WM 2022: Deshalb ergibt ein Boykott keinen Sinn!

Am Mittwoch hat der Kartenvorverkauf für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar begonnen. In ein paar Monaten, mitten im deutschen Winter, von Ende November bis Mitte Dezember, soll die WM dann stattfinden – trotz der Vorwürfe der Korruption und etlichen Menschenrechtsverletzungen. Viele fordern einen Boykott der Nationalmannschaft und der Fans. Doch würde das etwas überhaupt bringen? Ein Kommentar.

Messe Center Zürich. 2. Dezember 2010, ein Donnerstagnachmittag. In wenigen Momenten wird Fifa-Präsident Sepp Blatter bekannt geben, in welchem Land die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 stattfinden wird. Beworben haben sich die USA, Japan, Südkorea, Australien und der Wüstenstaat Katar. Schon im Vorfeld war die Kritik groß. Die Fifa hatte zu diesem Zeitpunkt mächtig mit Korruptionsvorwürfen zu kämpfen. Doch die Wahl fand statt. Blatter steht auf der Bühne. Der Präsident hält einen Umschlag in der Hand, öffnet ihn und lächelt: „The 2022 World Cup goes to Quatar!“. Ein Jubel bricht im Publikum aus.

Noch ahnten es die wenigsten, aber das war wohl einer der skandalösesten Momente der jüngeren Sportgeschichte. Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. In einem Artikel des „Tagesspiegel“ vom Morgen nach der Vergabe hieß es: „In der Wüste gibt es keine Fußball-Tradition, keine Fans, wahrscheinlich nicht mal einen Ball. Es gibt nur Sand und Geld, beides reichlich, und man darf wohl davon ausgehen, dass der Sand die Fifa-Exekutive nicht besonders interessiert hat.“

Die Kritik hielt an, wurde mit den Jahren größer und immer öfter wurde von Fans ein Boykott gefordert. Verständlicherweise. Der Verdacht, dass die WM gekauft wurde, hat sich enorm verhärtet.

Vorwürfe der Korruption

Vier Jahre nach der Vergabe hat sich die ehemalige Pressesprecherin der katarischen WM-Bewerbung Phaedra Almajid an die Öffentlichkeit gewandt. Sie behauptete, es seien Stimmen von drei afrikanischen Mitgliedern der Fifa-Exekutive gekauft worden. 1,5 Millionen Dollar hätte eine Stimme gekostet. Doch kurze Zeit später zog sie ihre Aussage zurück. Grund dafür war eine mögliche Millionenklage der Fifa, die Almajid niemals hätte zahlen können. Danach ist sie in die USA ausgewandert und wird seitdem von dem FBI beschützt.

Doch das sind bisher nicht die einzigen Korruptionsvorwürfe: Der französische Fußballfunktionär Michel Platini hat an der Wahl 2010 teilgenommen und für eine WM in Katar gestimmt. Ein Jahr später wurde sein Sohn Europachef von Quatar Sport Investments. Außerdem ermittelt die US-Justiz wegen der umstrittenen WM-Vergabe. Ein Kronzeuge hat in dem Zusammenhang ausgesagt, dass drei südamerikanische Funktionäre bestochen wurden. Einen eindeutigen Beweis, dass die Korruptionsvorwürfe stimmen, gab es bisher allerdings nicht.

Menschenrechte werden ignoriert

Abgesehen von dem Vorwurf, dass die WM gekauft wurde, werden in dem Wüstenstaat die Menschenrechte mit Füßen getreten. Laut einem Bericht vom Amnesty International üben die Behörden ihr Macht willkürlich aus. Ohne genaue Gründe werden Reiseverbote oder andere Sanktionen verhängt. In einigen Fällen wohl, weil die Beschuldigten ihre politische Meinung äußerten. Dazu kommt, dass Frauen in Katar kaum Rechte haben. Ein Beispiel: Frauen brauchen in Katar bis zum 25. Lebensjahr eine Erlaubnis von einem männlichen Vormund, um Verträge abzuschließen oder das Land zu verlassen. Außerdem ist Homosexualität gesetzlich verboten. Leute der LGBTQ-Community müssen mit Gefängnisstrafen oder Peitschenhieben als Bestrafung rechnen.

Zudem sind die Bedingungen der ausländischen Arbeiter auf den WM-Baustellen menschenunwürdig. Laut einer 2014 veröffentlichte Studie vom Internationalen Gewerkschaftsbund soll bei 50 °C Hitze pausenlos gearbeitet werden, mangelt es an Lebensmitteln und Trinkwasser, die Arbeitssicherheit ist ungenügend und es gibt zudem eine medizinische Unterversorgung sowie Gewalt gegen Arbeitsende. Dazu kommt noch, dass die Unterkünfte überfüllt und völlig verdreckt sein sollen. Laut Amnesty International sind zwischen 2010 und 2019 schätzungsweise 15.000 Arbeiter aufgrund dieser katastrophalen Umstände gestorben. In den meisten Fällen kamen sie aus Indien, Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka.

