Vogelgesang vs. Verkehrslärm: Was passiert, wenn Vögel nicht mehr zwitschern

Wir hinterfragen selten, wie unsere alltägliche Geräuschkulisse unser Leben beeinflusst. Doch wir sollten mehr auf die Natur hören. Denn eine Forschungsgruppe hat jetzt gezeigt: Vögel zwitschern deutlich weniger als noch vor 25 Jahren. Und das hat Folgen für unsere Gesundheit.

Der elektronische Wecker piept: Der urbane Ureinwohner beginnt seinen Tag. Auf dem Weg zur Arbeit begleiten ihn der Lärm der Autos und der Krach der Baustellen. Gut, dass er Kopfhörer hat. Schade nur, dass sie auch die Naturgeräusche übertönen. Aber die sind vielleicht ohnehin nicht mehr zu hören.

Schwindene Klanglandschaft zeigt schwindende Artenvielfalt

Ein internationales Forschungsteam hat in Europa und Nordamerika jährliche Vogelzählungsdaten mit Sound-Aufzeichnungen einzelner Arten kombiniert. So konnten das Team an über 200.000 Orten die Klanglandschaften der letzten 25 Jahre rekonstruieren. Die Klangqualität, also die akustische Vielfalt und Intensität der über 1.000 untersuchten Vogelarten, hat sich konstant verschlechtert. Die Ergebnisse wurden kürzlich im Fachmagazin Nature veröffentlicht.

Schlüsselfaktoren unserer akustischen Wahrnehmung sind die Lautstärke, die Frequenz und die Vielfalt der Lieder, die Vögel trällern. Diese Merkmale gehen häufig Hand in Hand mit der Artenvielfalt und der Größe der Vogelbestände. Wenn in einem Park viele verschiedene Vögel leben, hören wir ein buntes und lautes Konzert. Eine schwindende Klanglandschaft kann demnach ein Indiz für eine schwindende Artenvielfalt sein. Die Forschenden erwarten, dass diese weiter abnimmt. Das wird „voraussichtlich zu weiteren Beeinträchtigungen der Klangqualität und damit zu einer weiteren Verwässerung des Naturkontakterlebnisses führen“, schreibt das Team.

Vogelbestand in Deutschland nimmt ab

Weniger Gezwitscher: Johannes Kamp beobachtet Vögel, seit er 13 ist. Foto: Universität Göttingen

Das zeigt sich auch bei den Vogelzählungen: Die Zahl der Arten und einzelnen Tiere ist tendenziell rückläufig. Laut dem letzten Bestandsbericht des Bundesamts für Naturschutz aus dem Jahre 2019 ist ein Grund, dass es weniger Lebensräume wie Wiesen und Weiden gibt. Betroffen sind vor allem Arten wie der Kiebitz und das Rebhuhn. Auch das Insektensterben schadet Vogelbeständen, da die Nahrung abnimmt. „Die Tendenzen gehen dahin, dass es Vögeln in Naturschutzgebieten und Wäldern besser geht, als in Agrargebieten und im urbanen Raum. Dort verschwinden die Vögel“, sagt Johannes Kamp. Er ist Professor am Institut für Naturschutzbiologie an der Universität Göttingen und einer der Autoren des Artikels.

Seit er 13 Jahre alt ist, beschäftigt er sich mit Vogelstimmen. Der Rückgang der Vogelgesänge fällt ihm seit Jahren auf – besonders bei den Wiesenvögeln. „Vögel wie die Feldlerche haben sehr schöne Stimmen. In den 90er Jahren gab es auf den Wiesen laute Konzerte. Jetzt höre ich die Vögel dort kaum noch“, sagt Kamp. Wer sich erst mit Vogelstimmen beschäftigt, nachdem bereits viele verstummt sind, hat einen verzerrten Maßstab für deren Veränderungen. Expert:innen nennen das Shifting Baseline Sydrome.

Zukunft der Klangkulissenforschung
Um die Veränderung der Klangkulisse in Zukunft noch genauer zu untersuchen, nutzen Forschende Mikrofone. Die werden in der Natur angebracht und übertragen Vogelgesänge in Echtzeit. Die Forschung ist dann nicht mehr ausschließlich auf historische Datenbanken angewiesen.

Naturgeräusche fördern das Wohlbefinden

Doch was macht dieser Klangverlust mit uns Menschen? Stadtlärm wirkt sich negativ auf unser Wohlbefinden aus. Naturgeräusche dagegen sollen uns entspannen und gesund sein. Eine US-amerikanische Metastudie, die in diesem Frühjahr veröffentlicht wurde, liefert handfeste Daten dazu: Wenn wir natürlichen Tönen lauschen, sind bestimmte Hirnströme messbar. Das lustige Zwitschern der Vögel aktiviert Hirnregionen, die für die Stressreduktion verantwortlich sind. Diese sind besonders aktiv, wenn wir vorher einem hohen Stresslevel ausgesetzt waren.

Aber nicht nur Stress, sondern auch Schmerz kann durch Vogelgesänge reduziert werden – und kognitive Leistungen können steigen. So wird mitunter auch unser endogenes Aufmerksamkeitssystem angeregt, das bedeutet, dass wir uns besser konzentrieren können. Auch eine Studie von Forschenden des deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung legt nahe, dass Vogelreichtum sehr stark mit einer hohen Lebenszufriedenheit der Menschen korreliert. Ob diese Vorteile auch für Naturgeräusche gelten, die künstlich erzeugt werden, ist bisher wenig erforscht. Also lieber keine Playlists mit Vogelzwitschern hören, sondern direkt in den Wald gehen!

Artenschutz zahlt sich für die menschliche Gesundheit aus

Wir nehmen unsere Umgebung mit allen Sinnen auf. Der Klang ist ein wichtiger Faktor, um sich der Natur näher zu fühlen und von ihr zu profitieren. Nicht nur das Wohlbefinden der Menschen nimmt ab, wenn eine klangvolle Vielfalt fehlt, sondern auch das Interesse, die Natur zu schützen. Denn meist hören wir Vögel nur und sehen sie nicht. Aber wenn wir sie nicht einmal mehr hören – wie sollen wir da wissen, dass es etwas zu schützen gilt?

Vögel sind ein wichtiger Teil unseres Ökosystems und Studien zeigen, dass sich ein aktiver Artenschutz auszahlt. Laut Kamp ist ein wichtiges Mittel, den Konsum zu senken. „Was dem Klima hilft, hilft auch der Biodiversität“, sagt er. Außerdem sollte man heimische Pflanzen und Bäume in den Garten pflanzen, die den Vögeln Schutz und Brutplätze bieten. Im Winter sei das Füttern von Blaumaisen oder Haussperrlingen ebenfalls hilfreich. Das Mindeste, was wir tun können, ist beim nächsten Ausflug in den Stadtdschungel unsere Kopfhörer in der Tasche zu lassen und den Stimmen der Natur zuzuhören.

Damit ihr die Vögel auch erkennt, findet ihr hier ihre Stimmen.

Teaser- und Beitragsbild: pixabay.com/TheOtherKev, lizenziert nach CC.

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