Simon tauscht seinen Kaffee am Morgen gegen eine kleine Dosis LSD. Der 24-Jährige hofft, dass die Droge ihm beim Denken hilft. „Mikrodosing“ ist ein Trend, den auch einige Studierende ausprobieren. Sein Experiment ist riskant, denn die psychischen und körperlichen Folgen sind noch unerforscht. Kann LSD dosiert in kleinen Mengen die Gehirnleistung steigern? Er will es herausfinden.
Simon steht in der Küche seiner Wohnung. Die lilafarbene Flasche in seiner Hand ist nur knapp größer als ein Shotglas. Er tropft die durchsichtige Flüssigkeit darin in ein Glas, das vor ihm auf der Küchenzeile steht. Die Flüssigkeit ist LSD. Er kippt sie herunter. Bei einem Gespräch via Zoom erzählt Simon, wie er ein paar Tage zuvor seine ersten zehn Mikrogramm eingenommen hat.
Das, was Simon macht, nennt sich Mikrodosing: Täglich nimmt er eine geringe Menge LSD zu sich. Er hofft, so schneller kreative Lösungen für komplizierte Probleme zu finden. Das soll ihm vor allem im Job weiterhelfen. Damit folgt der 24-Jährige einem Trend aus den USA. Sein Vorgehen ist illegal. Weil er nicht erkannt werden möchte, hat die Redaktion seinen Namen geändert.
Farben schmecken und Töne sehen
Viele ihrer Proband*innen beschreiben ihren Trip als eine Reise durch ihr Inneres. Durch optische und akustische Halluzinationen nehmen die Konsumierenden Farben und Töne intensiver wahr. Auch die Sinne verschieben sich. In anonymen Internetforen beschreiben einige, dass sie während eines Trips Farben schmecken oder hören konnten und die Gegenstände um sie herum sich verformt hätten. Für einen LSD-Trip, bei dem man halluziniert, werden 100 bis 150 Mikrogramm der Droge benötigt. Simon nimmt ein Zehntel davon.
Denn Mikrodoser wie er suchen nicht den Rausch. Die geringere Dosis soll die Stimmung auflockern, die Konsumierenden kreativer und produktiver machen. „Es kann zu leichten Wahrnehmungsveränderungen kommen, die sich ähnlich beschreiben lassen wie bei höheren Dosen, allerdings ist die wiederholte Einnahme von Mikrodosierungen aus wissenschaftlicher Sicht noch unangetastet“, erklärt Holze. Einige betreiben Mikrodosing auch, um sich bei psychischen Problemen selbst zu therapieren.
Ein “Experiment” mit Risiko
Zwei Monate will Simon testen, wie LSD bei ihm wirkt. Er arbeitet als Produktmanager. Täglich plant und verwaltet er die Produkte, die in einem Laden für Inneneinrichtung verkauft werden. „Ich hoffe, dass mir LSD bei Aufgaben hilft, bei denen ich nicht so recht weiterweiß“, sagt er. Eine dieser Aufgaben ist ein Bericht, den Simon für den Einkauf erstellen muss. „Da muss man ab und zu um die Ecke denken.“
Den Tipp, Mikrodosing auszuprobieren, hat ihm ein Freund gegeben, Marion. Auch seinen Namen hat die Redaktion geändert. Er sagt bei einem gemeinsamen Videocall: „Beim Arbeiten war ich entspannter, auch wenn mein Chef mal Stress gemacht hat.” Simon ist sich sicher, dass es Ärger mit seinem Chef gäbe, wenn der von dem Experiment wüsste. Deshalb wissen auch seine Kolleg*innen nichts. Mit vielen engen Freund*innen spricht er hingehen offen darüber. Das ist Simon wichtig. Falls etwas passiert, wüssten sie Bescheid. Auch Simons Freundin ist neugierig auf die Wirkung, erzählt er. Für sie kommt das Mikrodosing allerdings nicht in Frage.
