Am Mittwoch, den 16. Juni, haben sich US-Präsident Joe Biden und Russlands Präsident Wladimir Putin auf neutralem Boden in Genf getroffen. Dies war das erste Treffen der beiden Staatschefs nach Bidens Amtsantritt. Was das Treffen für eine Bedeutung für die amerikanisch-russische Beziehung hat, erklärt Politikwissenschaftler Martin Koch. Er ist Oberstudienrat im Hochschuldienst der Fakultät für Soziologie an der Uni Bielefeld.
KURT: Herr Koch, welche Bedeutung messen Sie dem gestrigen Gipfeltreffen von Biden und Putin zu?
Martin Koch: Das Treffen war sicherlich nicht nur reine diplomatische Höflichkeit, sondern fand vor dem Hintergrund statt, dass die Beziehung zwischen den USA und Russland deutlich schlechter geworden ist durch die Wahl Bidens. Das ist jetzt der Versuch von Biden gegenüber Putin, ein Stück weit vielleicht nicht zur Normalität zurückzukehren, aber zumindest erste Schritte wieder aufeinander zuzumachen. Also damit sich die Beziehungen eben nicht noch weiter verschlechtern und man – der Begriff wurde in einem Interview gesagt zum Einläuten dieses Treffens – auf gar keinen Fall in einen neuen Kalten Krieg abrutschen will.
Kalter Krieg ist hier sicherlich als Begriff übertrieben. Nichtsdestotrotz sind die Beziehungen einfach auf einem Tiefpunkt zwischen den USA und Russland. Das Ganze wird sicherlich genährt durch den G7 Gipfel, der gerade stattgefunden hat und durch die Rückvergewisserung Bidens bzw. die Klarstellung, dass sich die USA wieder deutlich stärker an der Seite Europas sieht und die gemeinsam eine politische Linie gegenüber Russland verfolgen wollen.
KURT: Das letzte Treffen von Putin und Bidens Vorgänger Trump lief ja vor drei Jahren anders ab. Hat sich Biden im Gegensatz zu Trump besser geschlagen?
Koch: Besser oder schlechter kann man hier gar nicht sagen. Zum einen ist es eine andere Zeit gewesen als Trump und Putin sich 2018 getroffen haben. Zum anderen ist Trump ein anderer Präsident gewesen. Trump hatte eigentlich keine großen Absichten, z.B. gemeinsam mit der G7 aufzutreten oder gemeinsame NATO-Politik zu verfolgen. Das scheint jetzt mit Biden nicht mehr der Fall zu sein. Biden versucht deutlich stärker an Europa heranzurücken und eine gemeinsame Linie gegen Russland zu formulieren.
Deswegen ist es einfach ein ganz anderes Gespräch und eine ganz andere politische Linie, die hier verfolgt wird. Das war bei Trump eben nicht erkennbar gewesen – zumindest nicht 2018. Im Gegenteil sogar! Trump hat sich ja zu seiner Zeit dazu hinreißen lassen, Aussagen zu machen, die gegen seine eigenen Geheimdienste gerichtet waren und die er später dann zurücknehmen musste. Das war ein anderes Gespräch und eine andere Beziehung, die die Präsidenten untereinander hatten.
KURT: Was glauben Sie, welche Interessen Putin mit dem Treffen verfolgt hat? Er hat die Einladung Bidens ja angenommen – wahrscheinlich nicht ohne Hintergedanken.
Koch: Offengestanden glaube ich, dass weder Putin noch Biden ein Interesse daran haben können, dass die Beziehung zwischen Russland und den USA sich noch weiter verschlechtern. Die ersten Zeichen stehen ja darauf, dass man z.B. mit Blick auf Cyber-Kriminalität zusammenarbeiten möchte, dass man sich darauf geeinigt hat, die Botschafter auszutauschen – bzw. die Botschaften wieder zu besetzen. Das ist ja zumindest ein Zeichen, aber – ganz wichtig – nicht auf Entspannung.
So weit sind wir nicht und so weit werden wir auch in absehbarer Zeit nicht sein, aber es ist zumindest ein Zeichen, dass man hier aufeinander zugehen will, dass Gesprächsbereitschaft signalisiert wird. Das war hier auch von Biden ganz geschickt, dass er eingangs gesagt hat, dass er es immer besser findet, wenn man sich von Angesicht zu Angesicht trifft. Also sozusagen nicht beispielsweise über die Medien miteinander kommuniziert. Trump hat das ja gerne gemacht – über seinen Twitter Account Botschaften abgesetzt. Hier versucht Biden eben einen anderen Politikstil zu pflegen, indem er das direkte Gespräch mit Putin sucht.
