Eben noch in der Vorlesung, beginnt jetzt meine Lieblingszeit. Pause. Mein liebster Geruch steigt mir in die Nase. Das bekannte Geräusch der Maschine, die die Bohnen mahlt, ist wie Musik in meinen Ohren. Dampf steigt in die Luft. Fertig. Die Tasse wird mir gereicht. Voller Ehrfurcht nehme ich sie entgegen. Der erste Schluck. Cremig. Leicht bitter. Entspannung. Pause. Glückseligkeit durchflutet meinen Körper. Kaffee. Mein Hauptnahrungsmittel. Mehr als das. Mein Lieblingsgefühl. Nicht einfach nur ein simples Getränk zum Wachwerden. Vielmehr eine Einstellung. Eine Auszeit. Ein Ereignis. Ein Gefühl.
Dieses Gefühl soll jetzt in Mathe umgewandelt werden. Eine Formel die den “perfekten” Espresso ergeben soll. Eine Formel, die mein Lieblingsgefühl widerspiegeln soll? Wie soll das bitte gehen? Schon seit 2015 beschäftigen sich Christopher Hendon und sein Team von der University of Oregon mit dem perfekten Espressso, berichtet die dpa.
Ihr Ziel: einen Standard für das Espresso-Machen entwickeln. Einen Standard für einen immer gleich schmeckenden Espresso also. Und das haben sie nun geschafft. Ihr Ergebnis: Gröbere Mahlung und eine kürzere Durchlauf-Zeit. Dadurch soll die Espresso-Zubereitung nachhaltiger und kürzer werden. Alles schön und gut, doch dadurch wird er leider auch langweiliger und leidenschaftsloser.
Einheitsgeschmack bei Espresso? Nein, Danke!
Absurd. Das war das Erste, was mir zu dem Thema eingefallen ist. Ausgerechnet Mathe soll mir jetzt die Antwort auf die Frage nach dem perfekten Espresso geben? Und dann soll jeder Espresso auch noch gleich schmecken? Nein, danke. Was soll überhaupt ein perfekter Espresso sein? Cremig? Weniger Cremig? Stark? Weniger Stark? Zwei-Millimeter-Crema? Oder doch lieber drei? Die Antworten sind gar nicht so einfach. Vor allem sind sie aber bei jedem Menschen individuell. Und dazu auch noch schwankend. Manchmal mag ich lieber einen kurzen Espresso und manchmal war der Tag so hart, dass ich einen langen brauche. Aber immer will ich die Leidenschaft und das Gefühl schmecken. Mathe hat da nichts für mich zu suchen.
Zusätzlich stellt sich mir die Frage nach dem Warum. Warum soll jeder Espresso gleich schmecken? Und warum soll er “perfekt” sein? Der Wahn nach Perfektion geht da zu weit. Instagram, Snapchat und Co. fordern schon genug danach. Bei meinem geliebten Kaffee-Päuschen kann ich mir den gut sparen. Viel lieber habe ich doch Abwechslung und spüre bei jeder Bestellung den leichten Strom des Adrenalins in meinen Adern: Wird der Espresso heute schmecken oder nicht? Werde ich heute den besten Espresso meines Lebens trinken?
Eine Formel. Eine Einheitsklausel wird das kaputt machen. Aus einem Gefühl werden Zahlen. Aus einem Ereignis wird Monotomie.
Was die TU-Studierenden vom Espresso a la Mathe-Formel halten
Der generelle Tenor unter den Studierenden war ebenfalls: Wie soll das funktionieren? Müberra (23) hält das Ganze beispielsweise für “Schwachsinn, weil ja jeder den Kaffee anders trinkt.” Sven (23) hingegen findet die Idee interessant: “Wenn es einen gibt, zu dem man sich hin orientieren kann, der gut ist, der dann auch allen schmeckt, wär es eigentlich ganz schön”. Gerade der Nachhaltigkeits-Aspekt scheint für die Studierenden interessant zu sein. Nadja (27) hat aber Angst, dass es sich negativ auf die Arbeitsplätze auswirkt: “Ich stelle mir das nämlich so vor, dass dann auch alles stark automatisiert werden könnte.” Und Johanna (27) beweist, dass das Thema für manche gar nicht so ne große Sache ist: “Mir ist das eigentlich egal, aber es ist auf jeden Fall interessant, dass es dafür eine mathematische Formel geben soll.” Gut, nicht jeder sieht Kaffee also als Religion an… Muss ich auch akzeptieren – und auch, dass sich nicht alle einig sind.
Nicht einmal die “Kaffeekollegen”. Johanna (25) arbeitet dort und kann sich das gut vorstellen: “Wir haben ja auch schon Anhaltspunkte, wie man den perfekten Espresso hinbekommt. Also mit der perfekten Crema und wie der besonders gut aussieht und schmeckt. Wieso sollte man das nicht in eine Formel umdichten können?”. Ihr Kollege Tim (25) sieht das hingegen ganz anders und ist sich sicher, dass man mit einer Mathe-Formel nicht den perfekten Espresso darstellen kann: “Alleine schon aufgrund der Tatsache, dass Menschen verschiedene Geschmäcker haben. Wir kriegen zum Beispiel hier bei der Arbeit verschiedene Bestellungen rein. Die Einen wollen den Espresso lang, die Anderen lieber kurz. Dann verfeinern ihn manche mit Zucker oder Milchschaum. Alleine deshalb denke ich, dass das gar nicht möglich ist.”
Auch, wenn andere eine abweichende Meinung haben, bleibe ich bei meiner. Mathe mit dem Gefühl und der Leidenschaft vom Kaffee-Trinken zu verbinden, klappt für mich nicht. Weder der perfekte Espresso noch der unveränderliche, immer gleichbleibende Geschmack haben irgendeinen Anreiz für mich. Wenn ich also das nächste Mal fünf Espressos an einem Tag trinke (daran ist die Uni schuld…), erfreue ich mich daran, dass jeder ein minibisschen anders schmeckt. Dass der eine ein kleines bisschen besser ist, als der andere. Und ich werde jeden trinken mit dem aufregenden Hintergedanken im Kopf, dass einer davon vielleicht der beste meines Lebens sein könnte…
Beitragsbilder: Rika Kuslchewski