Reserveteams von Bundesligisten polarisieren. Befürworter verweisen auf die Talententwicklung und die Legitimierung der Teilnahme durch DFB-Regularien. Kritiker sagen, sie nehmen Traditionsvereinen den Platz weg. Die Diskussion kommt beinahe jede Saison auf. KURT hat mit Marcus Uhlig, dem Vorstandsvorsitzenden von Rot-Weiss Essen, und Ingo Preuß, dem sportlichen Leiter der U23 des BVB, über das Streitthema gesprochen.
Rot-Weiss Essen, Borussia Dortmund, Preußen Münster, Rot-Weiß Oberhausen und der 1. FC Köln. Die ersten Plätze der Regionalliga West hören sich an wie ein Paradies für die Traditionalisten unter den Fußballfans. Doch genau diese stören sich an der Liga. Denn hinter dem BVB und dem 1. FC Köln verbergen sich zwei der insgesamt fünf Zweitvertretungen, die in der Regionalliga West spielen. Mit dem BVB II ist ein Amateurteam sogar auf Aufstiegskurs. Dahinter stehen mit Rot-Weiss Essen und Preußen Münster gleich zwei Traditionsvereine mit riesiger Fanbasis. Rot-Weiss Essen hat dabei immer noch Chancen auf den Aufstieg.
Dass die Reserve vom BVB grundlegend in die 3. Liga aufsteigen darf, ist legitim – die Regeln des DFB erlauben es. Höher als in die 3. Liga kann es für Reserveteams nicht gehen, wie das Beispiel der Reserve des FC Bayern zeigt: 2020 holte sie die Meisterschaft in der 3. Liga, durfte aber nicht in die 2. Bundesliga aufsteigen. Bayern-Präsident Herbert Hainer forderte damals den Aufstieg der Bayern-Reserve – daraufhin brach eine Diskussion aus.
Die Regeln für Reserveteams sind jedoch klar definiert: “Bei der Bundesliga und der 2. Bundesliga handelt es sich um Lizenzligen. (…) Dies bedeutet, dass jeder Lizenznehmer auch nur mit einem Team teilnehmen darf”, teilt der DFB auf Anfrage mit.
Aushilfe von Lizenzspielern
Marcus Uhlig ist Vorstandsvorsitzender von Rot-Weiss Essen. Er hat eine klare Meinung zu Reserveteams von Bundesligisten: “Gerade in dieser Saison gibt es eine verstärkte Ungleichheit der Waffen zu konstatieren und das betrifft uns sehr.”
Als Beispiel führt er die Personalsituation an: “Nach Ablauf der Wintertransferperiode ist unser Rechtsverteidiger Sandro Plechaty verletzt ausgefallen. Wir durften keinen Ersatz von extern verpflichten und mussten den Verlust mit unserem Kader auffangen. Der BVB hat da ganz andere Möglichkeiten.” Damit spielt Uhlig auf Felix Passlack an, der im Profikader des BVB steht und in der Rückrunde zweimal in der BVB-Reserve eingesetzt wurde.
Ingo Preuß, sportlicher Leiter der U23 beim BVB, sieht das anders: “Felix Passlack fehlte Spielpraxis und er wurde jeweils nach 60 Minuten ausgewechselt. Was bei dieser Debatte oft außen vor bleibt ist, dass wir regelmäßig unsere besten Spieler für die BVB-Profis abstellen. Die fehlen uns dann natürlich.”
Der DFB meint zu dem Einsatz von Lizenzspielern: “Der Austausch zwischen den Teams und der Einsatz von Spielern in zweiten Mannschaften wird stark reglementiert. Ausnahmen sind (…) für Spieler unter 23 Jahren beinhaltet – im Sinne der Talentförderung im deutschen Fußball.” Felix Passlack ist am 29. Mai 1998 geboren und passt damit in diese Altersspanne.
Strukturelle Vorteile des BVB?
“Meine Hauptaufgabe als Vorstandsvorsitzender besteht momentan aufgrund der Corona-Pandemie größtenteils in der Mittelbeschaffung”, erklärt Marcus Uhlig und ärgert sich: “Ich würde mich natürlich viel lieber vermehrt um inhaltliche Aufgaben kümmern als permanent um das Budget. Die Verantwortlichen einer zweiten Mannschaft haben diese Belastung nicht. Dort wird einmal pro Jahr ein Budget festgelegt und das war´s.”
