Im Nordwesten Syriens wurde der Anführer der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) bei einem US-Militäreinsatz getötet. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Und warum wurde in den vergangenen Jahren weniger über Syrien und den IS berichtet?
Der US-Präsident Joe Biden hat am Donnerstag (03.02.) den Tod des IS-Anführers Abu Ibrahim al-Haschimi al-Kuraschi bestätigt. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag sind US-Spezialkräfte in Hubschraubern nach Syrien geflogen, um den Anführer der Terrormiliz zur Strecke zu bringen. Aufgrund der Umzingelung durch die Soldaten habe Al-Kuraschi sich und seine Familie in „einem finalen Akt von verzweifelter Feigheit“ in die Luft gesprengt, erklärte der US-Präsident Joe Biden.
Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums konnte Al-Kuraschis Leiche anhand von Fingerabdrücken und DNA-Proben eindeutig identifiziert werden. Die Anti-Terror-Mission des US-Militärs habe eine „große terroristische Bedrohung“ eliminiert und damit „die Welt zu einem sichereren Ort gemacht“, so Biden. Zusammen mit der Vizepräsidentin Kamala Harris habe er den Einsatz live im Weißen Haus mitverfolgt.
Last night, operating on my orders, U.S. military forces successfully removed a major terrorist threat to the world: the global leader of ISIS.
Thanks to the bravery of our troops, this horrible terrorist leader is no more.
— President Biden (@POTUS) February 3, 2022
13 Zivilisten bei den Gefechten in Syrien getötet
Laut der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden bei den Gefechten, die nach Aussagen von Anwohnern rund drei Stunden andauerten, 13 Zivilist*innen, darunter auch vier Kinder, getötet. Die US-Regierung erklärte, dass der Widerstand des IS-Führers für alle Opfer verantwortlich war.
Die Vereinten Nationen (UN) haben sich jedoch kritisch zu dem Einsatz des US-Militärs geäußert. „Wir nehmen mit Besorgnis Berichte über zivile Opfer zur Kenntnis“, erklärte der UN-Sprecher Farhan Haq. Der Schutz von Zivilist*innen müsse von allen Beteiligten in dem Konflikt sichergestellt werden. Der US-Verteidigunsminister Llyod Austin erklärte, dass nun überprüft werde, ob Zivilist*innen auch durch Handlungen der amerikanischen Einsatzkräfte verletzt wurden. Bei dem Einsatz sollen jedoch keine US-Soldat*innen zu Schaden gekommen sein, berichtete Biden.
Wer war Al-Kuraschi?
Al-Kuraschi war seit 2019 Anführer des „Islamischen Staates“. „Er kontrollierte das weltweite Netzwerk der IS-Ableger von Afrika bis Afghanistan“, erklärte ein ranghoher Beamter der US-Regierung am Donnerstag. Außerdem war er 2014 einer der Hauptverantwortlichen beim Völkermord an der religiösen Minderheit der Jesiden im Nordirak.
Nun ereilte ihn dasselbe Schicksal wie seinen Vorgänger Abu Bakr al-Bagdadi. Im Herbst 2019 wurde der vorherige IS-Anführer, nur wenige Kilometer von Al-Kuraschis Wohnort entfernt, ebenfalls bei einem US-Militäreinsatz getötet. Nach seinem Tod wurde Al-Kuraschi zum neuen Anführer der Terrormiliz ernannt.
Ist der IS nun besiegt?
Dadurch stellt sich nun die Frage, ob der Tod des Anführers wirklich etwas bewirkt hat oder ob nun wieder ein neuer Anführer benannt wird und der IS weiterhin für Terror im Nahen Osten sorgt. Joe Biden ist der Meinung, dass der Einsatz in Syrien ein Zeichen setzt. Seine Ansage an die Terroristen der Welt lautet: „Wir sind hinter euch her und werden euch finden.“
Der FAZ-Redakteur und Nahost-Experte Rainer Hermann sieht hingegen nur einen Etappensieg im langen Kampf gegen den IS. „Der Tod des Anführers des ,Islamischen Staates’ sollte nicht zu falschen Hoffnungen verleiten“, heißt es in seinem Kommentar. Denn auch nach dem Tod des vorherigen IS-Oberhauptes Al-Bagdadi habe der IS weitere Anschläge verübt. So seien im Januar bei einem Angriff auf ein syrisches Gefängnis mehr als 300 Menschen getötet worden.
Verliert die Situation in Syrien an Relevanz?
In den vergangenen Jahren wurde in den deutschen Medien immer weniger über Syrien und den IS berichtet. Dabei hat sich die Situation in dem Bürgerkriegsland kaum verbessert und die Terrormiliz verübt weiterhin regelmäßig Anschläge. Warum also ist es in den Nachrichten so still um Syrien geworden?
In einer Studie der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz wurde festgestellt, dass die Berichterstattung über Flucht und Migration zwischen 2016 und 2020 fast kontinuierlich zurückgegangen ist. „Das Flüchtlingsthema verlor für die deutschen Medien in dem Moment weitgehend an Relevanz, als die Zahl der nach Deutschland kommenden Geflüchteten deutlich zurückging“, heißt es in der Studie. Eine mögliche Schlussfolgerung aus diesen Ergebnissen könnte sein, dass der Krieg und Terror in Syrien weniger mediale Relevanz hat, wenn Deutschland selbst weniger betroffen ist.
„Medien-Müdigkeit“
Die libanesische Journalistin Vanessa Bassil nennt eine andere Erklärung für die abnehmende Berichterstattung: „Jeder Konflikt und jede Krise in der Welt erreicht einen Punkt, an dem er eine ,Medien-Müdigkeit’ erfährt.“ Diese „Medien-Müdigkeit“ sorge für ein geringeres Interesse an langandauernden Konflikten, die oft durch neue, aktuelle Themen abgelöst werden. Der Krieg in Syrien dauert nun schon zehn Jahre an, somit wäre eine gewisse „Medien-Müdigkeit“ zu dem Thema durchaus möglich.
Vanessa Bassil kritisiert jedoch, dass über den Nahen Osten nur im Rahmen von Krisen und Krieg berichtet wird. Doch dies seien nicht die einzigen erwähnenswerten Ereignisse der Region. „Im Nahen Osten geht es nicht nur um Gewalt und die Region ist definitiv nicht alleine für Terrorismus verantwortlich“, erklärt sie.
Beitragsbild: Photo by Levi Meir Clancy on Unsplash