Wenn der Körper versagt – Corona im Hobbysport

Nicht nur der akute Krankheitsverlauf durch Corona birgt Gefahren. Auch Langzeitfolgen gehören zu den Hauptängsten der Betroffenen. Schon geringfügige Nachwirkungen können bei Sportler*innen dazu führen, dass ihre Leistungen erheblich einbrechen.

Mirellas Augen leuchten. Wenn sie von ihrem ersten Marathon in Köln berichtet, schwingen pure Freude und ein wenig Stolz in ihrer Stimme mit: Sie hätte es gleich beim ersten Mal unter vier Stunden geschafft – für Hobbyläufer*innen ein Traumziel. Lebhaft erzählt sie, wie die Kulisse in Köln ihr Flügel verliehen hat: Fremde Menschen haben ihr zugejubelt, ihren Namen gerufen, der auf ihr Laufshirt geklebt war. Ein Wahnsinnserlebnis.

Zehn Kilometer ist Mirella heute früh gelaufen. Früher hat sie deutlich mehr geschafft. Sie hat 2012 mit Mitte 30 erst spät zum Laufsport gefunden. Nach der Geburt ihrer Tochter 2018 ist sie – zu ihrer eigenen Überraschung – in der Form ihres Lebens. 2019 läuft sie Bestzeiten sowohl bei kürzeren als auch auf Halbmarathon-Strecken. Zu dieser Zeit reift eine Idee in ihr: Berlin.

„Einmal noch wollte ich dieses Glücksgefühl haben wie 2016 in Köln. Ich hatte dieses Bild vor Augen: das Brandenburger Tor, mein Mann und meine kleine Tochter beim Zieleinlauf. Das ganze Paket mit Fotos und T-Shirts habe ich gebucht. Der Berlin-Marathon sollte das letzte Mal sein, ich wollte es unbedingt noch einmal erleben. Noch einmal und dann nie wieder.“

Nachwirkungen sind nicht gleich Langzeitfolgen

Auch Patrick ist ambitionierter Hobbysportler. Er ist Jugendtrainer beim Fußballverein BV Hiltrop in Bochum und spielt in der zweiten Mannschaft des Vereins. Im Frühjahr trainiert er bei eisiger Kälte kurzärmlig – und schwitzt. Seine Mannschaftskameraden, dick eingepackt in mehrere Kleidungsschichten, staunen nicht schlecht. Bis zum nächsten Morgen. Patricks Test ist positiv. Schon nach wenigen Tagen ist er extrem erschöpft. Es ist für ihn sogar eine Herausforderung, morgens ins Badezimmer zu gehen. Knapp eine Woche setzt der Virus den Hobbyfußballer außer Gefecht. Und eine weitere Woche dauert es, bis er sich freitesten kann. Am Ende macht ihm vor allem die Isolation zu schaffen. Kein Wunder, dass er direkt nach seinem negativen Testergebnis versucht, wieder Fußball zu spielen. Dabei bekommt er jedoch schlecht Luft. Jeder kurze Sprint fällt ihm so schwer, als hätte er Jahre pausiert.

Sogar die einfachsten Alltagstätigkeiten können bei Post-Covid-Symptomen zu Ermüdung führen (Foto: Ryan Snaadt/unsplash)

„Ich habe die Nachwirkungen auch im Alltag gespürt. Bei viel Stress, wenn etwas schnell gehen musste, habe ich mich oft dazu gezwungen gesehen, kurz innezuhalten, weil ich gemerkt habe, dass die Kräfte schwinden.“

Patrick ist mittlerweile wieder bei 100 Prozent. Trotzdem hat er sich vorgenommen, seine Lungenfunktion regelmäßig checken zu lassen. Bleibt alles im grünen Bereich, gilt er als Post-Covid-Patient. Das bedeutet, dass er zwar nach seiner Infektionsphase Probleme hatte, diese aber abgeklungen sind, bis er vollständig genesen war.

Long-Covid dagegen kommt in unberechenbaren Wellen. Es gibt Sportler*innen mit Long-Covid, die in einer Woche Topleistungen abliefern, zehn Tage später aber schon nach einem Waldspaziergang fix und fertig sind. Es ist laut RKI bisher unberechenbar, wie wahrscheinlich es ist, Long-Covid zu bekommen. Zu jung sind die wenigen Erkenntnisse der Wissenschaft und zu viele Studien laufen noch.
Was ist die Ursache für Long-Covid? Und können sich Patient*innen präventiv schützen?

Was rät die Expertin bei Long-Covid?

Jördis Frommhold ist Chefärztin der Abteilung Atemwegserkrankungen in der Klinik Heiligendamm. Sie gilt deutschlandweit als Spezialistin für Long-Covid-Patient*innen. In den letzten zwei Jahren hat sie über 3500 Menschen mit Langzeitfolgen behandelt.

Das wichtigste ist, dass die Patient*innen zwar aktiv sind, aber niemals an ihre Leistungsgrenze gehen sollen. Viele Sportler*innen machen diesen Fehler und geben statt den empfohlenen 80 bis 90 Prozent direkt 120.“

Die richtige Belastungssteuerung in der Reha ist der Schlüssel zur erfolgreichen Behandlung von Long-Covid (Foto: Sincerely Media/unsplash)

In enger Zusammenarbeit mit Psycholog*innen erarbeiten die Ärzt*innen daher einen individuellen Reha-Plan mit entspannenden und sportlichen Aktivitäten: Wassergymnastik, Wandern, Radfahren, je nach Belastungsfähigkeit der Patient*innen.