Ich würde mich natürlich viel lieber vermehrt um inhaltliche Aufgaben kümmern als permanent um das Budget.
Dem widerspricht Ingo Preuß entschlossen: “Wir fallen mit unseren Ausgaben in der Regionalliga West ganz sicher nicht aus dem Rahmen.” Dazu sei die Akquirierung von neuen Spielern für den BVB II deutlich schwerer: “Wir können, da wir ja eine U23 sind, sozusagen nur aus vier Jahrgängen Spieler auswählen.”
Ein Bundesligaverein hat durch TV-Gelder, Ticketverkäufe, Sponsoren etc. ganz andere finanzielle Möglichkeiten als ein Amateurverein. “Andererseits fließt auch Geld von den Lizenzvereinen in den Amateursport”, merkt Roland Leroi, Medienreferent beim Westdeutschen Fußballverband (WDFV), an. Eine der Hauptaufgaben des WDFV ist die Organistation der Regionalliga West. Dies beinhaltet beispielsweise Spielansetzungen und Sportgerichtsbarkeit.
Attraktivität von Zweitvertretungen
Ein weiterer Streitpunkt, der in der Diskussion um Reserveteams angeführt wird, ist die Attraktivität. Für Ingo Preuß ist der BVB II in der Regionalliga durchaus attraktiv. “Die Zuschaueranzahl liegt bei uns meist im vierstelligen Bereich. Ausnahmen passieren dann, wenn der Verband die Spiele parallel mit den Profis ansetzt. Verständlicherweise geht der BVB-Fan dann nicht zur Reserve, sondern zu den Profis”, erklärt Preuß.
Und so lag der BVB in der Saison 2019/20 beim Zuschauerschnitt bei Heimspielen auf dem 7. Platz der Regionalliga West. Bei Heimspielen lockt das Reserveteam also auch viele Zuschauer.
Marcus Uhlig positioniert mit Blick auf die eigenen Fans zu der Attraktivität klar: “RWE gegen Schalke ist für unsere Fans das Spiel überhaupt. Geht es aber gegen Schalke II, dann müssen wir ehrlich sein und feststellen, dass das niemanden besonders interessiert.” Rot-Weiss Essen hat mit Abstand den höchsten Zuschauerschnitt in der Regionalliga-West.
Der DFB teilt in seiner Stellungnahme ebenfalls mit, dass Klubs mit langer Tradition und großer Fanbasis natürlich die Attraktivität jeder Liga steigern würden. Doch das erste “Qualifikationskriterium (..) muss (…) immer die sportliche Leistung sein.”
Klare Regeln – fairer Wettbewerb?
Die Rahmenbedingungen für Reserveteams sind in der Spielordnung des DFB und der Landesverbände klar festgelegt. Roland Leroi fasst die Situation treffend zusammen: “Grundsätzlich hat sich jede Mannschaft für die Liga, in der sie antritt, sportlich fair qualifiziert”.
Genauso sieht das auch Marcus Uhlig, der seine kritische Meinung eindeutig nicht mit der aktuellen Saison verknüpft: “Der BVB II macht es diese Saison natürlich überragend. Wir haben Punkte leichtfertig liegen lassen und können ja immer noch aufsteigen. Der BVB macht das, was in den Regeln steht. Das ist ja nicht verboten.”
Komplexität auf allen Ebenen
Die Diskussionen über Reserveteams sind allgegenwärtig, da dies neben dem Spielbetrieb beispielsweise auch die Talentföderung betrifft: U23-Teams sollen jungen Spielern Spielpraxis auf Seniorenebene ermöglichen.. Der DFB prüft die Regeln für Reserveteams regelmäßig und steht im ständigen Austausch mit den Klubs. Die Meinungen der Vereine sind dabei sehr unterschiedlich, da sportliche und wirtschaftliche Umstände jeden anders treffen. In der DFB-Stellungnahme heißt es dazu: “Ein einheitlicher Standpunkt unter den Klubs ist dabei kaum zu identifizieren.”