Psychische Schäden – vielleicht für immer
Sascha Milin ist Ethnologe und Suchtforscher. Am Zentrum für interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg beobachtet er die Entwicklung unterschiedlicher Drogen und hält bundesweit Vorträge. Er hält die Suchtgefahr beim Mikrodosing für gering. Dennoch gibt er zu bedenken: „Wenn jemand an mehreren Tagen hintereinander LSD konsumieren würde, findet sehr schnell eine Toleranzentwicklung statt. Nach drei oder vier Tagen bräuchte diese Person möglicherweise die doppelte Dosis.“
Beim LSD-Rausch kann aus einer vermeintlich positiven Erfahrung schnell ein Horrortrip werden. „Es gehört sicherlich zu den extremsten Erfahrungen, die man so machen kann“, sagt der Experte. Ob Menschen das schnell wegstecken oder noch ein Leben lang unter dem Trip leiden, hänge von der psychischen Verfassung der Konsumierenden ab. „Wer mit sich selbst nicht im Reinen ist und weiß, dass er vielleicht depressiv ist, dem würde jeder davon abraten“, sagt Milin. An der Wirkung von Mikrodosing zweifelt ein Großteil der Wissenschaftler*innen. Einzelne hoffen darauf, dass LSD bei medizinischen Therapien angewendet werden kann.
Durch Zufall im Rausch
Erst 1943 entdeckt der Chemiker Albert Hoffmann zufällig LSD, als er ein Mittel testet, das den Kreislauf stabilisieren soll. Er verfällt in einen Rausch, der ihn begeistert und nach einigen Stunden nachlässt. Ein paar Tage später entscheidet Hoffmann deshalb, LSD bewusst einzunehmen, erlebt jedoch das genaue Gegenteil – einen Horrortrip. Seine Entdeckung legt den Grundstein für die Entwicklung eines Medikaments, das ab 1949 auch in der Psychotherapie verwendet wird. LSD verbreitet sich weltweit und wird in der Hippie-Szene populär. Wie Albert Hoffmann erleben immer mehr Menschen Trips, die ihre Psyche stark belasten. Daraufhin sprechen zunächst die USA ein Verbot aus, bis 1971 der Konsum von LSD weltweit verboten wird. Bis heute. Forschung mit der Substanz darf nur in besonderen Fällen und mit Genehmigungen betrieben werden.
Simon will wissen, wie LSD bei ihm wirkt und protokolliert, wann er wie viel eingenommen hat. Bei einem Gespräch auf Zoom postet er stolz die Daten in den Chat, die er in den vorigen Wochen gesammelt hat. Simons Freund Marion hat die Tröpfchen für ihn im Darknet bestellt. Zehn Euro kostet die Flasche, die knapp zwei Monate reichen wird. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes zahlen Konsument*innen für die Dosis für einen LSD-Trip im illegalen Straßenhandel ungefähr das Gleiche.
Bis zu fünf Jahre Haft
Ob in kleiner oder großer Menge: Legal ist das nicht. Wer ohne Erlaubnis Betäubungsmittel besitzt, muss mit ein bis fünf Jahren Gefängnis oder einer Geldstrafe rechnen. „Viele denken, dass der Besitz von Betäubungsmitteln in geringer Menge zum Eigenbedarf nicht strafbar ist“, sagt Strafverteidigerin Jasmin Haider. „Das ist jedoch falsch. Im Gesetz ist lediglich vorgesehen, dass die Staatsanwaltschaft von der Strafverfolgung absehen kann, wenn der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigengebrauch in geringer Menge anbaut.“ Bei harten Drogen, worunter auch LSD fällt, würden die Behörden diese Ausnahmeregelung nicht gelten lassen.
Simon hofft, dass er nicht erwischt wird. Die ersten zwei Wochen seines Experiments sind vorbei. Hat ihm Mikrodosing geholfen? Hat es ihn verändert? „Ich habe noch nicht wirklich etwas gemerkt“, sagt er. Mit 10 Tropfen hat er angefangen, jetzt erhöht er auf 15. Am Ende seines Experiments werden es 20 Tropfen sein. Das Wasserglas lässt er mittlerweile weg. „Das würde wohl die Wirkung dämpfen, deswegen habe ich es am Ende auf einen Löffel geträufelt und wie Hustensaft genommen.“ Die Tipps für den richtigen Konsum und die passende Dosierung holt er sich aus dem Internet.
