Angst oder Aufregung – Was fühlen Klimakleber bei einer Blockade?

Seit zwei Jahren polarisiert die Letzte Generation. Nun möchte sie sich nicht mehr festkleben. Unser Autor war bei einer der letzten Straßenblockaden dabei: Was fühlen die Aktivist*innen, wenn sie auf der Straße kleben – vor Menschen, die ihnen teils den Tod wünschen?

„Hast du morgen um 17 Zeit? Da ist eine Aktion, ohne jetzt zu viel zu sagen.“ Mit dieser Nachricht von Malte Nierobisch beginnt alles. Malte ist 20 Jahre alt, er hat Abitur gemacht, spielt gern Brettspiele und klebt sich fürs Klima auf die Straße. Malte ist Teil der Letzten Generation. Eben dieser Letzten Generation, die seit zwei Jahren regelmäßig Chaos in die Welt der Autofahrer*innen bringt. Malte hat eine Aktion in Dortmund geplant. Genaueres möchte er noch nicht verraten – zur Sicherheit.

Der Protest in Dortmund

Am nächsten Tag treffen sich die Klimaaktivist*innen in der Nähe des Dortmunder Walls. Es herrscht klassisches Novemberwetter – zehn Grad und bedeckter Himmel. Der Treffpunkt ist daher ein windgeschützter Parkplatz zwischen zwei Gebäuden.

Klimaaktivist Jonas blockiert den Dortmunder Wall vor dem Hauptbahnhof.

Jetzt läuft alles ganz schnell ab. Sekundenkleber und Warnwesten werden verteilt, letzte Details besprochen und dann geht es auf die Straße. Es dauert keine Minute und Malte klebt mit vier Freund*innen auf der Fahrbahn des Dortmunder Walls – direkt vor dem Hauptbahnhof. Die Blockade beginnt. Die Ampel schaltet auf grün. Wie auf Knopfdruck hupen zwanzig Autos los. Mit zwei Bannern sitzen die Aktivist*innen dem Verkehr gegenüber.

Die Reaktion der Autofahrer*innen fällt heute gemäßigt aus. In der Ferne erklingen schon die ersten Polizeisirenen. Knapp eine Stunde später ist der Protest wieder vorbei. Die Aktivist*innen haben Platzverweise bekommen. Niemand klebt mehr auf der Straße und niemand steht mehr im Stau – das Einzige, was übrigbleibt? Ein paar Spuren auf der Fahrbahn vor dem Hauptbahnhof und viele Fragen. Wie sieht die Organisation vor der Blockade aus? Wer klebt sich freiwillig auf die Straße? Und wodurch erreichen die Menschen diese Überzeugung?

Der Protest in Köln

Etwa einen Monat später steht der nächste Protest an. Wieder dieselbe Nachricht. Wieder ein Standort. Diesmal ist es der Kölner Hauptbahnhof – direkt auf den Treppen vor dem Dom treffen sie sich. Gegen 17.15 haben sich alle gefunden. Es sind mehr als bei einer normalen Blockade. Fünfzehn Aktivist*innen sind nach Köln gekommen. Die Gruppe ist bunt gemischt.

Malte Nierobisch (20) organisiert regelmäßig Straßenblockaden. Foto: Malte Nierobisch

Auch Malte ist wieder dabei. Ein an die zwei Meter großer, junger Mann – manche würden auch noch Jugendlicher sagen. Malte ist 20 Jahre alt und trägt eine blaue Jacke. Er plant die Aktionen, sucht die Orte und stellt sich gegen den Staat. Der Klimaaktivist war schon überall in Deutschland auf der Straße, hat Flughäfen blockiert und saß in Bayern in Präventivhaft. Trotzdem wirkt Malte eher introvertiert. Er hat die Hände in den Taschen. Schaut nervös hin und her – oft auf den Boden, oft aufs Handy.

