Ein Blick, ein Satz, eine Berührung zu viel: All das kann zu Unsicherheit führen – abends im Club nochmal mehr. Awareness-Arbeit will das ändern. Wie genau, das zeigen Teams aus der Region.
Harter Bass bebt durch alle Körper. Leichter Nebel erfüllt den Raum. Helle Scheinwerfer blitzen immer wieder in bunten Farben. Genauso bunt, wie die Menschen, die sich rhythmisch im Takt zur Technomusik bewegen. Verschiedene Altersklassen, Sexualitäten oder Herkünfte sind hier im Tresor.West vertreten, einem Dortmunder Nachtclub. Die Blicke der Tanzenden sind Richtung DJ Pult gerichtet. Alle Blicke – bis auf die der Awareness-Person.

An diesem Abend ist Hedwig Herbold für die Awareness im Club zuständig. Ihr Blick richtet sich auf die Tanzfläche, immer wieder über das Publikum. Von außen kaum wahrzunehmen, denn Hedwig hält sich bewusst im Hintergrund.
Wer sich jedoch aufmerksamer im Technoclub bewegt, dem wird schnell klar: Awareness spielt hier eine große Rolle. Schon beim Einlass bekommt jeder Gast erklärt, wer an dem Abend für Awareness im Tresor.West zuständig ist. Die Handykameras der Gäste werden abgeklebt. Im Club hängen viele Plakate und Hinweisschilder aus, die aufmerksam machen: „Du bist nicht allein. You are not alone.“
Mehr Sicherheit – warum und wie?

Besonders für Frauen und marginalisierte Gruppen gehören sexuelle Belästigungen oder rassistische Beleidigungen häufig zur Schattenseite des Nachtlebens. Das bestätigen zahlreiche Studien. „Ich mag gar nicht mehr tanzen gehen“, schreibt eine Userin in den Westfälischen Nachrichten auf die Frage, wie sicher sie sich im Nachtleben fühlt.
Ein Problem, welches bislang wenig bis gar keine Aufmerksamkeit erhalten hat. Durch Awareness-Arbeit wird es präsenter – und sie zeigt, wie dringend sie gebraucht wird. Viele Veranstalter*innen von Clubs, Festivals oder Konzerten setzen daher auf mehr Sicherheit im Nachtleben. Jedoch sind die Konzepte häufig noch nicht richtig ausgereift, sagen Mitarbeitende wie im Tresor.West.
Eine exakte Definition für gelungene Awareness gibt es nicht. Das Konzept steht für Achtsamkeit und Bewusstsein. Das Ziel: Ein respektvolles und wertschätzendes Miteinander zu schaffen, frei von Diskriminierung und Gewalt. Awareness-Arbeit folgt der Idee, Strukturen der Ausgrenzung und Unsicherheit nicht nur auf Veranstaltungen, sondern in der gesamten Gesellschaft abzubauen. Dabei geht es viel um Grenzen. Die sollen wahrgenommen und vor allem geschützt werden. Außerdem steht bei Awareness die Betroffenenperspektive im Mittelpunkt. Das bedeutet: Die betroffene Person entscheidet aktiv, wie mit ihrer Situation umgegangen wird. Insgesamt soll also eine sichere Atmosphäre entstehen, in der sich alle wohlfühlen können. So beschreiben es die Mitglieder verschiedener Awareness-Teams.
Awareness in Aktion: Empathie statt Urteil
Der Nachtclub Tresor.West ist nach eigenen Angaben der einzige in Nordrhein-Westfalen mit einem internen Awareness-Team. Momentan besteht es aus neun aktiven Mitgliedern, die in unterschiedlichen Konstellationen agieren. Darunter auch Mara Steinert und Nele Buuck. Um Teil des Teams zu werden, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, erklären die beiden. Bei Bewerbungen werde besonders auf ähnliche Wertevorstellungen und Sensibilität geachtet.
Wer Mitglieder des Teams begleitet, merkt schnell, wie wichtig eine empathische Grundhaltung bei dieser Arbeit ist. Bei einer Runde durch den Club spricht Hedwig mit Mitarbeitenden. Danach geht plötzlich alles ganz schnell. Ein Mitarbeiter des Clubs weist Hedwig auf eine Person mit auffälligem Verhalten hin: „Vielleicht ein bisschen zu viel konsumiert.“ Ohne zu zögern, begibt sich Hedwig zu dieser Person. Wer das anschließende Gespräch aus der Ferne beobachtet, stellt schnell fest, mit welcher Ruhe sie arbeitet. Ganz ohne Hektik. Und vor allem ohne Urteil, wie sich im Gespräch danach herausstellt. Hedwig begleitet die Person zu einem Ruheraum. Davon gibt es mehrere im Club.

