Besser spät als nie: Die Akademisierung des Hebammenberufes

Hebamme werden? Bislang ging das auch mit einer dreijährigen Ausbildung. Durch eine neue EU-Richtlinie heißt es ab 2022: Studium statt Ausbildung. Deutschland setzt diese Richtlinie nun als eines der letzten Länder in der EU um. Dadurch stehen einige Veränderungen bevor.  Drei Frauen erzählen von ihren unterschiedlichen Wegen zum Abschluss als Geburtshelferin.

Drei junge Frauen und alle haben das gleiche Ziel: Sie möchten Hebamme werden. Nuria Jiménez und Mariola Boxberg sind im zweiten Jahr ihrer Ausbildung an der Bigest Hebammenschule in Bochum. Nicole Breuninger studiert Hebammenwissenschaften in Tübingen. Noch können sie diese unterschiedlichen Wege gehen, doch das wird sich bald ändern: Denn die Akademisierung des Hebammenberufes ist auch in Deutschland angekommen.

Grund dafür ist eine EU-Richtlinie aus 2013. Diese besagt, dass zum einen das Ausbildungsniveau angehoben und zum anderen eine zwölfjährige Schulausbildung die Vorrausetzung für den Hebammenberuf werden soll. Da Hebammen oft selbstständig arbeiten, sollen die Mitgliedsstaaten die Qualifikationsrahmen der Ausbildung anpassen. Diese Rahmen dienen dazu, Ausbildungen auch auf europäischer Ebene vergleichbar zu machen. Bislang lagen die Hebammen in Deutschland mit ihrer dreijährigen Ausbildung auf Niveaustufe Vier. Ihre Aufgaben entsprechen aus Sicht der EU aber eher der Niveaustufe Sechs, auf der ein Bachelorabschluss und eben eine Hochschulreife erforderlich sind. Insgesamt gibt es acht Stufen.  Durch die Reform der Ausbildung ändert sich auch die Berufsbezeichnung. Der Begriff Hebamme gilt nun für alle Geschlechter. Zuvor hießen männliche Hebammen noch Entbindungspfleger.

Nur wenn diese Vorgaben erfüllt sind, bekommen Hebammen ihren Beruf automatisch innerhalb der EU anerkannt. Deutschland ist der letzte EU-Staat, der diese Richtlinie nun in die Tat umsetzt. Der Stichtag war der 18. Januar 2020. Bis dahin sollte die Regierung die Richtlinie eigentlich umgesetzt haben. Tatsächlich begann die Akademisierung aber erst an diesem Tag. Für Barbara Blomeier, erste Vorsitzende des Landesverbandes der Hebammen Nordrhein-Westfalen, ist es überraschend, dass sich überhaupt etwas getan hat. „Die Politik hat wohl bis zuletzt gehofft, dass die EU ihre Ansichten doch noch ändert. Die Regierung hat es wohl nicht eingesehen, dass unser Modell mit der dualen Ausbildung der EU nicht passt.“

Barbara Blomeier freut sich über die beginnende Akademisierung. Foto: Landesverband Hebammen NRW.

Nicht nur, dass es ewig gedauert habe, bis die Zustimmung der Bundesregierung kam: Genauso langsam setzen jetzt die Bundesländer die Änderung durch. Bildung und Hochschulpolitik sind in Deutschland nämlich Ländersache. „Das Gesetz zur Akademisierung ist noch nicht einmal durch den Landtag. Wir befinden uns immer noch in der Phase der Anhörung“, kritisiert Blomeier Und das, obwohl bereits Hochschulen in NRW mit Hebammenstudiengängen an den Start gegangen seien. „Denen fehlt jetzt die Planungssicherheit, das ist echt eine Peinlichkeit.“ Im Laufe der nächsten Jahre sollen die neuen Richtlinien nun endgültig umgesetzt werden.