Die restliche Truppe

Neben ihm steht Anton, eine schwarze Mütze verdeckt seine blonden Haare. An seiner Seite eine Tasche mit einer Kamera. Anton macht heute Fotos für die Letzte Generation. Für den Online-Auftritt und zur Dokumentation möglicher Übergriffe. Für Ronja ist das ihre erste „normale“ Straßenblockade. Die junge Frau sitzt etwas in sich gekehrt bei der Gruppe. Sie war bisher nur bei den Massenblockaden in Berlin dabei. Bei ihr wechseln sich Angst und Aufregung dauerhaft ab: „Ich bin sehr unsicher, ob ich es schaffe ruhig zu bleiben“, erklärt die Aktivistin. „Ich habe Angst zu stark zu reagieren, wütend zu werden und zurück zu provozieren.“ Für sie seien die Passant*innen klar der größte Risikofaktor. „Da ist es unmöglich abzuschätzen, wie sie reagieren werden.“

Es werden immer mehr Aktivist*innen, deshalb folgen jetzt schon die ersten Vorkehrungen. Die Gruppe teilt sich auf, um nicht schon jetzt entdeckt zu werden. Kleinere Gruppen seien einfach unauffälliger, erklärt Malte. Ein Klimaaktivist nimmt knapp fünf Leute mit und geht rasch ein paar Meter weiter. „Komm, wir gehen hier rüber auf die Stufen. Malte bleibt erstmal noch hier.“ Eine letzte Person fehlt. Die Gesprächsthemen wechseln schnell: Die Känguru-Chroniken, Bahn-Verspätungen und immer wieder das Rätseln, wie die Blockade wohl wird. Schließlich ist die Gruppe komplett und verständigt sich mittels Blicken darauf loszugehen. Sie geht los. Von der Domplatte zunächst in die U-Bahn-Station: Linie 18 in Richtung Ebertplatz im nördlichen Teil der Innenstadt, einem wichtigen Knotenpunkt für den Kölner Verkehr.

Der Protest beginnt

Wie auch schon in Dortmund geht es jetzt sehr schnell. Der Kleber ist bereits verteilt. Die Ampel wird rot und Malte und Gesa laufen auf die Straße. Zeitgleich betreten an zwei anderen Orten Aktivist*innen die Straße. Ein Moment der Stille.

Zwei Zivilpolizist*innen halten Malte und Gesa auf dem Fahrradstreifen fest.

Niemand versteht wirklich, was passiert. Dann setzen sich Malte und Gesa auf die Fahrbahn. Die Autos fangen an zu hupen. Die ersten Rufe der Autofahrer*innen: „Verpisst euch!“ „Das sind wieder diese Klimaidioten!“ Zwei fallen besonders auf – auch ohne mitzurufen. Die beiden springen sofort aus ihrem Auto. Malte und Gesa wollen sich gerade festkleben, werden dabei aber von den beiden Autofahrer*innen weggerissen. Sie halten die Aktivist*innen auf dem Fahrradweg fest und rufen etwas in ihr Telefon. Es stellt sich heraus, die beiden sind Zivilpolizist*innen.

Die “Betonhand”

Auf der anderen Seite des Platzes verläuft der Protest nicht gerade erfolgreicher. Hier blockiert unter anderem Tina die Straße. Tina ist heute für die Betonhand verantwortlich. Was nicht gerade angenehm klingt, ist auch alles andere als komfortabel. Betonhand – das ist immer die Person, welche am festesten klebt. Das bedeutet, Tina vermischt den Sekundenkleber für eine höhere Klebewirkung mit Sand.

Tina bereitet gerade die “Betonhand” vor.

Das betont Tina auch immer wieder: „Ich klebe an der Straße fest, bitte reißen Sie nicht an mir. Das tut weh! Ich klebe fest!“ Die Antwort der Polizistin klingt kalt und abschreckend: „Nen Scheißdreck klebst du!“ Mit diesen Worten reißt die blonde Frau in Uniform an Tinas Arm und bekommt die Hand schließlich doch losgelöst.

Nun sitzt Tina am Straßenrand und hält sich die schmerzende Hand. Das Fazit fällt ernüchternd aus: „Es ist schade, dass wir heute so von der Polizei runtergerissen wurden.“ Vor knapp einer Stunde war Tina noch sehr zuversichtlich „Ich habe das jetzt schon so oft gemacht, das ist mittlerweile fast Routine.“ Auch die harte Reaktion der Polizei hatte Tina nicht erwartet: „Die Polizei Köln ist da eigentlich immer sehr professionell und ruhig. Ich glaubte nicht, dass es da Probleme geben wird.“ Jetzt sitzt Tina zwischen zwei Polizist*innen auf dem nassen Bürgersteig – mit einem Gesichtsausdruck irgendwo zwischen Schock, Wut und Angst.

