“Meine 86-jährige Mutter trägt Sneaker und keinen irritiert’s.”

Kleidung sollte angemessen sein, aber auch deine Persönlichkeit widerspiegeln - fühlst du dich nicht wohl, nimmst du dir die Möglichkeit, dich zu entfalten.

Der erste Eindruck zählt. Und so nimmt Kleidung Einfluss darauf, wie wir wahrgenommen werden. Prof. Dr. Thomas Breyer-Mayländer erklärt, wie wir mit Kleidung unsere Kompetenzen ins rechte Licht rücken können und was das mit den Schuhen seiner 86-jährigen Mutter zu tun hat.

Herr Breyer-Mayländer, möchten wir mit dem, was wir tragen, immer etwas Bestimmtes vermitteln?

Ich gehe davon aus, dass die meisten Menschen zumindest kurz darüber nachdenken, was sie anziehen. Wir leben in einem Land, in dem wir Optionen haben. Sobald wir mehr als eine Hose und ein T-Shirt besitzen, treffen wir eine Wahl. Die gewählte Kleidung muss aber nicht immer eine bestimmte Botschaft haben. Es geht vielmehr um das Gespür dafür, welches Outfit mit den anstehenden Terminen kompatibel ist. Da spielt natürlich eine Rolle, was die Menschen erwarten, denen wir gegenübertreten, aber selbstverständlich auch offensichtliche Faktoren, wie das Wetter und die Funktionalität.

Wir haben fast alle einen vollen Kleiderschrank. Warum gibt es dennoch Trends?

Im Grunde haben wir heutzutage eine ganze Reihe von Trends, die teilweise sogar gegenläufig, nicht klar definierbar und von Szene zu Szene unterschiedlich sind. Ein Trend ist beispielsweise: weg von Fast-Fashion hin zur Nachhaltigkeit. Die Grundidee hinter Trends ist, die Menschen zum Konsum zu motivieren, obwohl sie eigentlich einen vollen Kleiderschrank haben. Bewusst gesetzte Trends und vor allem kurzfristige Moden sind also dazu da, einen künstlichen Marktbedarf zu schaffen.

Wie hat sich der Kleidungstrend seit den 1950ern verändert?

Wir orientieren uns an dem, was andere tragen und was wir glauben, was von uns erwartet wird. Da hat sich einiges verändert. Der Korridor ist viel breiter geworden und wir kommen immer weiter weg von eng normierten Erwartungen. Das bringt die Schwierigkeit mit sich, dass wir immer überlegen müssen, ob unser Stil angemessen ist. In den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik wurden wir noch stärker sozialen Normen unterworfen und Kleidungsstücke konnten klar jungen und alten Menschen zuordnet werden. Wer über 50 Jahre alt war, hat gefälligst irgendwelche langweiligen, eintönigen Farben getragen. Heute trägt meine 86 Jahre alte Mutter weiße Sneaker und keinen irritiert es.

Nehmen wir so zu Stereotypen immer mehr Distanz ein und ersetzen sie durch wachsende Toleranz?

Hier lässt sich kurz und knapp sagen, dass Kleidung freier, komplexer und diverser geworden ist. Die wachsende Toleranz führt uns aber von Stereotypen nicht weg. Stereotype machen uns das Leben leichter. Wenn uns unbekannte Menschen gegenüberstehen, orientieren wir uns erst einmal an dem, was uns zur Verfügung steht. Das ist nun mal die Kleidung, kombiniert mit dem allgemeinen Aussehen, der Gestik, Mimik und Körperhaltung. Demnach ist der äußere Gesamteindruck und eben die Kleidung ein Mittel non-verbaler Kommunikation. Kleidung sagt über unsere Gedanken und Werte nichts aus, trotzdem bekommen wir bestimmte Kompetenzen zugeschrieben. Auf bekannte Stereotypen wird lockerer reagiert, auf welche, die wir nicht kennen mit einer gewissen Anspannung und Unsicherheit, weil wir diese nicht einschätzen können.