Unscheinbare Gummibärchen
Die LSD-Community tauscht sich auf diversen Plattformen über ihre Erfahrungen aus. Auf der Plattform Jodel, die vor allem Studierende nutzen, gibt es zum Beispiel eine eigene Gruppe, „Druffkultur“. 138 Menschen aus Dortmund folgen dem Channel. Neben LSD posten die Nutzer*innen anonym Erfahrungen, Fragen oder Meinungen zum Konsum von Drogen. LSD steht zwar nicht im Fokus, Mikrodosing erst recht nicht, trotzdem gibt es einzelne Postings. Auffällig viele Nutzer*innen verharmlosen die Gefahren des Konsums: „Gerade ne viertel Pappe genommen. Hab Bock auf die Euphorie und Kreativität zum Musik machen. #nicersonntag“, schreibt jemand. Ein User empfiehlt, die Tropfen auf anderen Lebensmitteln aufzutragen: ob Gummibärchen oder Butterbrot.”
Vier Wochen sind vorbei, seit Simon regelmäßig LSD zu sich nimmt. Beim ersten Mal habe er Schmerzen am Herzen gespürt. „Da habe ich mich gefragt, ob das vom LSD kommt“, sagt er. „Danach war das Gefühl nämlich schnell wieder weg, war wahrscheinlich nur Zufall.“ Simon fällt es schwer, einen direkten Effekt des Mikrodosings auszumachen. Er ist sich nicht sicher, ob diese besonderen Momente nur eingebildet oder echt sind. Zunächst scheint die Erhöhung der Dosis jedoch anzuschlagen:
„Einmal habe ich es wirklich gemerkt, da dachte ich mir: Oh krass! Ich war viel strukturierter und konnte klar im Kopf sehen.“
Er habe sich deshalb bewusst einige kreativere Aufgaben vorgenommen und sei überrascht gewesen, dass er diese gut lösen konnte. Außerdem, sagt er, sei er an dem Tag viel besser drauf gewesen: leichter, fröhlicher, entspannter. Ob das aber nur ein Placeboeffekt war oder die Droge wirklich gewirkt hat, kann Simon nicht eindeutig sagen. Vielleicht habe er auch einfach einen guten Tag gehabt oder vor der Arbeit gut geschlafen. Er beschließt, dass es nicht das LSD war, das seine Laune und Produktivität in die Höhe schnellen ließ: „Ich bin der Meinung, dass ich das auch ohne die Tropfen genauso gut hinbekommen hätte.“
Alles nur Placebo?
Suchtforscher Milin ist von diesem Ergebnis nicht überrascht. Im Gegenteil: „Für mich ist es nicht plausibel, dass durch Mikrodosing überhaupt eine nennenswerte Wirkung entsteht oder die Kreativität gesteigert wird“, sagt er. „Ich könnte mir vorstellen, dass es eine Mischung aus Placebo-Effekt und unbedeutender Wirkung ist.“
Gleichzeitig weist Milin darauf hin, dass es sich bei Einschätzungen wie dieser häufig um Spekulationen handele: Einige Konsument*innen berichten von keiner Wirkung; andere erzählen, dass sie mit LSD großartige Entwicklungen gemacht hätten und der geringe Konsum sie gestärkt habe. „Falls das LSD-Mikrodosing überhaupt wirkt, vermute ich, dass es wie ein gewisses Euphorikum funktioniert“, sagt Milin. „Wenn Sie jetzt mal ein Gläschen Sekt trinken, sind Sie auch kreativer. Dann kriegen Sie auch tolle Ideen und Ihnen fallen kreative Sätze ein.“ Er könne sich vorstellen, dass der Effekt beim Mikrodosing ähnlich ist. Wie bei einem Gläschen Sekt könne Mikrodosing dafür andere Schwächen herausstellen: „Da sinkt dann zum Beispiel die Genauigkeit oder Sie schreiben Sätze, die jetzt aus Ihnen heraussprudeln, die Ihnen aber in zwei Jahren peinlich sind.“ Nach zwei Monaten ist die Flasche leer. Simons Experiment ist vorbei.
„Ich glaube nicht, dass ich nochmal LSD mikrodosieren würde. Auch, weil ich es im Moment nicht brauche“,
sagt Simon. „Hätte ich eine Denkblockade, dann kann ich das bestimmt noch einmal ausprobieren.“ Hat er während der Zeit einmal probiert, eine deutlich höhere Dosis zu nehmen, um einen Trip zu erleben? Das kommt für Simon nicht infrage: „Da habe ich auch gar nicht so Lust drauf, weil ich zu viel Angst davor habe, süchtig zu werden.“
Teaser- und Beitragsbild: Beispielbild/KURT/Ann-Kathrin Hegger
Illustrationen: KURT/Ann-Kathrin Hegger, erstellt mit Canva, Colouring