WM 2022 – Gut Kick in die Menschenrechte

Menschenrechtsverletzungen, Bestechung, Boykott. Drei Worte, die insbesondere im Kontext der diesjährigen WM in Katar keine Überraschung mehr sind. Wieso ein Boykott die einzig moralisch richtige Lösung ist. Ein Kommentar.

Über die Bedeutung des Fußballs für Deutschland müssen wir nicht sprechen – für die deutschen Ottonormalverbraucher*innen ist der Rasensport wie für Studis das Elotrans nach einer langen Nacht. Doch die laufende Berichterstattung über Katar deckt in regelmäßigen Abständen immer weitere Probleme und Missverhältnisse auf. Viele rufen zum Boykott der WM auf, darunter mehrere Fanclubs großer deutscher Fußballvereine, zum Beispiel die Schalker Fan-Initiative, der Fanclub Totale Offensive BVB oder der FC Bayern-Fanclub hia-san-mia.

Das Weltspektakel droht, ins Wasser zu fallen – wenn es das in der Wüste überhaupt geben würde. Und das, nachdem die Fußballfans während der Corona-Zeit nägelkauend auf die WM hin gefiebert haben. Aber egal, wie sehr der Fußball den Deutschen am Herzen liegt: Dieses Jahr müssen wir den Herzschmerz verkraften und eine Beziehungspause einlegen! Eins ist schon mal klar: Die WM 2022 wird keinesfalls vergleichbar mit dem Sommermärchen von 2006 oder dem Wunder von Bern. Viel wahrscheinlicher wird sie als die Korruptions-KATARstrophe in die Geschichte eingehen. Und das zurecht!

Sommertraum Adieu

Wer mit einer WM warmes Sonnenwetter, Vuvuzela-Getröte, gekühltes Bier und einen brutzelnden Grill verbindet, darf sich dieses Jahr auf nass-kaltes Grau, Glühwein und Tannenbaumschmücken einstellen. Denn die WM findet im November statt und endet somit kurz vor Weihnachten. Warum? Weil die Temperaturen in Katar im Sommer zu hoch sind, um sich sportlich zu betätigen. Der Golfstaat weist in den wärmsten Monaten durchschnittliche Temperaturen von über 40 Grad Celsius auf, und jede*r Acht-Jährige, der*die im europäischen Sommer mal eine Stunde auf dem Bolzplatz verbracht hat, weiß: Da hilft auch kein Durstlöscher mehr.

Umso absurder ist doch, dass Arbeiter*innen bei den unmenschlichen Temperaturen weiterhin fleißig werkeln müssen, während die FIFA die WM für die Fußballer und aufgrund von weltweit geäußerten Bedenken in den Winter verschiebt. Rund 1,2 Millionen, hauptsächlich aus Asien stammende, Gastarbeiter*innen sind in Katar tätig. Seit der WM-Vergabe 2010 sind viele an den Folgen von unzumutbaren Bedingungen gestorben. In dem Bericht „In der Blüte ihres Lebens“ von Amnesty International zeigen Regierungsdaten, dass zwischen 2010 und 2019 über 15.000 Nichtkatarer*innen verstorben sind. Die Ursachen werden nicht richtig untersucht und mit einer Diagnose von „Herz-Kreislauf-Erkrankungen“ abgetan.

Aber das ist noch nicht alles: Einige FIFA-Funktionäre haben Geld dafür erhalten, dass sie im Gegenzug Stimmen für Katar gesichert haben. Das hat das Justizministerium der Vereinigten Staaten nach jahrelangen Ermittlungen festgestellt, berichtete die New York Times im Jahr 2020. Geld, Macht, Bestechung ­– von diesen Skandalen bleibt auch der Fußball nicht verschont.

Katar und Fußball sind wie Wasser und Öl

Katar erfüllte schon vor der Abstimmung nicht die Anforderungen der FIFA und hat in seiner Historie nur wenige fußballerische Highlights aufzuweisen. Dass die Abstimmung für Katar als Austragungsland gekauft ist, ist also genau so wenig überraschend wie ein weiterer Meisterschaftstitel des FC Bayern München.

Wenn wir ehrlich sind, hat Katar selbst kaum Bezug zum Weltfußball. Zum Zeitpunkt der Vergabe befand sich die Nationalmannschaft auf Platz 113 von 202 der FIFA-Weltrangliste. Und bisher konnte sich die Nationalmannschaft auf sportlichem Wege noch nie für eine WM qualifizieren. Aber wer muss schon gut im Fußball sein, wenn er voll von Menschenrechtsverletzungen und Korruption ist? Die Ethik-Kommission der FIFA behauptet, es sei alles rechtens abgelaufen. Auch der derzeitige FIFA-Präsident Gianni Infantino betonte, die Arbeit des Verbands transparenter gestalten zu wollen. Komisch, denn genau Infantino zieht mit seiner Familie nach Katar und schult dort seine Töchter ein. Den Umzug rechtfertigt der FIFA-Präsident mit der Aussage, er wolle mit seiner Familie mehr Zeit verbringen. Hier wird kein Video-Assistent gebraucht, um zu sehen, dass etwas gewaltig nicht stimmt.

Gegen die Nostalgie und für den Boykott

„Mach ihn, mach ihn, er macht ihn! Mario Götze – das ist doch Wahnsinn!“, so lauteten die Worte des Kommentatoren Tom Bartels beim 1:0 von Mario Götze im Finale der WM 2014. Dieses Ereignis werden die Deutschen so schnell nicht vergessen. Die gewonnene WM versetzte ganz Deutschland in Ekstase und markiert außerdem den letzten Höhepunkt des fußballerischen Fanatismus. Auch, wenn vielen bei all der Nostalgie der Verzicht auf Fußball schwerfällt, sollte die Situation in Katar einen Boykott begründen. Für uns „Normalos“ heißt das: keine Produkte mit WM-Logo oder Produkte von Firmen kaufen, die die WM aktiv bewerben und das Turnier somit sponsern. Nicht nach Katar reisen und in Deutschland an keinen Public Viewings teilnehmen.

Wer seiner persönlichen Unzufriedenheit Ausdruck geben möchte, kann Briefe und Mails an die FIFA schicken. Social-Media-Kampagnen oder Protestschreiben helfen, alles, was Aufmerksamkeit auf die WM und ihre Umstände lenkt. Auch der DFB, TV-Sender oder Nationalspieler und Trainer können und sollten auf die Umstände hinweisen, Aufklärungsarbeit leisten und die Missstände offen problematisieren. Ein Boykott ist die Möglichkeit, ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen, das auf die schrecklichen Umstände der Arbeiter*innen aufmerksam macht. Und auf die Korruption in einem so großen, internationalen Verband wie der FIFA hinweist. Wer dieses Jahr den „Cup of Shame“ gewinnt, wird nur von zweitrangigem Interesse sein. Die Einwohner*innen des Siegerlandes werden sich darüber wohl auch nicht unbedingt freuen können. Klarer Sieger der Menschenrechtsverletzung und heuchlerischer Selbstpredigt hingegen sind Katar und die FIFA. Diese werden beide mit einem schlechten Ruf bezahlen.

Beitragsbild: Rhett Lewis, unsplash.com

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