Kommentar: Lasst mich doch einfach eine Lisa sein!

Lisa. Ein Vorname. Ein Vorurteil. Lisa. Die junge Frau, die nach dem Abitur ein Jahr in Australien oder Neuseeland war. Dadurch ist sie irgendwie zur Lachnummer geworden. Unsere Autorin Rika ist selbst so eine Lisa (auch wenn sie anders heißt) und räumt mit den Klischees auf.

Die Welt entdecken, offen für Neues sein und verschiedene Kulturen kennenlernen – das sind wichtige Attribute für junge Leute. Schließlich leben Jugendliche doch Toleranz und Vielfalt. So hat es die Shell Jugendstudie 2019 herausgefunden. Doch sobald junge Frauen den Schritt nach Australien oder Neuseeland wagen, werden sie mit einem Namen konfrontiert: Lisa. Simpel und hochgeschaukelt zu einer fiktiven Klischeefigur. Witz und Aussagekraft hat er in den vergangenen Jahren längst verloren.

Ähnlich wie Jura-Justus, der ständig Cargo-Shorts mit eingestecktem Hemd trägt, muss auch Lisa gegen Vorurteile kämpfen: Sie verbrachte Zeit im Ausland, um sich selbst zu finden. Die Lieblingsbeschäftigungen einer Lisa waren dort Feiern und Trinken. Sie schmückt sich damit, wie viele tasmanische Bären sie gesehen hat. Und muss allen zeigen, wie gut und viel sie Englisch sprechen kann.

https://twitter.com/Studentenstoff1/status/1209794867154563073

Wir brauchen noch ein Vorurteil! Schnell!

Ist unsere Gesellschaft nicht schon genug von Vorurteilen geprägt? Studenten sind faul. Frauen können kein Auto fahren. Deutsche sind humorlos. Nun kommt noch die Ausland-Lisa hinzu. Es ist fast schon zu banal, über Menschen zu urteilen, die versuchen anderorts Erfahrungen zu sammeln. Niemand sollte sich durch Anfeindungen wie „Wow, du bist ja so international“ oder „Wir wissen mittlerweile, dass du im Ausland warst“ besser fühlen. Warum gönnt man mir meinen Aufenthalt in Neuseeland und meine Veränderung des Charakters nicht einfach? Ist da vielleicht jemand neidisch?

Spiegelreflex um den Hals, Outdoor-Kleidung am Körper und eine Aussicht, die ohne mir davor wahrscheinlich besser wäre – ja, dem Vorurteil der Ausland-Lisa entspreche ich. Und nicht nur auf dem Bild, denn ich war nach dem Abi acht Monate als Aupair in Neuseeland. Aber vielleicht habe ich da auch mehr gemacht, als Alkohol zu trinken, Geld auszugeben und deutsch zu verlernen…

Warum fühlen sich so viele angegriffen, wenn jemand aus seinem 13 Millimeter Radius gesprungen ist und etwas Neues kennenlernt? Ob das nun im Heimat-Dorf oder am Ende der Welt passiert, 18.000 Kilometer entfernt, ist doch allen selbst überlassen.

Fakt ist: Meine innere Lisa war mutig genug, den Schritt in die Ferne zu wagen und hat dabei einiges gelernt. Nicht nur über Neuseeland, sondern auch selbstständig zu sein. Etwas, das sich viele Studierende erst zu Beginn ihres Studiums aneignen. Ich habe Menschen kennengelernt, die ich sonst niemals getroffen hätte. Und eine zweite Heimat gefunden, in der ich mich so wohlfühle wie in Deutschland.

Kannst du kein Deutsch mehr, Lisa?

Manchmal fällt der Auslands-Lisa ein deutscher Begriff nicht sofort ein. Und es ist natürlich nervig, wenn sie das bewusst zur Schau stellt. Den meisten passiert das jedoch unabsichtlich. Natürlich verankern sich durch den Sprachgebrauch im Ausland viele englische Wörter im Kopf. Da ist es doch nur logisch, dass sich beide Sprachen vermischen. Und passiert uns das nicht allen? Den einen mehr, den anderen weniger. Unsere Sprache wandelt sich und fremdsprachige Begriffe sind fester Bestandteil, landen sogar bei uns im Duden.

Die Sprachkenntnisse zu verbessern, ist etwas Tolles. Etwas, das mich nicht nur im Alltag, auf Reisen und im internationalen Kontakt weiterbringt, sondern auch auf dem akademischen Weg.

Englischkenntnisse werden wegen der Globalisierung und Digitalisierung für Unternehmen immer wichtiger, besagt der English Proficiency Index des Unternehmens Education First, der weltweit größten privatwirtschaftlichen Bildungsinstitution. Demnach ist es mittlerweile bei den meisten Bewerbungen erforderlich, über sehr gute Englischkenntnisse zu verfügen.

Außerdem erachten 64 Prozent der deutschen Arbeitgeber*innen Auslandserfahrung als wichtig, berichtet der Deutsche Akademische Austauschdienst. Für dieses zusätzliche Wissen und die Pluspunkte im Lebenslauf nehme ich gerne in Kauf, im Alltag englische Begriffe einzuwerfen, die alle anderen auch benutzen.

https://twitter.com/Studentenstoff1/status/1183317842999074817

Das böse „Aus-Wort“

Es darf nicht sein, dass die Ausland-Lisa in Gesprächen aufgrund ihrer Erfahrung zurückgedrängt wird. Oft kommt sie nicht mal mehr so weit, etwas von ihrer Reise zu erzählen. Vorher wird ihr schon der Satz abgeschnitten. Sie hat nämlich das böse „Aus-Wort“ benutzt: Ob dahinter nun Ausland oder Australien steckt, kann man sich aussuchen. Oder sie hält sich von vornherein lieber zurück, um nicht wieder dem Klischee zu entsprechen. ​

Ich will und werde mich nicht zurückhalten, nur weil jemand neidisch ist, dass ich diese Erfahrungen gesammelt habe und sie oder er nicht. Deshalb bleibt locker und gönnt. Dann können Lisas einfach Lisas sein. Und der Vorname ist einfach wieder nur ein Vorname.

Bilder: Rika Kulschewski/Kurt

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