“Reserveteams sind für Fußballdeutschland erforderlich, um junge Talente im Wettkampf weiterzuentwickeln. Beim WM-Titel 2014 waren viele Spieler im Team, die zuvor in einer U23 gespielt hatten. Auch unser vorrangiges Ziel ist, Jungs für die erste Mannschaft auszubilden und ihnen den Sprung in die Bundesliga zu ermöglichen”, so Ingo Preuß über die Ziele der U23 von Borussia Dortmund.
Reserveteams haben auf jeden Fall einen Stellenwert in der Talententwicklung: Bei allen Regionalligisten gibt es Spieler, die in der U23 anderer Vereine ausgebildet wurden. Auch bei Rot-Weiss Essen hat ein Großteil der Spieler U23-Mannschaften durchlaufen.
Andere Länder, andere Modelle
Regeländerungen, beispielsweise für die Spielordnung, müssen beim DFB mit Vorlauf vor der neuen Saison eingereicht werden. Zuständige Gremien und Instanzen kümmern sich dann darum. Eine schnelle Revolution der Regeln ist also schwierig.
Doch gibt es dieselben Probleme auch in anderen europäischen Ländern? Hier lohnt sich ein Blick nach England. Dort spielen alle Reserveteams der Premier League in einem eigenen Wettbewerb und nicht in den normalen Ligen. Anders ist es in Spanien: Dort dürfen Reserveteams bis in die 2. Liga aufsteigen.
“Eine reine Reserverunde wie in England würde uns in der Ausbildung der Talente zurückwerfen. Der sportliche Wettbewerb, bei dem es um Aufstieg und Abstieg geht, ist unersätzlich für die jungen Spieler”, unterstützt Ingo Preuß das aktuelle System.
Eine reine Reserverunde wie in England würde uns in der Ausbildung der Talente zurückwerfen.
Ganz anders sieht das Marcus Uhlig: “Ein Paralleluniversum für Reserveteams wie in England würde auf jeden Fall Sinn machen”, findet er, passt seine Ansicht aber an die Umstände an: “Kurzfristig umsetzbar wäre aber eher eine Grenze in der Regionalliga: Reserveteams dürfen maximal in der 4. Liga spielen.”
Der DFB erklärt in seiner Stellungnahme zu diesen Modellen, dass es “keine Denkverbote” geben dürfe. Eine Entscheidung müsse aber “möglichst alle Aspekte und Interessen berücksichtigen und mehrheitsfähige Lösungen darstellen.”
Eine nie endende Diskussion?
Und so wird die Diskussion um Reserveteams weiterhin alljährlich aufkommen, wenn sich diese Mannschaften im Fokus befinden: “Immer, wenn wir in der Spitzengruppe stehen, wird diese Diskussion geführt. Über die U23-Teams von Fortuna Düsseldorf oder dem 1. FC Köln spricht niemand, da sie im Mittelfeld stehen. Ich finde das nicht nachvollziehbar, schließlich wird auch dort gute Arbeit geleistet!”, ist Ingo Preuß, sportlicher Leiter der U23 des BVB, genervt von den Vorwürfen.
Immer, wenn wir in der Spitzengruppe stehen, wird diese Diskussion geführt.
Da die Regularien jedoch regelmäßig geprüft werden und andere Vereine unzufrieden sind, kommt die Debatte nicht zur Ruhe. Im nächsten Jahr werden höchstwahrscheinlich zwei Reserveteams in der 3. Liga spielen – und die Diskussion damit weitergehen. Wichtig dabei ist, dass alle Aspekte dieser sehr komplexen Thematik berücksichtigt werden, da sind sich auch die Beteiligten einig. Oder wie es in der DFB-Stellungnahme heißt: Es sei sehr schwierig, eine “`ideale` Lösung zu dieser Frage zu finden.”
KURT-Autor Till Neuhaus hat eine klare Meinung zu dem Thema: Für ihn sollten Reserveteams nicht in der dritten Liga spielen.
Teaser und Beitragsbild: Dankersen via wikipedia, lizensiert nach CC 3.0