Das Problem mit den Olympischen Winterspielen in China

Das Feuer ist entzündet – die Olympischen Winterspiele 2022 haben begonnen. Athletinnen und Athleten aus aller Welt sind mittendrin im Kampf um die prestigeträchtigen Medaillen. Bei den diesjährigen Spielen gibt es allerdings ein Problem: der Austragungsort. Der IOC entschied sich für die Volksrepublik China. Im Vorfeld hagelte es Kritik von allen Seiten. Die USA boykottieren die Spiele diplomatisch. Andere Länder schlossen sich an. Es ist nicht das erste Mal, dass Politik den Sport überschattet.     

Die Entscheidung über den Austragungsort der Olympischen Winterspielen 2022 fiel im Juli 2015. Als einzige Bewerber waren die chinesische Metropole Peking und die kasachische Großstadt Almaty im Rennen. Peking setzte sich in einem Kopf-an-Kopf-Rennen durch und ist damit die erste Stadt in der Geschichte, die sowohl Sommer- als auch Winterspiele austrägt. Als die Olympischen Sommerspiele 2008 stattfinden, war die politische Lage in der Volksrepublik China noch anders. Seitdem hat sich vieles fundamental verändert.

Machtübernahme von Xi Jinping

Vor 14 Jahren trug die Volksrepublik China zum ersten Mal in der Geschichte des Landes Olympische Spiele aus. Damals war nicht absehbar, in welche Richtung sich das Land in nachfolgender Zeit entwickeln würde. Die damalige Austragung wurde als Chance für die chinesische Regierung betrachtet, sich als Land politischer Offenheit zu präsentieren. Spätestens mit dem Amtsantritt von Xi Jinping als Staatspräsident im Jahr 2013 hatte sich diese Illusion aufgelöst. Jinping leitete institutionelle Reformen für den Partei- und Staatsapparat ein, um die Monopolstellung der KPCh (Kommunistische Partei Chinas) zu vertiefen und die eigene Ideologie ungehindert verbreiten zu können.

Darüber hinaus reifte die Volksrepublik China innerhalb des letzten Jahrzehnts zum zweitwichtigsten Akteur im internationalen System. Dies gelang vor allem durch ungebremstes Wirtschaftswachstum. Die KPCh plante eine groß angelegte Modernisierung des Militärs und hatte den Anspruch, im Technologiesektor eine führende Rolle zu übernehmen. Bis heute ist das langfristige wirtschaftliche Ziel der chinesischen Regierung, die Exporte herunterzufahren und den Binnenmarkt zu stärken. Jinping möchte die Abhängigkeit von anderen Ländern minimieren. Damit würde sich China in eine bedrohliche Machtposition auf dem Weltmarkt bringen.

In der medialen Debatte besteht Konsens darüber, dass bereits jetzt Macht von bedenklichem Ausmaß von China ausgeht. Die Austragung der Olympischen Winterspiele 2022 spielt dem Land zusätzlich in die Karten. Wie so oft fungiert der Sport als Polierstein für das eigene Image. Die Spiele ermöglichen der Regierung, sich mit schönen Bildern ins gewünschte Licht zu stellen. Bilder, die über beängstigende politische Machenschaften hinwegtäuschen sollen.

Unterdrückung von Minderheiten

Patrick Kessler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Politik und Außenpolitik der Universität zu Köln, sieht zwei zentrale Problemzonen, die die Volksrepublik China als legitimen Ausrichter für ein globales Sportereignis ausschließen: die Unterdrückung von Minderheiten und der Umgang mit Taiwan. Seit einiger Zeit sind beide Themen in der internationalen Berichterstattung omnipräsent. Dennoch stellen sich Außenstehende die Frage: Worum geht es da konkret?

Im Zentrum der Unterdrückung stehen die Uiguren. Das Volk ist mit rund zehn Millionen Menschen die zweitgrößte muslimische Bevölkerungsgruppe in China. Die Regierung Pekings wirft den Uiguren Terrorismus vor. In der Vergangenheit hat die Regierung radikale Maßnahmen ergriffen, um die Bevölkerungsgruppe zu unterdrücken. „Die massive Ausweitung der technologisierten Überwachung mit Hilfe Künstlicher Intelligenz-gestützter Gesichtserkennung ermöglicht eine derartige Repression“, erklärt Kessler. Die KPCh sei allerdings noch einen Schritt weiter gegangen. In der autonomen Region Xinjiang wurden rund eine Million Uiguren in „Umerziehungszentren“ gebracht, in denen ihnen gewaltvoll Religion, Kultur und Sprache aufgezwungen werden. Der menschenverachtende Umgang mit den Uiguren sei nur ein Beispiel für Repression durch das politische System.

