Insektenbasierte Ernährung soll nachhaltig sein und eine Alternative zu den klassischen Fleischprodukten darstellen. Doch die Insekten leben bis zu ihrer Tötung in engen Zuchtboxen. Ist diese Form der Massentierhaltung ethisch unbedenklich?
Die Massentierhaltung von Nutztieren wird scharf kritisiert: hohe Treibhausgas-Emissionen, Antibiotika in der Nahrung, ethische Bedenken, Tierleid. Rinder und Schweine werden häufig unter nicht artgerechten und lebenswerten Bedingungen gehalten. Dennoch will die immer weiter wachsende Weltbevölkerung ernährt werden. Tierproteine spielen dabei noch immer eine große Rolle.
Eine Alternative ist die insektenbasierte Ernährung. Unter anderem verarbeitet die Industrie Maden, Grillen und Heuschrecken zu Mehl und dann wiederum zu kleinen Snacks. Die Züchter*innen werben mit Werten wie Nachhaltigkeit, Klimaschutz und artgerechter Behandlung der Insekten. Deshalb würden sich sogar Menschen „darauf einlassen“, die aus moralischen Gründen die vegetarische oder vegane Ernährung befürworten, meint Marco Schebesta, Geschäftsführer des insektenbasierten Lebensmittelbetriebs Catch-your-Bug.
Schebesta kennt sich mit der Haltung und Tötung der Lebewesen aus. Die Insekten werden in Zuchtboxen gesteckt, in denen sie auf relativ kleinen Flächen leben. Darin zeige sich das für Insekten typische Schwarmverhalten, um sich gegenseitig zu wärmen. „Die müssen eng beieinandersitzen“, erklärt Schebesta. Dieser Akt sei natürlich und energiesparend. Ebenfalls artgerecht sei der Tötungsprozess. Insekten sind wechselwarme Tiere, passen sich also der Umgebungstemperatur an. „Wenn der Winter zu lang ist, wenn die Temperaturen unter ein gewisses Minimum fallen, kommt der Stoffwechsel zum Erliegen und sie sterben“, erklärt Schebesta. Diesen Wintereinbruch simulieren die Züchter*innen. Wenn in den Frostboxen die Temperatur künstlich angepasst wird, schlafen die Insekten laut Schebesta ohne Leiden ein.
Können Insekten leiden?
Die Wissenschaft ist sich uneinig, ob Insekten wirklich keine Schmerzen empfinden. Zwar fehlen ihnen Opioid-Rezeptoren, die im menschlichen Nervensystem den Schmerz auslösen. Dennoch: „Man weiß von vielen wirbellosen Tieren, dass sie Reize wahrnehmen und meiden, die wir als schmerzhaft empfinden“, hat Gregory Neely von der University of Sydney herausgefunden. Er und sein Forscherteam haben 2019 das Schmerzempfinden von Fruchtfliegen untersucht. Nach einer Verletzung hätten die Tiere an der Stelle sofort „alle Schmerzbremsen blockiert“. Wie beim Menschen sei das ein Zeichen für chronische Schmerzen. Eine Studie der Queen Mary University London unterstützt die These. Demnach würden Insekten aus extrem hohen oder niedrigen Temperaturen lernen und diese anschließend vermeiden. Wie dieser Prozess genau funktioniert und ob er tatsächlich mit Schmerzen verbunden ist, sei bislang aber ungeklärt.
