Der CDU-Politiker Ploß will das Gendern bei staatlichen Stellen gesetzlich verbieten und dürfte damit eine heitere Debatte angeregt haben. Die Frage nach der geschlechtsneutralen Sprache wirkt schon fast wie ein Identitätskampf. Dabei muss es gar nicht so schwer sein. Ein Kommentar
Beim Abendessen mit den Eltern ist die Gender-Debatte ein gern genommenes Thema. Dabei wirkt der Ablauf der Diskussion mittlerweile wie aus dem Drehbuch. Das Thema kommt auf, bald folgt ein „erregendes Moment“: Eine Aussage bringt den Funken zum Überspringen. Häufig sind die Ausdrücke „Sprechverbote“, „Umerziehung“ oder „Gender-Gaga“ nicht weit entfernt. Glücklicherweise haben sich nach einer kurzen Stille alle wieder lieb und einigen sich im Geiste, das Thema in Zukunft zu umgehen.
Dabei scheint die moralische Überlegenheit bereits sicher geklärt: Laut einer Umfrage von infrarest dimap sprechen sich 65 Prozent der Befragten gegen einen Geschlechtsunterschied in der Sprache aus und möchten auch keine neutralen Formulierungen wie „Zuhörende“ oder ein Binnen-I („WählerInnen“). Dass Gendern eine unliebsame Veränderung für die Menschen bedeutet, sieht man schon an der Polarisierung des Themas. Ein Umdenken ist nötig.
Gendern als Chance
Nur weil Menschen Veränderungen nicht mögen, sollten Verbesserungen nicht aufgehalten werden. Es ist hier Zeit für lösungsorientierte Diskussionen. Dr. Katja Sabisch, Professorin für Gender Studies an der Ruhr-Universität Bochum, spricht sich für ein Umdenken aus: „Man darf nicht müde werden, zu erklären, warum Sprache Wirklichkeit schafft. Und zumindest dagegen kann ja niemand etwas sagen. Offensichtlich gibt es Menschen, die davon immer noch nichts gehört haben, also muss man auch weiterhin darauf hinweisen.“
Ich setze mich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ein. Daher wehre ich mich dagegen, dass in staatlichen Einrichtungen eine grammatisch falsche, künstliche und ideologisch motivierte #Gendersprache verwendet wird, die ständig das Trennende betont.https://t.co/J8nkZkBXeR
— Christoph Ploß (@christophploss) May 24, 2021
Als am Montag der Hamburger CDU-Politiker Christoph Ploß auf Twitter mitteilte, ein gesetzliches Genderverbot wäre mit „gesellschaftlichem Zusammenhalt“ vereinbar, gab es postwendend ein Sturm an Gegenansichten. Richtig so: Seit wann fördern Verbote Vielfalt und Zusammenhalt? Laut Katja Sabisch liegen die Vorteile von gendergerechter Sprache eben dort: „So wird die Gesellschaft einfach noch besser abgebildet.“ Die Gesellschaft ist schließlich im Wandel, vieles ist heute nicht mehr so, wie es früher einmal war.
„Es ist gerecht, in Sprache abgebildet zu sein“ – Prof. Dr. Katja Sabisch
Sich für sprachliche Vielfalt einzusetzen, ist altersunabhänig. Könnte die Gender-Debatte trotzdem zu einem Generationenkonflikt werden? Sabisch widerspricht: „Es bildet vor allem eine Einstellung ab, nämlich dass Vielfalt wichtig ist.“ Manche Leute müssen scheinbar noch die eigene Handbremse lösen, um Teil der Veränderung zu werden.
Die Weiterentwicklung von Sprache kann man nicht aktiv verhindern, dies zeigen im Duden aufgenommene Verben wie googlen (alt. googeln) oder twittern. Weiterentwicklung heißt auch, selbst am Ball zu bleiben und eigene Standards aufzufrischen. Schade, wie wenige bereit dazu sind.
Raum für Veränderung
In der Wissenschaft sind die positiven Auswirkungen sprachlicher Ausgewogenheit belegt. Die Abkehr vom generischen Maskulinum hat positive Folgen in Sachen Gleichberechtigung. Beispielsweise zeigen Studien, dass Frauen bei Stellenanzeigen manche Positionen wegen der gewählten Formulierung nicht in Betracht zogen. Hierzu sind über die Jahre Alternativen gefunden worden: „Schon eine simple Doppelnennung (Bsp. Ärztinnen und Ärzte, Anm.) verschiebt die Repräsentation in unseren Köpfen und sorgt für mehr Ausgewogenheit“, sagt Prof. Dr. Anatol Stefanowitsch vom Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin. Geschlechtergerechte Sprache kann zusätzlich noch mehr, als nur zwei Geschlechter anzusprechen (wie Student:in). Möglich macht das der Genderstern (Student*in). „Diese Form begrüßt zusätzlich alle, die sich nicht binär zuordnen lassen möchten“, sagt Stefanowitsch.
Die Debatten sind auf einem guten Weg. Dass wir heute darüber debattieren, wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen. „Es ist zum Teil immer noch eine Modeerscheinung, die Debatte um sprachliche Ausgewogenheit wird aber schon seit nunmehr 40 Jahren geführt“, so der 51-Jährige weiter.
„Der Zeitgeist ist der Richtige.“ – Anatol Stefanowitsch
Der Experte hat 2018 selbst ein Sachbuch mit dem Titel „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ veröffentlicht. Dranbleiben ist seine Devise: „Damit der Effekt nicht verpufft, muss dabei mit gutem Willen eine Diskussion geführt werden. Dann kann die Veränderung auch nachhaltig sein.“ Hier ist es nicht nur damit getan, neue Schreibweisen zu akzeptieren, sondern vielmehr die Existenz all jener anzuerkennen, die sich ohne neutrale Sprache ausgeschlossen fühlen würden. Wer aktiv für Vielfalt und Geschlechtergerechtigkeit steht, den dürften Sternchen und Doppelpunkte nicht weiter stören.
Von wegen Sprachverbot
Ein paar Unbelehrbare wird es dabei immer geben:
„Grüne und Grüninnen?
Frauofrau statt Mannomann?
Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Mutterland?
Hähnch*Innen-Filet?
Spielplätze für Kinder und Kinderinnen?Wer gibt diesen #Gender-Leuten eigentlich das Recht, einseitig unsere Sprache zu verändern?” ™ #Merz
— Friedrich Merz (@_FriedrichMerz) April 17, 2021
Vielen anderen Menschen kann man aber sicherlich noch die Hand reichen. Man sollte ihnen einfach die Möglichkeiten aufzeigen, die Sprachvielfalt bieten kann. Vom Doppelpunkt über den Genderstern bietet unsere Sprache viele Wege, sich so auszudrücken, dass sich alle angesprochen fühlen. Interessant ist: Leute, die gendern verbieten wollen, sind für Verbote. Leute, die gendern ermöglichen, möchten lieber einbeziehen. Etwas Neues ausprobieren, hat in den seltensten Fällen geschadet.