Spaziergänge mit einem Esel, Parkour mit Schweinen: Was sich nach Freizeit anhört, ist für viele Menschen Teil ihrer Therapie. Die pelzigen Mitarbeiter:innen unterstützen – und können Eisbrecher sein.
Dortmund – Bianca Terhürne streichelt Esel Kimi liebevoll den Kopf. Im Hintergrund grunzt Schwein Mikka aus ihrem Gehege, die Hündinnen Lisa, Lumpi und Fine springen bereits gegen eine Tür des Hauses, wollen nach draußen spielen und tollen. Ran an die Arbeit. Terhürne bereitet ihre tierischen Mitarbeitenden auf den Tag vor. Die 48-Jährige leitet eine Eseltherapie in Hamm. Wobei Esel nicht ganz stimmt. Auf dem großflächigen Gelände leben Ponys, Hunde, Hühner – sogar Schnecken. Seit 2005 hat Terhürne fast immer tierische Begleiter an ihrer Seite. Erst in der Pflege, während ihrer Arbeit als Krankenschwester, dann mit ihrem eigenen Unternehmen.
“Ein Tier ist kein Mensch, ein Tier ist neutral. Viele Patient:innen haben schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht.”
Wenn Tiere in der Therapie helfen, heißt das tiergestützte Intervention (TGI). Unter den Überbegriff fallen nicht nur Psycho- oder Physiotherapie. Zu TGI zählen alle Arbeiten, die Tiere in Gesundheitsfürsorge, Pädagogik und Sozialer Arbeit einbeziehen, um Patient:innen psychisch, kognitiv oder sozial zu helfen.
Türöffner in den Raum der Gefühle
Tiere können als Eisbrecher zwischen Therapeut:in und Patient:in wirken. Quasi als Türöffner in den Raum der Gefühle. „Ein Tier ist kein Mensch, ein Tier ist neutral. Viele Patient:innen haben schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht“, sagt Terhürne. Die 48-Jährige arbeitet beispielsweise mit der Christophorus-Klinik in Münster zusammen. Die intelligenzgeminderten Patient:innen dort wurden straffällig, begangen Körperverletzungen oder Sexualdelikte. In der forensischen Klinik werden sie behandelt – auch mit Lisa, Lumpi oder Fine. „Tiere zeigen auch diesen Patienten Gefühle, kuscheln beispielsweise“, so Terhürne.
Tiere können das Stresslevel senken. So zeigt eine Studie von Henri Julius und Andrea Beetz der Universität Rostock und Kurt Kotschral der Universität Wien daraufhin, dass der Einsatz von Tieren das Stresshormon Cortisol von Kindern reduziert. Auch weist diese darauf hin, dass der Körper beim Streicheln von Tieren das Bindungshormon Oxytocin ausschüttet. Zudem können Tiere Patient:innen motivieren, besonders wenn diese keine Lust auf die herkömmlichen Therapieformen haben, weiß Bettina Mutschler. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Psychologen Dr. Rainer Wohlfarth, leitet sie Ani.Motion in Sasbachwalden, ein Institut für TGI. Dort bietet das Paar tiergestütztes Coaching und tiergestützte Psychotherapie mit Hunden und Eseln an. Wohlfarth forscht seit 2006 in diesem Bereich. Mutschler ist Fachkraft für tiergestützte Therapie, arbeitet beispielsweise mit Burnout-Patient:innen.
Auch Kritik an TGI-Branche
Sie glaubt zu wissen, was schiefläuft in der TGI-Branche. „Die Forschung ist ein Problem, weil häufig Kontrollgruppen nicht groß genug sind. Auch der Placebo-Effekt ist schwierig, zu untersuchen“, erklärt Mutschler. Sie bemängelt, dass verpflichtende Qualitätsstandards fehlen würden. Laut Mutschler muss die Branche professionalisiert werden – besonders was den beruflichen Hintergrund der Anbieter betrifft. „Wenn ich keine therapeutische Grundausbildung habe, kann ich keine Therapie machen, auch wenn ich einen Hund dabei habe“, so Mutschler.
“Wenn ich keine therapeutische Grundausbildung habe, kann ich keine Therapie machen, auch wenn ich einen Hund dabei habe.”
Ein Patient, dem tiergestützte Interventionen weiterhelfen, ist Amadeus. Er hat das Down-Syndrom. Feinmotorische Aufgaben bereiten im Schwierigkeiten. Ein Teil seiner Therapie: Das Reiten mit seinem Pferd “Träumerei”. Mehr zu Amadeus Geschichte lest ihr hier.
Beitragsbild: Raphael Balke