KURT: Glauben Sie denn, dass Biden diese Kritik deutlich genug gemacht hat? So dass Putin sie auch ernst nimmt? Oder hätte er sie besser deutlich machen können?
Koch: Zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich kaum andere Möglichkeiten als ganz dezidiert darauf hinzuweisen und diesen Punkt anzusprechen – von mir aus auch vor der Presse diese Punkte anzusprechen. Alle anderen Möglichkeiten wie Sanktionen, würde wiederum dazu führen, dass diese Spirale von Sanktionen und Gegenmaßnahmen wieder in Gang gesetzt wird. Und genau das ist es, was beide verhindern wollen – sowohl Biden als auch Putin.
Deswegen wird es mutmaßlich dabei bleiben, nicht nur für den Augenblick sondern auch für die absehbare Zukunft. Also dass der US-Präsident bzw. die Administration auf diese Menschenrechtsverletzungen etc. hinweist. Aber es wird sicherlich dabei bleiben. Also ich kann mir nicht vorstellen, dass man versucht hier, Maßnahmen zu ergreifen, die Russland ggf. zwingen könnten.
KURT: Glauben Sie denn, dass noch mehr Punkte hätten angesprochen werden sollen? Oder waren es genau die richtigen Punkte, die angesprochen wurden?
Koch: Dabei rumgekommen ist ja zunächst einmal nicht sonderlich viel. Es war jetzt das erste Treffen und man hat signalisiert, dass es die Gesprächsbereitschaft gibt. Putin hätte nicht darauf einsteigen müssen, er hätte das Gespräch auch einfach umgehen können, aber er ist drauf eigestiegen. Das ist schon mal ein gutes Zeichen.
Ein gutes Zeichen ist auch, dass man sich zumindest angenähert hat, was die Botschafter angeht, was Zusammenarbeit in einzelnen Bereichen angeht – auch wenn das sicherlich nur eine minimale Zusammenarbeit sein wird und vielleicht auch nur auf dem Papier – aber trotzdem hat man signalisiert, dass man hier aufeinander zugehen wird. Und sehr viel mehr konnte man vom ersten Treffen nicht erwarten. Die Frage ist jetzt eigentlich, wie geht es weiter? Was passiert danach? Dann werden sicherlich und dann können sicherlich auch noch weitere Punkte angesprochen werden. Zeitgleich ist ja auch vom EU-Außenbeauftragten eine Strategie vorgelegt worden, wie die EU in ihren Beziehungen zu Russland vorgehen will.
KURT: Und wie möchte die EU in ihren Beziehungen zu Russland vorgehen?
Koch: Die EU hat da 3 Punkte deutlich gemacht: Push back – also zurückweisen, constrain –Einschränken und engage – also mit Russland gemeinsam an Themen arbeiten. Das sind sozusagen die drei Pfeiler und ich würde vermuten, dass das sehr eng mit den USA abgestimmt ist. Das zeigt sich ja auch zum Teil in den ersten Maßnahmen, die ergriffen wurden bzw. in den Themen, über die gesprochen wurde seitens der USA mit Blick auf die russische Handlungsfähigkeit. Also dass z.B. der Finanzsektor eingeschränkt wird und es europäischen und amerikanischen Banken schwerer gemacht wird, russische Anleihen zu handeln. Damit Russland dann stärkere Probleme hat, an Finanzmittel zu kommen.
Das ist jetzt keine strenge Maßnahme – keine Sanktion im engeren Sinne – aber es ist schon eine Einschränkung, die deutlich machen soll: „Wir lassen uns nicht alles gefallen!“ Man versucht den Russen hier auch die rote Linie aufzuzeigen. Hier hat Biden auch im Gespräch z.B. zur Cyber-Kriminalität ganz klipp und klar gesagt, dass man hier keine Cyber-Kriminalität duldet und ein Verstoß entsprechende Gegenmaßnahmen zur Folge haben wird. Hier ist es sehr begrüßenswert, dass das eine US-amerikanische Strategie ist, die mit den G7-Staaten abgestimmt ist und nicht nur eine Strategie Joe Bidens. Dadurch kann man dann natürlich eine deutlich stärkere Schlagkraft erzeugen – also metaphorisch gesprochen.