Kommentar: Die Corona-Krise als Chance für eine bessere Lehre 

Die Corona-Krise zwingt die Hochschulen, auf digitale Lehrangebote umzusteigen. Weil in Zeiten von “Social Distancing” kein regulärer Lehrbetrieb mehr möglich ist, finden Vorlesungen, Seminare, Tutorien und Übungen vorübergehend online statt. Digitale Lehrangebote stellen Studierende und Dozierende zunächst vor Herausforderungen. Sie waren aber längst überfällig.   

Deutsche Hochschulen müssen in Sachen Digitalisierung aufholen. Das zeigt die Studie “Digitalisierung an den Hochschulen” der Expertenkommission Forschung und Innovation aus dem Februar 2019. Darin wurden die Hochschulleitungen nach ihrer Einschätzung zum Stand der Digitalisierung an ihrer Einrichtung befragt. Die Ergebnisse: Nur knapp 30 Prozent der deutschen Hochschulen stuften den Stand der Digitalisierung als eher hoch ein. Mehr als die Hälfte gab an, dass Vorlesungsaufzeichnungen höchstens in geringem Maße angeboten werden. Mobile Lernangebote wie Videokonferenzen fanden an mehr als einem Drittel der deutschen Hochschulen kaum bis gar nicht statt. Demgegenüber bewerteten mehr als drei Viertel der Hochschulleitungen den Stellenwert der Digitalisierung für die Lehre als hoch oder sehr hoch. 

Die Politik hat zwar grundsätzlich erkannt, dass im Bereich digitaler Lernangeboten Handlungsbedarf besteht – im März 2019 beschloss der Bundestag im Rahmen des “Digitalpakts Schule”, mehr als fünf Milliarden Euro in die digitale Infrastruktur der Schulen zu stecken. Ein vergleichbares Paket für Hochschulen steht aber weiterhin aus. Das Land NRW unterstützt die Universitäten nur für die Dauer des Sommersemesters. 

Flexibler durch’s Studium mit digitalen Lehrformaten 

Dabei zeigen sich gerade in der Corona-Krise die Vorteile digitaler Lehrformate. Sie ermöglichen es uns Studierenden in erster Linie, viel flexibler zu studieren. Ich muss keine Vorlesungen mehr besuchen, um die Inhalte der Präsentationen zu verstehen. Die Antworten auf meine Fragen finde ich in aufgezeichneten Vorlesungen und in kurzen Erklärvideos, die mir meine Dozierenden online zur Verfügung stellen. Ich kann mir die Inhalte meiner Vorlesungen in meinem eigenen Tempo erarbeiten und das wann und wo ich will. Das entlastet mich, weil ich wie viele Studierende neben dem Studium arbeite. 

Meine Seminare finden jetzt über Tools wie “Webex” und “Zoom” statt. Die ermöglichen es mir nicht nur, Videokonferenzen durchzuführen. Ich kann dort auch mit meinen Kommiliton*innen chatten, in digitalen Arbeitsräumen an Gruppenarbeiten teilnehmen und Inhalte freigeben. Referate sind so problemlos möglich. Die Literatur besorge ich mir digital über den Katalog der Universitätsbibliothek. Kurzum: Mit den neuen Tools kann ich ohne großen Aufwand von zu Hause aus studieren.

Technische Hürden und psychische Belastungen 

Natürlich sind mit den neuen Lern-Tools auch Probleme verbunden. Was mache ich, wenn mein Internet mal wieder streikt? Wie soll ich an Konferenzen teilnehmen, wenn mein Mikrofon kaputt ist oder ich keine Kamera habe? Diese Fragen stellen sich gerade viele Studierende. Lösungen müssen sie selber finden. 

Neben technischen Hürden sind Videokonferenzen auch mit psychischen Belastungen verbunden. Das gilt insbesondere für Blockseminare: Das stundenlange Starren auf den Computerbildschirm macht müde, der Austausch mit Freunden in der Fünf-Minuten-Pause fehlt. Die Konzentration leidet auch unter der räumliche Distanz zum Dozierenden und den Seminarteilnehmer*innen. Ich zumindest schweife schneller ab, wenn mich jemand nicht direkt, face-to-face, anspricht. 

Mehr Organisation und Selbstdisziplin gefordert 

Darüber hinaus geht die Dynamik in Diskussionen bei den Videokonferenzen verloren, weil sie nur mit klaren Regeln möglich sind. Wenn ich etwas sagen will, muss ich Hand heben und darauf hoffen, dass die Seminarleitung mich in der Masse der Videokacheln nicht übersieht. Spontane Reaktionen sind so nicht möglich. 

Auch digitale Vorlesungen sind mit Herausforderungen verbunden. Viele Studierende haben Probleme, sich zuhause zu konzentrieren. Einigen dürfte es schwer fallen, sich die Zeit für die Erarbeitung der Inhalte sinnvoll einzuteilen. Die neuen digitale Lehrformen erfordern insgesamt mehr Organisation und Selbstdisziplin. Andererseits sind das auch Eigenschaften, die ohnehin im Studium gefordert sind. 

Fazit: Digitale Lehrformate verbessern die Qualität der Lehre

Die Corona-Krise offenbart uns gerade die Vorteile der digitalen Lehre. Vorlesungsaufzeichnungen und Videokonferenz-Tools sorgen vor allem für mehr Flexibilität im Studium. Auf der anderen Seite zeigt uns das “Corona-Semester” auch, dass digitale Lehrformate nicht alle Veranstaltungen ersetzen können. Das gilt insbesondere für Seminare, die enorm unter der räumlichen Distanz zwischen den Studierenden leiden. Trotzdem steht fest: Wenn digitale Lehrformate auch in Zukunft dort eingesetzt werden, wo sie sinnvoll sind, verbessern sie die Qualität der Lehre. Um das zu gewährleisten, brauchen die Hochschulen allerdings Geld für Software und Infrastruktur. Hier ist der Bund gefordert. Nach dem “Digitalpakt Schule” ist es höchste Zeit für den “Digitalpakt Uni”! 

Beitragsbild: Julia Cameron/pexels

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