Gleichzeitig befindet sich die Volksrepublik China seit mehr als 70 Jahren in einem Konflikt mit Taiwan. Die Lage scheint sich aktuell zuzuspitzen. Die KPCh sieht Taiwan als Teil ihres Territoriums, obwohl sie die Region nie kontrolliert hat. Bereits 2019 forderte Präsident Xi Jinping eine Wiedervereinigung. Seitdem hat die Regierung unzählige Militärmanöver in der Taiwan-Straße veranlasst. Die Botschaft der chinesischen Streitkräfte ist eindeutig: Die Volksrepublik will die Wiedervereinigung – wenn nötig mit gewaltsamen Mitteln.

Winterspiele in schneearmer Region

Die Probleme mit den Olympischen Winterspielen 2022 gehen über die politische Situation in der Volksrepublik China hinaus. Bei der Austragung der Spiele kann das Land keine Nachhaltigkeit gewährleisten. Dabei beschränkt sich der Nachhaltigkeitsaspekt nicht auf die ökologische Dimension. Nils Stockmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Juniorprofessur für Global Environmental Governance der WWU Münster, befürchtet eine Gefährdung von Nachhaltigkeit auf drei Ebenen: ökologisch, ökonomisch, sozial.

Warum die Austragung der Spiele ökologisch nicht nachhaltig ist, liegt auf der Hand. Die Wettkampfstätten Yanqing und Zhangjiakou sind zwar hoch gelegen, gelten aber als schneearme Regionen. Die meisten Disziplinen der Winterspiele erfordern allerdings Schnee. Wie schon bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 benötigten die Veranstalter daher immense Mengen an Kunstschnee. Stockmann erklärt, warum diese Maßnahme problematisch ist: „Die Produktion ist ungemein energieintensiv und sorgt damit vor dem Hintergrund des derzeitigen, immer noch noch stark auf fossile Ressourcen beruhenden chinesischen Energiemixes für einen massiven Ausstoß klimaschädlicher Emissionen.“

Die Produktion des Kunstschnees habe außerdem lokale ökologische Effekte. Die Regionen Yanqing und Zhangjiakou hätten bereits vor der Austragung mit strukturellem Wassermangel zu kämpfen gehabt. Durch die Produktion könne sich das Problem verschärfen. Zusätzlich habe die Vergangenheit gezeigt, dass die Präparierung von Pisten und Loipen schwerwiegende Folgen für das Ökosystem mit sich bringe. Die Ansammlung von Athlet*innen und Tourist*innen führe zu erheblicher Müllverschmutzung und einem enormen Flächenverbrauch. Falls sich die Pläne der chinesischen Regierung realisieren, die Pisten nach den Spielen weiter zu betreiben, würden die beschriebenen Folgen andauern.

Regierung hofft auf Wintersport-Boom

Neben der offensichtlichen Dimension der Nachhaltigkeit auf ökologischer Ebene sieht Stockmann auch die ökonomische Nachhaltigkeit als bedroht. Die chinesische Regierung verspreche der Bevölkerung, dass durch einen anhaltenden Wintersport-Boom neue Beschäftigungsmöglichkeiten entstehen würden. Dadurch würde zumindest die Unterschicht von der Austragung der Spiele profitieren. Stockmann zweifelt die versprochene ökonomische Nachhaltigkeit jedoch an: „Bereits jetzt ist klar absehbar, dass die massiven Investitionen in das Prestigeprojekt Olympia in vielen Fällen wohl kaum langfristig rentabel sein werden.“ Er verweist auf die Olympischen Spiele und die Fußball-WM in Brasilien. Dort machte die Regierung ähnliche Versprechungen. Allerdings ist der Großteil der Wettkampfstätten heute unbenutzt. Das Finalstadion Maracanã glich zwischenzeitlich einer Müllhalde.

