Sag mal Prof: Wie verändert Einsamkeit das Gehirn?

Corona stellt unser Leben in vielerlei Hinsicht auf den Kopf. Der Krankheitsverlauf, aber auch die Quarantäne während einer Infektion ist psychologisch nicht zu unterschätzen. Nicht auszudenken, wie es sich anfühlen muss, wenn  man nicht nur zwei Wochen, sondern über mehrere Jahre alleine ist. Aber Sag mal Prof, wie verändert Einsamkeit das Gehirn? Neurowissenschaftlerin Dr. Hannah Schade warnt vor sozialer Isolation.

Fehlende soziale Kontakte lösen in uns das Gefühl von Einsamkeit aus. Denn Gemeinschaft gehört zu unseren Grundbedürfnissen und ist damit lebensnotwendig. Jeder Mensch teilt dieses Bedürfnis. Es ist evolutionär bedingt. Schon unsere Vorfahren haben erkannt, dass es in einer Gruppe mit Arbeitsteilung leichter ist zu überleben. Empfinden wir hingegen dauerhaft einen Mangel an sozialen Kontakten – also Einsamkeit – wirkt sich das negativ auf unser Gehirn aus.

Dr. Hannah Schade ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Psychologie- und Neurowissenschaften im Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (Foto: Leibniz-Institut für Arbeitsforschung)

Und zwar besonders auf den Hippocampus und die Amygdala. Diese beiden Bereiche unseres Gehirns sind für unser Erinnerungsvermögen zuständig und regulieren unsere Emotionen. Bei einsamen älteren Menschen können daher zum Beispiel häufiger Gedächtnislücken auftreten. Sie können sich Namen schlechter merken und haben ein erhöhtes Risiko, an Demenz zu erkranken. Extreme Fälle von dauerhafter Einsamkeit verlernen auch soziale Fähigkeiten, wie einen Gesichtsausdruck zu deuten. Menschen, die jahrzehntelang in Einzelhaft eingesperrt sind, können gewisse Stimuli nicht mehr korrekt interpretieren. Sie nehmen etwa Gesichtsausdrücke viel negativer wahr als sie gemeint sind. Hebt jemand zum Beispiel verwundert die Augenbraue, kann das fälschlicherweise als offene Feindseligkeit interpretiert werden. Das alles geschieht nach dem „Use-it-or-lose-it-Prinzip“: Wenn unser Gehirn bestimmte Aufgaben der sozialen Interaktion nie bewältigen muss, werden die dafür benötigten Kapazitäten in andere Bereiche des Gehirns verlagert. Einsame Menschen neigen zum Beispiel dazu, sich soziale Interaktionen vorzustellen. Die Bereiche des Gehirns, die für die Vorstellungskraft zuständig sind, werden also verstärkt beansprucht. Gleichzeitig bildet sich die soziale Intelligenz zurück. Allerdings ist dieser Vorgang reversibel. Bei einer Resozialisierung können unsere Gehirnkapazitäten neu ausgerichtet werden.

Wenn uns das Bedürfnis, dazu zugehören verwehrt wird, aktiviert sich in unserem Gehirn der anteriore singuläre Kortex. Der löst physische und psychische Schmerzen aus. Bei einer extremen Situation des sozialen Ausschlusses wie zum Beispiel einer Trennung oder dem Verlust eines geliebten Menschen kann das sogar zu herzinfakt-ähnlichen Beschwerden führen. Dieses „Broken-Heart-Syndrom“ kann sogar lebensbedrohlich sein.

Generell steigert Einsamkeit die Mortalitätsrate, sogar vergleichbar mit Tabakkonsum. Wenn wir nicht unterstützt werden, bewältigen wir unseren Alltag schlechter und unsere Lebensqualität und Lebensfreude nimmt ab. Ohne Kommunikation mit anderen Menschen, die uns fordert, ist es wahrscheinlicher an Demenz zu erkranken. Das führt zu einer geringeren Lebenserwartung.  Zu Pandemiehochphasen, in denen viele Menschen Gefahr laufen, sich einsam zu fühlen, ist es daher wichtig, besonders wertvolle soziale Interaktionen zu pflegen. Zum Beispiel jemandem zu helfen oder um Hilfe zu bitten und diese zu erhalten. Solche Vorgänge sind Balsam für unser soziales Wohlbefinden und halten unser Gehirn fit.

 Beitragsbild: Warren Wong/unsplash

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