Ohne Urteil – das ist im Tresor.West besonders wichtig, wie Mara und Nele erzählen. Denn es passiere hin und wieder, dass Betroffene die Kontrolle über sich selbst verlieren und sich nicht mehr selbst helfen können. Kontrollverlust gebe es auch häufig bei sexuellen oder anderen Übergriffen. „Diese verlorene Kontrolle wollen wir wiedergeben“, sagt Nele. Eigene Erfahrungen spielen bei Awareness-Arbeit eine wichtige Rolle, findet auch Mara. Nicht nur für diese Fälle ist das Team zuständig. „Ich beantworte oft auch einfach die Frage, wo die Toilette ist“, berichtet Nele und schmunzelt dabei. Mit der Security vor Ort arbeiten sie eng zusammen. Per Funk ist Hedwig am Abend mit den Mitarbeitenden aus dem Club verbunden. Unterstützt wird die Zusammenarbeit durch Nachbereitungen und Protokolle nach jedem Event.
Guter Wille, leere Kassen
Das Team im Tresor.West wird für seine Arbeit auf Minijobbasis bezahlt. Ehrenamtlich ist es auf Dauer nicht tragbar, findet Mara. „Es ist emotional auslastende Arbeit. Da gehört einfach eine faire Bezahlung für uns dazu.“ Für Awareness in Dortmund wünschen sich die beiden neben mehr Sichtbarkeit auch mehr Fördergelder.

Das ist oft nicht so leicht umsetzbar, erklärt Chris Stemann. Der 53-Jährige ist Nachtbeauftragter der Stadt Dortmund und tauscht sich häufig mit den Betreiber*innen von Dortmunder Clubs wie dem Tresor.West aus. Awareness möchte er gerne nach und nach in Dortmund etablieren. Das brauche Zeit sowie viele weitere Ressourcen – vor allem finanzielle. „Erstmal alle mitzunehmen in der Breite, finde ich wichtig.“
Damit begonnen habe die Stadt Dortmund 2023. Damals wurde das Konzept „Luisa ist hier“ flächendeckend in allen Dortmunder Clubs etabliert. „Luisa“ kommt ursprünglich aus Münster, genauer gesagt vom dortigen Frauennotruf. Die Idee: Mit der Frage „Ist Luisa hier?“ können sich Frauen, die sich sexuell belästigt fühlen, ans Personal wenden. So soll die Hemmschwelle sinken, die eigentliche Ursache zu benennen.
„Luisa ist hier“ – aber für alle?