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Die soziale Dimension ist als letzte Ebene der Nachhaltigkeit am schwierigsten zu bewerten. Der soziale Effekt der Olympischen Spiele hänge laut Stockmann eng mit den anderen beiden Dimensionen zusammen. So würden ökologische Probleme wie Wassermangel oder Flächennutzung häufig zulasten der sozial marginalisierten Bevölkerung gehen. Im Zusammenhang mit der Austragung sei außerdem eine Umsiedlung von Dörfern und ein Ungleichgewicht im Zugang zu Strom und Wasser zu dokumentieren. Stockmann prognostiziert: „Vom erhofften ,Wintersport Boom’ wird vor allem die chinesische Mittel- und Oberschicht profitieren und sich die soziale Spaltung des Landes weiter verschärfen.“ Gleichzeitig betont er auch, dass man – unabhängig von jeglichen sozialen Effekten – mit dem Hintergrund der Menschenrechtsverletzungen von keiner sozialen Nachhaltigkeit sprechen kann.

Die chinesische Regierung und das Internationale Olympische Kommitee (IOC) bemühen sich, die Olympischen Winterspiele 2022 als „nachhaltiges“ Sportereignis zu bewerben. Mehrfach wiesen die Veranstalter auf die Nutzung von Wettkampfstätten und Anlagen von Olympia 2008 hin. Trotz der Aussagen fällt Nils Stockmann ein eindeutiges Urteil: “Die Olympischen Winterspiele in Peking sind aus Nachhaltigkeitsperspektive in ökologischer, ökonomischer und sozialer Perspektive durchaus kritisch zu bewerten sind.” Die Darstellung als Vorzeigeland für Nachhaltigkeit sind ein weiteres Indiz für die chinesische Idee, die mit der Austragung verbunden ist. Patrick Kessler hält dahingehend fest: “Internationale Großereignisse wie die Olympischen Spiele sollen das Image eines effizienten politischen Systems fördern.”

Politisierung von Sportereignissen

Der Blick auf die vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen globalen Sportereignisse hinterlässt den Eindruck, dass große Events zunehmend politischer werden. 2018 fand die Fußball-WM in Russland statt, aktuell werden die Olympischen Winterspiele in China ausgetragen und Ende des Jahres steht die Weltmeisterschaft in Katar an. Russland, China und Katar – drei Länder, die sich nicht konsequent bis gar nicht an demokratische Standards halten. Erleben wir eine „Politisierung“ von Sportevents?

Diese Frage lässt sich nicht präzise beantworten. Allerdings ist festzuhalten, dass derartige Großereignisse schon früher politisch relevant waren. Auch wenn die Austragungsländer immer betonten, dass es allein um den Sport gehe, werden diese Events schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts politisch beeinflusst. Die Austragung der Olympischen Spiele bot schon immer die Möglichkeit, sich auf der politischen Weltbühne zu inszenieren. Laut Sportpolitikexperte Nils Stockmann ist das kein neues Phänomen.

Nach Stockmanns Einschätzung entsteht der Eindruck einer zunehmenden Politisierung vor allem dadurch, dass eine erfolgreiche Inszenierung in der heutigen Zeit nicht so einfach möglich ist. Für ihn spielt Social Media da eine zentrale Rolle: „Risse werden sichtbarer, da Betroffene und Aktivist*innen in den Sozialen Medien und im medialen Diskurs ungefiltert Menschenrechtsverletzungen, Nachhaltigkeitsprobleme und demokratische Defizite im Kontext von Sportveranstaltungen deutlich machen.“ Die Aufmerksamkeit, die mit der Austragung einhergeht, könne dadurch auch zur „Bühne für widerständigen Protest“ werden.

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So ist bei all den Problemen rund um ein Großereignis wie in diesem Fall die Olympischen Winterspiele 2022 in Peking zumindest positiv festzuhalten, dass diese Probleme bekannt sind und in der breiten Öffentlichkeit über Lösungen diskutiert wird. Das macht die Wahl eines Landes mit repressiver Regierung als Austragungsort zwar nicht vertretbarer, sorgt aber im Idealfall dafür, dass die öffentliche Inszenierung als weltoffenes und nachhaltiges Land von Jinping weniger erfolgreich gelingt.

Beitragsbild: diego_torres via pixabay

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