. Bekannt ist Nuklearia e.V. für ihre penetranten Versuche andere Vereine, NGO und Bürgerinitiativen mit ihrem Atomkraft-Geschwurbel zu unterwandern und für ihre “Geschäftsidee” zu werben. Absolut unnötig.

  2. says: Laurenz Hüsler

    Die Reaktoren, die Atommüll verwertet, sind nicht nur auf dem Papier. Die laufen in unterschiedlichen Versionen seir 1951.
    Den Rekord hat der BN-600 mit 35 Jahren, gefolgt vom Phénix mit 34 Jahren Betrieb. Der BN-800 mit 850MW läuft seit 2016.

    1. says: Karl Walter

      Ja, und die BN Reaktoren schaffen, wenn es hoch kommt gerade mal 100 kg im Jahr. Deutschland hat allein schon an die 20.000.000 kg hochradioaktiven Atommüll. Zudem ist das Kühlmittel brennbar, wenn es mit Luft und Wasser in Berührung kommt. Das klingt nicht gerade beruhigend.

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