Die Veränderung und ihre Konsequenzen

Die ersten Veränderungen bemerken auch die zwei Hebammenschülerinnen Nuria und Mariola aus Bochum. „Es werden natürlich viele Diskussionen im Kreissaal und auf der Station geführt, wie jetzt alles weitergeht und ob zum Beispiel der Hebammenmangel durch die Verlagerung an die Hochschulen besser wird“, berichtet Mariola. „Außerdem fühlt man sich auch ein bisschen besonders, weil die Ausbildung jetzt ausläuft und man noch einen der letzten Plätze ergattert hat.“ Bei der Arbeit im Kreissaal seien nun immer öfter Studierende dabei, die andere Anforderungen erfüllen müssen als die Schüler*innen, so der Eindruck von Mariola und Nuria. Leitende Hebammen hätten den Auszubildenen nahegelegt, über einen angehängten Bachelor nachzudenken. Ein Studium könne im späteren Berufsleben eben doch einen Unterschied machen.

Nicole studiert im ersten Semester in Tübingen. Foto: Privat.

Ein größerer Unterschied ist momentan die Berufsanerkennung innerhalb der EU. Wer seine Ausbildung nach dem 18. Januar 2016 in Deutschland begonnen hat, kann nicht mehr automatisch überall in der EU als Hebamme oder Geburtshelfer arbeiten. Damit haben deutsche Hebammenschüler*innen einen immensen Nachteil gegenüber ihren europäischen Kolleg*innen. Hebammenstudentin Nicole findet, dass Deutschland hinterherhinkt: „Natürlich ist es eine Mammutaufgabe, einen neuen Studiengang zu entwickeln, aber Deutschland hat viel zu lange nach dem ursprünglichen Beschluss gewartet. Wir haben noch viel aufzuholen in den nächsten Jahren.“

Im Vergleich zur Ausbildung hat sich im Studium einiges geändert. Der Fokus liegt stärker darauf, den Beruf theoretisch und vor allem wissenschaftlich zu beleuchten. Der Praxisanteil soll von 3000 Stunden in der Ausbildung auf 2200 Stunden im Studium gekürzt werden, da die ursprüngliche Menge nicht mehr zeitgemäß sei. Aus der Sicht des Hebammenverbandes NRW ist dies kein Problem: Wochenlange Einsätze auf gynäkologischen Stationen würden wegfallen,auf denen Krebspatient*innen behandelt werden oder Operationen stattfinden. „Sowas hat mit dem eigentlichen Hebammenberuf gar nichts zu tun,“ meint Vorsitzende Blomeier. Außerdem lasse sich an einer Hochschule die Praxis stärker reflektieren. Die Studierenden lernten so, ihr Handeln und Denken besser zu begründen und bekämen einen viel ausgeprägteren theoretischen Hintergrund. „Das bedeutet nicht, dass die Hebamme nicht immer noch die Hand selbst anlegen muss, wenn ein Kind geboren wird. Es ist und bleibt ein praktischer Beruf, aber mit einem anderen theoretischen Hintergrund.“

Dies kann Nicole bestätigen: „Das Logbuch für den Nachweis meiner Einsätze ist so dick wie meine Faust!“ Die praktische Arbeit werde im Studium auch in die Vergabe der Credit Points miteinbezogen. Jedoch ist sich Hebammenschülerin Nuria sicher, dass die Ausbildung zwei Dinge besser vermittele als das Studium: Sozialkompetenz und Selbstbewusstsein. „Die Studierenden kommen erst viel später dazu, herauszufinden, wie sie mit den Patient*innen sprechen und am besten auf ihre Gefühle eingehen können.“

Die drei Frauen sind jeweils zufrieden mit ihrer Entscheidung. Ein weiterer Vorteil in der Ausbildung sei, dass die Schüler*innen bis auf ein paar Außeneinsätze fast nur in einer Ausbildungsstätte eingesetzt werden, sagt Nuria. Dadurch entstehe ein anderes Vertrauensverhältnis zu den Bezugshebammen, die die Schüler*innen anleiten. Für Nicole war es attraktiver, zu den neuen wissenschaftlich versierten Hebammen zu gehören, vor allem in den Augen der Mediziner*innen im Kreissaal. Die Aufwertung des Hebammenberufes spiele eine zentrale Rolle bei der Akademisierung.

