Interview: So müssten wir mit Verschwörungstheorien umgehen

Prof. Michael Butter ist ehemaliger Vorsitzender des europäischen Forschungsnetzwerkes zu Verschwörungstheorien. Im Interview spricht er über die Treiber dieser Theorien, die Aufklärungsarbeit und was in der Politik noch zu tun ist.

9/11, Corona, der Ukraine-Krieg – diese Ereignisse haben eine Welle von Verschwörungstheorien ausgelöst. Damit sind sie zwar der Anlass der Verschwörungstheorien. Warum aber entstehen die Theorien überhaupt?
Weil Menschen nach Erklärungen suchen. Oft ist es so, dass es die Theorien bereits gibt und die Ereignisse dann einfach in diese eingegliedert werden. Seltener kommt es vor, dass Verschwörungstheorien einfach zynisch erfunden werden, um Leute zu manipulieren und dann als Fake News verbreitet zu werden.

Gibt es Plattformen oder Treiber über die Verschwörungstheorien besonders verbreitet werden?
Das kommt ganz darauf an, welches Land man sich anguckt. Hier in Deutschland ist es so, dass sich Verschwörungstheorien vor allem über die ,,alternativen Medien‘‘ verbreiten. Also die Medienquellen, die sich durch ihre Berichterstattung von den Massenmedien abheben. Sie stellen Sachverhalte oft absichtlich falsch dar oder beziehen sich auf unwissenschaftliche Informationen. Das Ziel ist dabei, bestimmte politische Ansichten zu verbreiten oder eben Verschwörungstheorien zu streuen. In Russland hingegen ist die Verbreitung Teil der Staatspropaganda. Da werden die Theorien über offizielle Kanäle vermittelt von zum Beispiel Politikern wie Wladimir Putin, ideologischen Meinungsmachern wie Alexander Dugin oder auch von den Moderatoren von Nachrichtensendungen und Talk-Shows.

In Zusammenhang mit dem Ukraine-Kriegs werden auch hier bei uns viele Verschwörungstheorien verbreitet – warum passiert das gerade jetzt?
Die Verschwörungstheorien hinsichtlich des Ukraine-Kriegs sind gar nicht so neu. Das sind fast alles Theorien, die in Russland seit 2014 verbreitet werden. Damals haben wir hier im Westen alle Theorien ignoriert und jetzt benutzt Russland sie, um einen Krieg zu legitimieren. Diese Theorien entstehen also nicht jetzt, sondern gelangen gerade erst bei uns an die Öffentlichkeit.

Sind Verschwörungstheorien immer gefährlich?
Nein, nicht jede Theorie ist gefährlich und nicht jede Theorie muss unbedingt bekämpft werden. Bedrohlich wird es nur, wenn mit den Theorien gegen geltende Gesetze verstoßen wird. Dann sollte man juristisch gegen sie vorgehen. Ansonsten sind Verschwörungstheorien auch etwas, was eine freie Gesellschaft aushalten muss.

Prof. Dr. Michael Butter forscht seit über 15 Jahren zu Verschwörungstheorien (Foto: Universität Tübingen, Berthold Steinhilber)

Was ist der effektivste Weg, um eine bedrohliche Verschwörungstheorie zu bekämpfen?
Sobald die Theorie besteht, ist es schwierig, sie wieder verschwinden zu lassen. Die Forschung weiß, dass Prebunking deutlich besser funktioniert als Debunking. Heißt, Menschen im Vorhinein aufzuklären über Verschwörungstheorien ist deutlich sinnvoller, als im Nachhinein zu versuchen, die Ideen aus den Köpfen zu vertreiben. Bildungsarbeit und ein gutes Beratungssystem sind wichtig, gerade für die Menschen, die sich mit Verschwörungstheorien auseinandersetzen müssen, etwa weil Familienmitglieder daran glauben.

Was wird konkret gemacht, um Verschwörungstheorien vorzubeugen?
Es gibt mittlerweile viele Organisationen, die zu Verschwörungstheorien publizieren und Aufklärungsarbeit leisten. Oft stimmen deren Aussagen jedoch nicht mit dem überein, was wir in der Wissenschaft über Verschwörungstheorien wissen. Diese Organisationen gehen in ihrer Arbeit häufig von nichtzutreffenden Prämissen aus oder basieren ihre Studien auf falschen Annahmen. Sie stellen zum Beispiel einen Zusammenhang dar zwischen Verschwörungstheorien und Antisemitismus. Oft wird geschildert, dass diese beiden Felder nicht ohne einander existieren könnten und quasi voneinander abhängig sind. Der Zusammenhang ist aber eigentlich gar nicht so eng und natürlich, wie es behauptet wird. Oft wird mit solchen falschen Aussagen und Annahmen einfach nur Panik in der Gesellschaft geschürt. Das ist sehr kontraproduktiv, weil die Menschen ja eigentlich aufgeklärt und informiert werden sollen. Ich persönlich finde, dass die Bundeszentrale für politische Bildung gute Angebote zu Verschwörungstheorien hat. Auf deren Website findet man Links zu Büchern, Podcasts und Videos, über die man sich selbst zu dem Thema informieren kann. Und Beratungsstellen wie Veritas bieten auch viel Hilfe für Betroffene.

Wie sieht es in der Politik aus – wird da genug gemacht?
In der Politik passiert relativ wenig. In den letzten Jahren war ich an sehr vielen Podiumsdiskussionen an Schulen beteiligt. Es ging oft darum, welche Maßnahmen ergriffen werden müssten, um Verschwörungstheorien vorzubeugen. Die Politik hat sich dieses Problems aber noch nicht weiter angenommen. Da wird einfach in den Lehrplan geschrieben, dass sich Schüler und Lehrer im Unterricht mit Verschwörungstheorien befassen sollen. Klar, das kostet ja auch kein Geld. Aber gerade, wenn es um Beratungsangebote für die Betroffenen oder zentrale Informationsseiten im Internet geht, sollte die Politik aktiv werden.

Was muss sich in der Politik konkret verändern?
Ich denke, dass die große politische Aufgabe ist, sich in einer internationalen Landschaft zu Verschwörungstheorien zu positionieren. Ich denke nicht, dass Verschwörungstheorien hier in Deutschland ein Problem sind in dem Sinne, dass unser politisches System auf dem Spiel steht, aber sie können eben dennoch sehr problematische Folgen haben. Deshalb wäre es auch für die Politik wichtig, sich nicht nur um Verschwörungstheorien im Inland zu kümmern, sondern auch im Ausland. Die Politik muss sich überlegen, wie sie mit Ländern umgeht, in denen viele Menschen an Verschwörungstheorien glauben. Das sind zum Beispiel Ungarn oder Polen. Dort stehen Verschwörungstheorien instrumentalisierend an der Spitze. Zu diesen Ländern kann ab 2024 auch wieder die USA zählen. Es muss sich also strategisch überlegt werden, wie man damit im entscheidenden Fall umgeht.

Beitragsbild: geralt/Pixabay

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