Ob die insektenbasierte Ernährung moralisch verwerflich ist oder nicht, lasse sich „aus ethischer Sicht nicht so einfach entscheiden“, sagt Ethikexperte Werner Moskopp. Für ihn spielen eine Vielzahl an Ethikansätzen hinein, wenn es darum geht, die Ernährung mit tierischen Produkten einzuschätzen. Als einseitig analysiert Moskopp die Argumentationskette von Insektenzüchter Schebesta. Zur Erinnerung: Schebesta meint, dass Insekten bei der Unterkühlung nichts spüren. Moskopp erklärt: „Diese Argumentation unterstellt zwar, dass es moralisch verwerflich sei, Tieren Leid zuzufügen. Insekten empfänden aber kein Leid, wenn sie heruntergekühlt würden. Also sei es moralisch nicht verwerflich, sie in diesem Zustand nach Belieben zu nutzen.“ Übertragen auf andere Lebewesen wie den Menschen könne die Logik zu dem Schluss führen, dass es auch ethisch legitim sei, betäubte Menschen zu verletzen. „Diese Argumentationsgrundlage ist sehr gefährlich“, warnt Moskopp deshalb.
Schmerzempfinden ethisch relevant
Das Schmerzempfinden bildet tatsächlich ein mögliches Kriterium für die Berücksichtigung von Lebewesen in der Ethik, sagt Moskopp. Aber es gibt auch weitere Ansätze wie die Biozentrik. „Für die ist es zweitrangig, ob Tiere oder Pflanzen Schmerz empfinden oder nicht. Sie sind als lebende Wesen schon in sich wertvoll.“ Aus dieser Perspektive ist die Ernährung von Schweine- und Insektenfleisch gleichermaßen ethisch fragwürdig. Ins Extrem gesteigert wäre dann nur noch der Verzehr von synthetisch hergestellten Lebensmitteln unbedenklich. „Ich denke, dass moralische Hinsichten nur dann einen Unterschied machen, wenn sie in ein angemessenes Verhältnis zueinander gesetzt werden“, sagt Moskopp nachdenklich.
Auch Insektenzüchter Schebesta ist bewusst, dass seine Zucht kein Allheilmittel darstellt. Die insektenbasierte Ernährung könne aber für den Menschen eine sinnvolle und nachhaltige Nahrungsmittelergänzung sein.
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Zweifellos ist die Ernährung mit Insekten eine Alternative, die seit vielen Jahrhunderten in Afrika und Australien bei den Ureinwohnern betrieben wird. Wer allerdings davon ausgeht, dass Tiere keine Krankheiten übertragen können, der sollte sich einmal überlegen, dass Corona ursprünglich in China durch den Verzehr durch Fledermäuse hervorgerufen wurde.
Und ob Insekten anders als andere Tiere keine Gefühlswelt haben, der sollte sich sich einmal anschauen, mit welcher Begeisterung sich ein Marienkäfer in die Sonne setzt und von der Sonne bestrahlen lässt.
Ich persönlich lehne die Ernährung mit Insekten ab und zwar nicht, weil ich die Meinung vertrete, dass diese Menschen nicht zumutbar wäre, sondern weil ich den Unterschied zwischen Lebenwesen im Bezug auf Sterben nicht sehe.
Wer allerdings zu diesem Thema diskutieren will, ist ebenfalls herzlich auch einmal auf das Freigeister and MURCS Forum https://freigeisterandmurcs.xobor.de eingeladen.
Hallo Herr Peitl,
vielen Dank für Ihren Kommentar! Der Aspekt der Krankheitsübertragung ist ein sehr interessanter. Dass Insekten auf der Suche nach den bestmöglichen Bedingungen sind und dort hingehen, wo sie sich am wohlsten fühlen, ist auch ein Punkt. Das beantwortet aber nicht die Frage des Artikels, ob sie Schmerz empfinden. Ein Insektenzüchter, mit dem ich gesprochen habe, hatte einen anderen Vergleich parat: Asseln versuchen beim Aufnehmen eines Steines, schnellstmöglich wieder in feuchte schattige Gefilde zu kommen. Doch fliehen sie aufgrund des Schmerzes – oder weil sie die bestmögliche Bedingung aufsuchen?
Insgesamt kann oder muss das Thema also noch näher betrachtet werden. Wie der Ethiker Werner Moskopp ja aber auch betonte: Es ist letztlich eine moralische Entscheidung, die ein jeder selbst treffen und für sich begründen muss.
Beste Grüße
Tom Manzelmann