„Es ist wichtig, die Lungenfunktion voll zu nutzen und sich keine Schonatmung anzugewöhnen. Dafür gibt es Inhalationstherapien. Mit dieser Maßnahme ist es möglich, wieder voll leistungsfähig zu werden.“

Zur Ursache von Long-Covid gibt es laut Jördis Frommhold in der Medizin zurzeit zwei Vermutungen: Die erste besagt, dass das Coronavirus wie bei einer Autoimmunerkrankung Antikörper gegen den eigenen Körper bilden kann. Diese können vielfältige Symptome hervorrufen. Die andere Vermutung ist, dass es eine Virus-Persistenz gibt. Das heißt, geringe Bestandteile des Virus bleiben zum Beispiel in den Lungenzellen und stacheln das Immunsystem latent an. Das könnte Entzündungen begünstigen. „Impfen ist auch in Sachen Long-Covid der beste Schutz: Durch den Impfschutz reduziert sich das Risiko, an Long-Covid zu leiden, laut einer israelischen Studie um 70 Prozent“, sagt Frommhold.

Auch Mirella klagt über ihr geschwächtes Immunsystem: Sie sei viel öfter erkältet als früher. Dabei war ihr Krankheitsverlauf gar nicht so schlimm. Nur die extremen, migräneartigen Kopfschmerzen hätten sie genervt. Ansonsten hätte sie normale Erkältungssymptome gehabt. Manchmal brannte ihr die Nase: „Wie bei extremer Hitze beim Gang in eine Sauna.“

Rückblende

Zu Anfang der Pandemie sind Stoffmasken noch vorherrschend. Medizinische Masken wie diese hier werden erst später Pflicht (Foto: Christian Lue/unsplash)

Im nebligen März 2020 kehrt Mirellas Mann von einer Geschäftsreise aus Ulm zurück. Im Gepäck hat er einen blinden Passagier: Binnen einer Woche sind Mirella und ihr Mann positiv. Mirella ist in großer Sorge um ihre kleine Tochter, die jedoch negativ bleibt. Anfang 2020 gibt es noch lange keinen Impfstoff. Die Chance auf Long-Covid ist damit erheblich erhöht. Mirella weiß damals selbstverständlich noch nichts davon. Jede Woche gibt es neue Erkenntnisse über das Virus und wieder andere werden revidiert. Mirellas Rheuma-Erkrankung verstärkt ihre Ungewissheit, weil sie nicht weiß, wie sich das Virus bei Rheuma-Patient*innen verhält.

Ihr Mann ist nach sieben Tagen wieder negativ. Mirella aber hat nach drei Wochen immer noch einen positiven Test. Bei einem Antigentest einige Monate später kommt heraus, dass sie im Gegensatz zu ihrem Mann kaum Antikörper entwickelt hat.

Trotz allem fühlt Mirella sich nach ihrer Infektion erst einmal erstaunlich fit. Nach fünf Wochen ohne Sport läuft sie die Runde um den Kemnader Stausee aus dem Stand im Fünferschnitt. Pro Kilometer braucht sie fünf Minuten. Das große Ziel, der Berlin-Marathon und das Bild ihrer Liebsten beim Zieleinlauf scheinen wieder in greifbarer Nähe zu sein – zumal das Ereignis in den Spätsommer 2021 verlegt wurde.

Anfang 2021 geht Mirella in die intensive Vorbereitung. Die verläuft allerdings nicht nach Plan. Ihre Bestleistungen liegen an manchen Tagen nun fast in astronomischer Ferne. Jede Strecke über zehn Kilometer hinaus wird zum Kampf. Mirella ist oft erschöpft, ihr Puls ist viel zu hoch und sie erzielt keine Fortschritte. Ärztin Frommhold kennt diese Probleme nur zu gut.

„Besonders bei ambitionierten Läufer*innen ist der Ehrgeiz auch im Training hoch, damit immer neue Bestzeiten erzielt werden können. Bei Long-Covid sollte man den Körper aber erst einmal gemütlich heranführen. Sonst muss man gewaltige Rückschritte hinnehmen.“

Mirella sieht sich nach wenigen Wochen vergeblicher Vorbereitung schweren Herzens dazu gezwungen, den Marathon in Berlin abzusagen. Ihr Traum vom Zieleinlauf unter dem Brandenburger Tor zerplatzt durch Corona. Die Krankheit begleitet sie weiterhin im Alltag. Früher konnte sie sich auf der Arbeit immer sehr viel merken – eine ihrer Qualitäten, sagt sie. Heute hätte sie schon Probleme, sich drei Sachen einzuprägen. Für den Einkauf im Supermarkt braucht sie einen Zettel.

Dennoch hat sie mittlerweile ihren Frieden mit der Situation geschlossen. Sie läuft weniger leistungsbezogen und horcht dabei genau in sich hinein. Und bei gemächlichem Tempo mit ihren Lauffreund*innen zu quatschen, macht sie heute genauso zufrieden, wie früher ihre Bestzeiten zu unterbieten.

Beitragsbild: sportlab/unsplash

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