Die Letzte Generation und die Presse

Daniel ist einer der letzten, der auf der Straße klebte. Ein junger Mann mit blondem Dutt, einer roten Jacke und der charakteristischen orangenen Warnweste. Er möchte nicht mit der Presse sprechen. „Ich habe noch nicht die PR-Schulung gemacht.“ Aktivist*innen mit absolviertem Pressetraining wissen genau, was sie sagen sollen. So trägt die Letzte Generation in jedem Interview an einem Punkt dieselben vorgefertigten Aussagen monoton vor. Immer mit dabei: Der Verweis auf den IPCC-Bericht zum Klimawandel (siehe Infokasten). Die PR-Schulung ist für die Letzte Generation elementar, denn so kann sie Menschen erreichen und überzeugen. Indem sie mit und nicht gegen die Medien arbeitet.

Der IPCC-Klimabericht

Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ist der Weltklimarat der Vereinten Nationen. In diesem Gremium beraten Wissenschaftler*innen über die wichtigsten Fragen der Folgen und Vermeidung des Klimawandels. Der IPCC-Sachstandsbericht erscheint etwa alle sechs Jahre und stellt den aktuellen Stand der Wissenschaft dar. Im sechsten IPCC-Bericht vom März 2023 werden vor allem fünf Thesen aufgestellt:

  • Das 1,5°C-Ziel wird wohl verfehlt.
    Das im Pariser Klimaschutzabkommen 2015 festgelegte Ziel, die Erderwärmung auf 1,5°C zu begrenzen sei kaum schaffbar. Das Überschreiten dieser Grenze habe ernste und irreversible Konsequenzen für den Planeten.
  • Der Ausstoß von Treibhausgasen muss jetzt sinken.
    Um das 1,5°C doch noch einzuhalten müssen die Treibhausgasemissionen bis 2030 halbiert werden. Diese Forderung erstreckt sich über alle Sektoren.
  • Der Klimawandel trifft vor allem die Schwächeren.
    Die Folgen des Klimawandels würden vor allem ärmere und weniger entwickelte Regionen betreffen. Deshalb sei Klimagerechtigkeit ein wichtiges Ziel.
  • Klimaschutz ist auch eine Chance für stärkere Wirtschaft und bessere Gesundheit.
    Eine klimaresiliente Entwicklung könnte neue Wirtschaftszweige entwickeln und den Planeten insgesamt lebenswerter und gesünder machen.
  • Die nächsten Jahre entscheiden über die Zukunft.
    Es bestehe noch die Möglichkeit, den Klimawandel abzuschwächen. Dafür müssen aber in den nächsten Jahren konkrete politische und wirtschaftliche Entscheidung getroffen werden.

Selbst Minderjährige kleben schon mit

In Köln ist auch Leon (Name geändert)1 dabei. Es ist seine erste Klebeaktion. Leon ist 17 und in der Oberstufe eines Gymnasiums. Heute hatte er bis 13 Uhr Unterricht. Nun ist es 17.40 und Leon klebt auf der Straße. Im Vorhinein wirkte er angespannt, aber ruhig. Wie jemand, der weiß, was ihn erwartet. Schließlich war er auch schon bei ein paar Blockaden dabei. Nur bisher immer sitzend auf der Straße. Als Teil der Rettungsgasse ohne Kleber – das wird sich heute ändern. Seine größte Angst ist, dass das Festkleben nicht klappt und, dass die Polizei seine Eltern anruft.

Klimaaktivist Leon (17) trägt nun auch Handschellen.

Das erste Mal Kleben hält nicht lange an. Auch Leon wird von der Polizei von der Straße gerissen, glücklicherweise war der Kleber noch nicht ausgehärtet: „Es war schmerzhaft, aber auszuhalten. Schöner wäre es natürlich, hätte die Polizei mich einfach kleben lassen.“ Sein Wunsch klingt naiv. Generell scheint es so, als werde Leon nicht ganz für voll genommen. Er sitzt kaum beachtet am Straßenrand. Ein Fehler, wie sich schnell zeigt, Leon zieht die nächste Tube Kleber, läuft auf die Straße und klebt sich erneut fest. Schnell wieder losgelöst, trägt auch er jetzt Handschellen und wird bewacht. Auch ihm schmerze seine Hand, aber das sei nicht so schlimm: „Für mich ist es deutlich schlimmer, wenn sich andere verletzen. Bei mir kann ich das ganz gut ertragen.“

Indoktriniert die Letzte Generation?