Für die Übernahme des Konzepts in Dortmund ist sämtliches Personal aus dem Nachtleben in der Innenstadt geschult worden, erklärt Chris Stemann. „Die Leute, die im Club arbeiten, mussten das erst einmal überhaupt kennenlernen, um es dann vor Ort entsprechend umsetzen zu können,“ sagt er.
Später ist „Luisa“ durch das Panama-Konzept erweitert worden. Das stammt ursprünglich vom Hurricane-Festival. Mit der Frage „Wo geht es nach Panama?“ können Betroffene auf sich aufmerksam machen – mit einem entscheidenden Unterschied: Das Konzept spricht anders als „Luisa“ nicht nur weiblich gelesene Menschen an, sondern alle.
Seit Sommer 2024 gilt das neue Konzept in allen Dortmunder Clubs, erklärt der Nachtbeauftragte. Das sei flächendeckend kommuniziert worden. Vom Grundsatz her ist das Awareness-Konzept ähnlich zu dem von „Luisa“, sodass keine Umschulungen des Personals stattgefunden haben, so Stemann. Hinsichtlich der Kooperation „ziehen alle Dortmunder Clubs mit“. Den Tresor.West mit seinem eigenen festen Awareness-Team hebt der Nachtbeauftragte dabei besonders hervor. „Awareness-Teams in jedem Club wie da – das wäre super“, wünscht er sich.
„Prävention fängt an mit Präsenz,“ findet der Nachtbeauftragte. Awareness gibt es im Dortmunder Nachtleben nicht nur in den Clubs. Von Mai bis September ziehen die Dortmund Guides, ein städtisches Awareness-Team, in den Abendstunden durch die City. Die Mitglieder tragen Rucksäcke, die leuchten. Auf ihnen steht in verschiedenen Sprachen: „Sprich uns an, wir helfen dir!“, erklärt Stemann.
Awareness über Clubs hinaus
Das Team Em&Em-Kollektiv ist auf einem Konzert von Apsilon im Bochumer Schauspielhaus unterwegs. Während des Konzerts stehen die Helfer*innen, erkennbar an ihren lila Westen, neben der Bühne. Ihre Köpfe nicken zum Takt. Ihre Blicke bleiben auf das Publikum gerichtet. Nora Lemjimer ist an diesem Abend dabei und berichtet später : „Es gab keine gravierenden Vorfälle. Außer ein paar alkoholisierte Menschen.“ Aber auch die seien nicht besonders auffällig gewesen. „Alle waren ultra happy. Das war auch für mich richtig schön zu sehen.“

Emre Bayanbas hat das Em&Em-Kollektiv im April 2023 mit ins Leben gerufen und vor allem einen Wunsch: „Dass irgendwann gar keine Awareness mehr gebraucht wird. Aber das ist natürlich eine Utopie.“ Anders als das Awareness-Team vom Tresor.West, arbeitet das Kollektiv ehrenamtlich und unabhängig. Alle Mitarbeitenden haben Erste-Hilfe-Schulungen absolviert, die teils auch auf Drogenvorfälle oder psychische Notfälle ausgerichtet sind. Sie werden von unterschiedlichen Veranstalter*innen aus dem Ruhrgebiet für Events angefragt.
„Ich werde gebraucht“
Wichtig für alle Teams ist die Nachbereitung. „Manchmal braucht man nach schwierigen Situationen selbst Awareness“, findet Paola Djomo Choumele, Mitglied von Em&Em. Nach einer Veranstaltung tauschen sich die Teams mit Veranstalter*innen regelmäßig aus – vorausgesetzt, es ist ein Feedback gewünscht.
Vieles mache einen nachdenklich. Paola berichtet von einem Abend, als der Rettungsdienst gerufen werden musste. Auf die Frage hin, welche Motivation sie dennoch jedes Mal antreibt als Awareness-Person zu agieren, gibt sie eine klare Antwort: „Ich werde gebraucht.“ Den Notruf zu wählen, vermeidet das Team sonst eher – vor allem im Kontext mit Drogenkonsum. „Wir wollen nicht dafür verantwortlich sein, dass diese Personen womöglich angezeigt werden“, sagt Paola.
Prävention, die schwer messbar ist
Auch die Dortmunder Polizei spricht von keiner konkreten Zusammenarbeit zwischen den Behörden und den Awareness-Teams. Wird der Notruf verständigt, so mache es keinen Unterschied, ob dieser von einer Privatperson oder einem Awareness-Team ausgelöst wurde, erklärt Kay-Christopher Becker, Polizeihauptkommissar aus Dortmund.
Der Polizeihauptkommissar betont die Relevanz dieser Teams für die Sicherheit im Dortmunder Nachtleben. „Zusammen mit unseren Kooperationspartnern ist die Prävention von Straftaten oberstes Ziel. Hier ist jeder Beitrag wichtig und jede verhinderte Straftat ein Opfer weniger.“
„Nobody is safe until everybody is safe”
Beim Konzert von Apsilon trägt ein Konzertbesucher ein T-Shirt mit der Aufschrift „Nobody is safe until everybody is safe.“ Eine Aussage, viel mehr eine Forderung, die im Kontext von Awareness-Arbeit noch einmal eine ganz andere Bedeutung annimmt.
Beitragsbild: Annika Faust