Katar verspricht Besserung

Katar ist das alles durchaus bewusst und genauso bewusst ist es dem Wüstenstaat, dass die Weltöffentlichkeit davon Bescheid weiß. Deshalb hat das Land Verbesserungen versprochen und vermeintlich auch umgesetzt. Die katarische Botschaft in Berlin hat Ende Dezember 2021 einen Rückblick auf die Reformen seines Landes veröffentlicht. In dem Schreiben heißt es unter anderem, dass neben der Abschaffung des Kafala Systems, auch ein Mindestlohn festgesetzt wurde.

Was ist das Kafala System?
„Das Kafala-System stammt ursprünglich aus den Golfstaaten und wurde im Libanon während des Bürgerkriegs eingeführt. Die Rechte von ausländischen Hausangestellten werden nicht vom allgemeinen Arbeitsrecht geschützt. Dies führt dazu, dass die Arbeiter oftmals wie Eigentum behandelt werden. Sponsoren besitzen die volle Kontrolle über die Rechte und den Residenzstatus ihrer Haushaltshilfen. In dieser Lage sind die Arbeiter besonders stark den Risiken von Ausbeutung und Misshandlung ausgesetzt.“ (Quelle: Goethe Institut)

Hinzu kommt die Einführung einer Krankenversicherung für Arbeitnehmer, ein Verbot bei großer Hitze zu arbeiten und die Möglichkeit Ein- und Auszureisen, ohne sich die Erlaubnis des Arbeitgebers einzuholen. Doch in der Praxis zeichnet sich laut Amnesty International ein anderes Bild ab: „Die Fortschritte 2021 stagnieren und alte, missbräuchliche Praktiken tauchen wieder auf.“

Die WM nutzen, um tatsächlich etwas zu ändern

Doch sollte deswegen die Weltmeisterschaft boykottiert werden? Nein, finden Joachim Löw und Joshua Kimmich. Auf einer Pressekonferenz Ende März 2021 haben sich zu einem möglichen Boykott geäußert: „Ein Boykott hilft niemandem. Man kann mit so einem Turnier Aufmerksamkeit in der ganzen Welt erzeugen und Dinge in die richtige Richtung bringen“, sagte Löw.

„Generell bin ich der Meinung, dass wir für einen Boykott zehn Jahre zu spät dran sind.“

Der Spieler des FC Bayern fügte kurz danach hinzu: „Generell bin ich der Meinung, dass wir für einen Boykott zehn Jahre zu spät dran sind.“ Dazu ist ein Boykott der WM in Katar von der deutschen Nationalmannschaft utopisch. Dafür ist es schlichtweg zu spät. Es würde nur ein schlechtes Gewissen bereinigen, aber die Lage nicht verbessern. Weltweit und vor allem auch in Deutschland gibt es viel zu viele Leute, die am längeren Hebel sitzen und von der WM in Katar profitieren. Der Staat Katar besitzt beispielsweise 17 Prozent der Volkswagen-Aktien und finanziert so den VfL Wolfsburg indirekt. Außerdem ist das Emirat Katar ein Sponsor des FC Bayern.

Ein Boykott ändert nichts

Mit einem Boykott der deutschen Nationalmannschaft und der Fans würde ein deutliches Zeichen gegen die Perversität des Fußballgeschäftes gesetzt werden. Eine WM in Winter? Eine mit aller Wahrscheinlichkeit gekaufte WM und das alles in einem Land, dass sich so gut wie gar nicht um die Rechte von Menschen kümmert? Das hat nichts mehr mit dem Sport Fußball zu tun. Hier geht es einzig und allein um Macht- und Geldinteressen von einigen wenigen. Soweit so gut.

Doch die WM muss genutzt werden, um auf die prekäre Lage in dem Land aufmerksam zu machen. Die deutsche Nationalmannschaft ist vor dem WM-Quali Spiel gegen Island im März 2021 mit T-Shirts aufgelaufen mit der Aufschrift „Human Rights“. Ähnliche Aktionen gemeinsam von mehreren Mannschaften vor den WM-Spielen würden klar und deutlich auf die Lage aufmerksam machen. Dazu sollten Vereine, wie Bayern und Wolfsburg, Katar in jeglicher Hinsicht ausschließen. Korrupte Funktionäre der Fifa müssen durch juristische Maßnahmen zum Rücktritt gezwungen werden. Doch Geld regiert die Welt. Das ganze Fußballsystem ist kaputt und ein Boykott würde nichts an der Lage ändern.

Beitragsbild: QuinceCreative/pixabay

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