Ein 17-Jähriger, welcher 150 Kilometer reist, nur um sich auf die Straße zu kleben – viele reden in Bezug auf die Letzte Generation immer wieder von Indoktrination. Dagegen wehrt Leon sich aber entschlossen: „Uns werden Fakten genannt. Wenn das schon Indoktrination sein soll, dann weiß ich nicht.“ Die Teilnahme sei völlig freiwillig und unverbindlich, erklärt der Klimaaktivist: „Es gibt immer eine Abfrage in der Gruppe, wer sich das denn vorstellen könne. Es ist noch nie jemand direkt auf mich zugekommen und hat mich gefragt, ob ich mitmache.“ Man werde sogar eher explizit gefragt, wie man sich damit fühlt und ob man wirklich mitmachen möchte.

Gerade bei Minderjährigen findet Malte die Teilnahme umso schwieriger: „Es gibt sehr überzeugte Leute, die kann und möchte ich davon auch nicht abhalten. Trotzdem müssen sie sich der rechtlichen Folgen bewusst sein.“ Gleichzeitig sieht er auch die positiven Aspekte. Für ihn selbst ist die Letzte Generation im wahrsten Sinne eine Familie geworden. Seine Freundin hat er dort kennengelernt und mittlerweile hat er sogar seine Mutter vom Aktivismus überzeugt.

Die Autofahrer*innen und die Klimakleber*innen

Es ist nun 18.10 Uhr – Rush Hour. Die meisten Autofahrer*innen haben Feierabend und möchten nach Hause. Nach acht Stunden Arbeit im grauen Büro zurück zur Familie. Genau daran werden sie jetzt gehindert, mittlerweile seit einer halben Stunde.

Malte und Gesa kleben nun auf dem Fahrradstreifen. Der Verkehr fließt wieder stockend.

Für die Autofahrer*innen hat die Letzte Generation auch durchaus Verständnis: „Das tut mir natürlich leid, ich würde auch nicht gerne im Stau stehen wollen“, erklärt ein Klimaaktivist, „aber die Klimakatastrophe ist in meinen Augen höher zu gewichten.“ Die Aktivist*innen betonen, die Autofahrer*innen seien keine Feinde, nicht der unmoralische Teufel. Beleidigungen und verbale Angriffe treffen ihn auch mittlerweile nicht mehr, erzählt Malte Nierobisch. „Das meiste habe ich schon so oft gehört, das geht völlig an mir vorbei.“

Das Nachspiel des Klebens

Nach 30 Minuten ist die Blockade vorüber. Letztlich derselbe Ablauf wie in Dortmund. Nur werden jetzt noch alle Klimakleber auf die Polizeiwache gefahren – ausnahmslos. Im Nachhinein erhebt die Letzte Generation gegen genau diesen Polizeigewahrsam schwere Anschuldigungen. Es ist die Rede von verwehrten Anrufen, Bedrohungen und Beleidigungen – all das auf einem deutschen Polizeipräsidium mitten in Köln. Die Polizei Köln betont auf Anfrage ihnen würden keine Beschwerden zum Einsatz vorliegen. Ein Polizist stellte noch vor Ort klar: „Umweltschutz ist wichtig, der wird auch im Kreis der Kolleg*innen ernst genommen.“ Die Aktionen der Letzten Generation befürworten sie dennoch nicht: „Wir sind der Meinung, dass die Mittel mit Bedacht gewählt werden müssen. Sobald Gesetze gebrochen werden, sind wir als Polizei gezwungen zu handeln.“

Malte wird von der Polizei festgenommen und auf die Wache gefahren.

Malte ist dieser Abend besonders im Gedächtnis geblieben: „Das war das erste Mal, dass ich in Gewahrsam weinen musste“, gibt der 20-Jährige zu. Und trotzdem war es für ihn eine erfolgreiche Blockade: „Es gab sicherlich Blockaden mit mehr Aufmerksamkeit. Aber zu sehen, wie die Planung aufgegangen ist, wie wir auch mit der Reaktion der Polizei umgegangen sind, damit bin ich schon ganz zufrieden.“ Klare Erfolge könne man aber nach einer Aktion noch nicht sehen, das dauere noch: „Ziviler Ungehorsam ist ein vergleichsweise schnelles Mittel, aber natürlich immer noch ein schleichender Prozess.“

Prof. Matthias Kortmann über zivilen Ungehorsam
Prof. Matthias Kortmann forscht an der TU Dortmund zum politischen System Deutschlands.
Foto: Matthias Kortmann

Dr. Matthias Kortmann lehrt als Professor am Institut für Philosophie und Politikwissenschaft der TU Dortmund. Hierbei fokussiert er in Forschung und Lehre besonders die politische Systemforschung mit Schwerpunkt auf das politische System Deutschlands.