Warum ist Kleidung so aussagekräftig?

Kleidung war früher eine klare Zuordnung zu einem Beruf, zu einem Stand und zu dem, was man an politischen Rechten hatte. Bestimmte Dinge durften nicht getragen werden, weil sie bestimmten Gesellschaftsgruppen zugeschrieben waren. Im traditionellen Sinne sagt Kleidung im Grunde genommen alles über uns aus. Heute tritt eben das außer Kraft. Jeder kann das anziehen, was er möchte. Trotzdem finden wir zum Beispiel auch in Studiengängen gewisse Stereotypen. Auch das sind Gruppen, die die Freiheit haben, sich so zu kleiden, wie sie möchten. Dennoch gleichen sich diese Gruppen einer Norm an, um sich einer gewissen Gruppe zugehörig zu fühlen.

An Mitarbeitende in einer Bank stellen wir (zum Teil unbewusst) die Anforderung, dass sie Bluse oder Hemd tragen. Inwiefern können wir uns trotz berufsbezogener Kleiderordnung selbst ausdrücken?

Hier ist die Frage, wie ausgeglichen und sicher wir sind. Es gibt zwei Szenarien, bei denen dies nicht der Fall ist. Das eine Szenario ist, dass wir uns in formelle Kleidung zwängen, in der wir uns nicht wohl und exponiert fühlen. Das hemmt uns und im Gespräch würde von unserer Persönlichkeit nur wenig zur Geltung kommt. Das andere ist, dass wir zwar die für uns bequeme Variante gewählt haben, vor Ort aber registrieren, dass das gewählte Outfit nicht angemessen ist. Dann haben wir zwar unser Wohlfühl-Outfit an, aber trotzdem wenig Energie, weil wir uns die ganze Zeit Gedanken machen, was die anderen über uns denken. Gut ist also, ein Gefühl dafür zu entwickeln, was von uns erwartet wird und dies mit dem zu kombinieren, was zu uns selbst passt. Wenn wir den mittleren Pfad wählen, sind wir meist gut aufgestellt. In Bezug auf stark normierte Berufskleidung fehlt uns natürlich die Variation, aber diese Art der Kleidung dient der klaren Abgrenzung und des Schutzes. Jeder erkennt direkt, was wir tun und nimmt uns in dieser Funktion wahr.

Nehmen Eltern durch die Wahl der Kleidung Einfluss auf die Entwicklung ihrer Kinder?

Das Interessante ist, dass diese Problematik nicht nur in Eltern-Kind-Beziehungen zu beobachten ist. Es gibt durchaus auch Frauen, die ihren Männern raussuchen, was sie zu tragen haben und ihnen somit die Kompetenz absprechen, sich selbst angemessen zu kleiden. Wird diese Kompetenz nicht eingefordert, führt dies dazu, dass Menschen in der Hinsicht irgendwann tatsächlich inkompetent werden. Bei Kindern ist die Frage, ob wir sie einem Kleidungsdiktat unterwerfen oder situationsbedingte Vorschläge machen. Wir sollten in die persönliche Entwicklung der Kinder nicht eingreifen, indem wir versuchen, den Kleidergeschmack zu verändern. Vielmehr sollten wir etwas Planendes und Vorausschauendes mit auf den Weg geben.

Wie wirkt sich unsere Kleidung auf unser Selbstbild aus?

Ein klassisches Beispiel ist der kratzige Rollkragenpullover, den wir als Kind nicht tragen wollten. Sind wir mal ehrlich, der Tag war doch schon gelaufen, bevor er begonnen hatte und genau das strahlen wir in dem Moment natürlich auch aus und so reagiert unser Umfeld auf uns.

Ein kleines Experiment: Lass die Schultern hängen, richte den Blick nach unten und rufe: „Ich fühle mich großartig.“ Das funktioniert nicht. Das heißt, wenn wir wie ein geprügelter Hund um die Ecke kommen, werden wir auch als solcher wahrgenommen und behandelt. Dieses Prinzip lässt sich auch auf unser Wohlempfinden in unserer gewählten Kleidung ummünzen.