 

Die Sache mit der Finanzierung

Für die Finanzierung der Hochschulen und des Hebammenstudiengangs sind die Länder verantwortlich. Damit ist es auch ihre Aufgabe, genügend qualifizierte Arbeitskräfte auszubilden, Nicht nur die Kreißsäle müssen versorgt werden, auch im außerklinischen Bereich braucht es Geburtshelfer*innen. Die Verbände fordern deshalb genügend Studienplätze.  Denn die Nachfrage sei auch in der Vergangenheit kein Problem gewesen. „Wir haben nie Probleme gehabt, die Ausbildungsplätze zu belegen. Im Gegenteil wir mussten immer Bewerber*innen absagen,“ berichtet die Vorsitzende Blomeier. Im Schuljahr 2019/20 befanden sich bundesweit 3057 Schülerinnen und sechs Schüler in der Ausbildung und somit rund 14 Prozent mehr als im Jahr davor. „Auch die Hochschulen, die jetzt an den Start gehen, können sich vor Bewerbungen kaum retten“, bekräftigt Blomeier.

Trotz der vielen Schüler*innen, gibt es in Deutschland einen strukturellen Mangel an Hebammen. Laut dem Krankenhausbarometer 2020 kann jede dritte Klinik mit einer Geburtshilfestation offene Stellen nicht besetzen. Vor allem große Einrichtungen haben Probleme Hebammen und Pflegekräfte zu finden. Eine Umfrage des Deutschen Hebammenverbund aus 2016 unter angestellten Klinikhebammen ergab, dass die Hälfte der Befragten häufig drei Frauen parallel behandeln. Notwendig wäre laut des Verbundes eine 1:1-Betreuung. Etwa 90 Prozent leisten Überstunden und können keine Pausen während den Schichten machen.

Viele Hebammen entscheiden sich für einen anderen Beruf oder wechseln in die Vor- und Nachsorge, berichten die beiden Schülerinnen. Durch die hohe Berufsflucht fehlten die Fachkräfte in der Geburtshilfe „Die meisten sind total überlastet, nicht nur im Kreißsaal, sondern auch auf der Station,“ erzählt Mariola. „Solche Zustände schrecken einfach ab.“

Akademisierung – Die Lösung für alle Probleme?

Durch die Akademisierung der Ausbildung könnte sich der Hebammenmangel allerdings sogar verschärfen. Aus Sicht des Hebammenverbandes NRW müssten allein in Nordrhein-Westfalen mindestens 400 Studienplätze geschaffen werden, um das Defizit abzudecken. Um diese Zahl zu realisieren, bräuchten die Hochschulen schnellstmöglich die Finanzierung durch die Länder. Solange keine konkreten Summen feststehen, fehle ihnen die Planungssicherheit.

Die drei angehenden Hebammen glauben dagegen, dass vor allem eine bessere Bezahlung viele Probleme beheben würde. „Wenn man teilweise zwei bis drei Frauen gleichzeitig betreuen muss und das nicht entsprechend vergütet wird, ist das einfach purer Stress und eine totale Aufopferung. Da muss man Geburten schon wirklich lieben, um das durchzuhalten,“ kritisiert Nuria. „Mit einer besseren Bezahlung könnte man viele Hebammen bestimmt auch wieder in die Geburtshilfe zurückholen.“

Barbara Blomeier bleibt trotz der ungewissen Zukunft optimistisch. Für sie ist die Akademisierung jetzt schon ein Schritt in die richtige Richtung: „Ich habe mich 1987 auf meinen Ausbildungsplatz beworben und damals hieß es schon, dass das Studium bald kommt. Seitdem warte ich. Ich bin froh, dass ich es jetzt tatsächlich noch miterleben darf.“

Beitragsbild: Jonathan Borba/ Pexels

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