Herr Kortmann, die Letzte Generation beruft sich immer wieder auf den zivilen Ungehorsam. Was genau ist das eigentlich?

Ziviler Ungehorsam ist erst einmal eine Form der politischen Partizipation über rechtswidrige Handlungen. Das heißt, Betroffene nehmen für sich in Anspruch, sich in einer Notlage zu befinden, in der alle demokratischen Instrumente ausgeschöpft sind. In dem Fall greift man zu zivilem Ungehorsam, um Aufmerksamkeit zu erregen und eine akute Gefahr für die Demokratie abzuwenden.

Wo liegt hier der Unterschied zur Letzen Generation?

Die Letzte Generation bewegt sich zunächst in der Tradition anderer Umweltbewegungen. So war in  Deutschland in der Vergangenheit vor allem die Anti-Atomkraft-Bewegung von Bedeutung oder aber Aktionen von Greenpeace. Aktivisten der Anti-AKW-Bewegung haben sich zu ihrer Zeit beispielsweise an Gleisen festgekettet, um Castortransporte zu verhindern. Greenpeace hat Bohrinseln in der Nordsee gekapert. Die Ziele waren hier jedoch klarer umrissen: das Ende der Atomkraft sowie der Erdöl-Bohrungen in der Nordsee. Die Aktionen waren auf diese Ziele abgestimmt. Dennoch war der Rückhalt in der Bevölkerung auch nicht überragend. Das hat sich erst im Laufe der Zeit geändert. Heute werden diese Bewegungen in der Rückschau deutlich positiver wahrgenommen. Das politische Klima hatte sich einfach geändert und heute wird beispielsweise die Blockade von Castortransporten als ein Schritt auf dem Weg zum Atomausstieg wahrgenommen.

Betreibt die Letzte Generation in Ihren Augen zivilen Ungehorsam?

Bei der Letzten Generation fehlen vergleichbar konkrete Zielsetzungen und auch die Sinnhaftigkeit mancher Aktionen ist schwerer vermittelbar. Somit verfehlen sie die Ziele ihres zivilen Ungehorsams. Um Änderungen zu erreichen, müsste man entweder die Masse oder die politischen Entscheidungsträger auf seine Seite bringen. Die Letze Generation tut derzeit jedoch eher das genaue Gegenteil: Sie schafft Ablehnung in der Bevölkerung und bringt die Politik gegen sich auf.

Bisher habe er für die Aktion in Köln noch keine Post bekommen, das dauere aber immer etwas. Malte musste regelmäßig für seine Proteste Geldstrafen bezahlen. Er ist erst 20 Jahre alt, er arbeitet nicht und ist auch nicht besonders wohlhabend. Wie bezahlt er diese hohen Geldstrafen? Die Lösung ist so einfach wie aussichtslos: „Ich verschulde mich und werde wohl auch lange verschuldet bleiben. Das heißt, ich akzeptiere, dass vielleicht auch ein Gerichtsvollzieher kommt und guckt, was er pfänden kann.“ Er habe schließlich kein Haus, keine Familie, um die er sich kümmern muss und mit den Schulden könne er leben. Zumindest besser, als mit dem Gewissen, nichts getan zu haben.

Die Klimakleber kleben nicht mehr

Am Abend des 29. Januar kam die überraschende Nachricht: „Das Kapitel des Klebens und der Straßenblockaden endet“, so schreibt es die Letzte Generation auf ihrer Website. Zukünftig wolle die Gruppe andere Formen für ihren Protest wählen.

Zu Anfang sei das Kleben wichtig gewesen, um auch mit wenigen Menschen „unignorierbar protestieren zu können“. Seitdem habe sich die Zahl der Aktivist*innen nach eigenen Aussagen verhundertfacht. Das mache neue Protestformen möglich.

Der Kern der neuen Strategie seien „ungehorsame Versammlungen“. Hier werden Politiker*innen und Entscheider*innen medienwirksam zur Rede gestellt. Ebenfalls sollen „verstärkt Orte der fossilen Zerstörung“ für den Protest gewählt werden. Das könne mehr Proteste an Öl-Pipelines, Flughäfen oder Firmengeländen bedeuten. Auch Malte hofft, dass sie so „die, durch die Straßenblockaden erarbeitete, Aufmerksamkeit besser nutzen können.“

 

 

1Der korrekte Name ist der Redaktion bekannt. Da Leon noch nicht volljährig ist, haben wir uns aber entschieden, diesen hier nicht zu nennen. 

Fotos: Anton Reckmann

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