Wächst mit dem Älterwerden der Mut zur Diversität?

Ich glaube schon. Vor allem dann, wenn wir im Zuge des Älterwerdens bezüglich unserer Kleidung viele positive Erfahrungen gemacht haben und somit den Mut entwickelt haben, so zu erscheinen, wie es uns gerade beliebt. Wenn wir aber im Verlauf unseres Lebens immer wieder negative Rückmeldung bezüglich unseres Kleidungsstils bekommen haben, sind wir nicht mehr so experimentell. Natürlich geht da in puncto Selbstverwirklichung viel verloren. Eine Anpassung an die Norm ist für die Person in dem Moment dann aber leider der Mechanismus, das Leben diesbezüglich ohne Komplikationen zu durchlaufen.

Kann ich mit meiner Kleidung mein Umfeld bewusst beeinflussen?

Natürlich. Sobald du etwas Formelles trägst, wird dir zugeschrieben, dass du organisiert und strukturiert bist. Durch Kleidung können dir also Kompetenzen zugeschrieben werden, die in dem Bereich vielleicht unzutreffend sind. Wenn deine Kleidung deine Persönlichkeit überhaupt nicht widerspiegelt, würdest du dir die Möglichkeit nehmen, dich als die Person zu entfalten, die du eigentlich bist. Du solltest also keine Eigenschaften darstellen, die kein Teil deiner Persönlichkeit sind, sondern jene ins Scheinwerferlicht rücken, die für die Situation oder den Beruf relevant sind. Achten solltest du aber auch darauf, dass du Menschen, die in der beruflichen Hierarchie über dir stehen, kleidungstechnisch nicht ausstichst.

Prof.-Dr.-Thomas-Breyer-Maylaender: Wirtschaftswissenschaftler, Autor und Professor für Medienmanagement an der Hochschule Offenburg.
Prof. Dr. Breyer-Maylaender findet Jeans am praktischsten. Foto: Jigal Fichtner für Lernraum.Akademie
Prof. Dr. Thomas Breyer-Mayländer
Prof. Dr. Thomas Breyer-Mayländer ist Wirtschaftswissenschaftler, Autor und Professor für Medienmanagement an der Hochschule Offenburg. Als Leiter der Führungsausbildung der Lernraum.Akademie begleitet er Unternehmen bei der Weiterentwicklung der Führungs- und Unternehmenskultur – bei der auch der Kleidungsstil eine wichtige Rolle spielt. In seinem Buch beschäftigt er sich unter anderem mit der Wirkung und Aussagekraft von Kleidung.

Du bist, also was du trägst. Wie unterschiedlich wir in unterschiedlicher Kleidung wirken können, zeigt diese Fotostrecke.

Sherin Rechid
Sherin Rechid studiert Raumplanung in Dortmund und trägt am liebsten Oversized-Kleidung.
Darian Mattern
Darian Mattern studiert an der TU Dortmund Sport und Englisch auf Lehramt und setzt gern Akzente durch lackierte Nägel.

 

Beitragsbild: Kyra Usielski

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1 Kommentare

  1. says: Wilko Heerscheidt

    Alle reden von Nachhaltigkeit, bei der Kleidung hört es jedoch bei den meisten auf. Sneeker gehören m.E. verboten, da sie eine unglaubliche Materialverschwendung und Umweltsauerei erzeugen. Ein guter Lederschuh mit entsprechender Pflege hält meistens 10-15 Jahre – ja ja ich weiß, Schuhe putzen ist old style und immer dasselbe Tragen ist “mega uncool”. Ebenso Kleidung reparieren lassen, ist für viele völlig undenkbar.
    Schade, dass viele nur über Umweltschutz schwadronieren, in Sachen Kleidung aber keine Hemmungen haben, Rohstoffe zu verschwenden.

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