Unter den Nebenwirkungen von Astrazeneca und Johnson&Johnson leiden vor allem junge Menschen – insbesondere Frauen. Trotzdem bestehen viele ältere Leute darauf, einen mRNA-Impfstoff für sich zu beanspruchen. Ein Kommentar aus Sicht einer Studentin.
Schätzungsweise ein Drittel meiner Freund*innen hat sich mit Astrazeneca impfen lassen, ein oder zwei Leute mit Johnson&Johnson. Klar war vorher schon: Wer sich für einen der Vektorimpfstoffe entscheidet, liegt danach erst mal flach.
Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Fieber – manche meiner Freund*innen konnten sich quasi kaum noch bewegen. Mein Mitbewohner kam eine Woche nach seiner Johnson&Johnson-Impfung eines Morgens physisch kaum noch aus dem Bett. Dabei hätte es noch schlimmer kommen können – und das war ihnen auch im Vorhinein klar. Trotzdem haben sie das Risiko auf wochenlange Nebenwirkungen oder gar Hinvenenthrombosen in Kauf genommen. Um sich selbst zu schützen, aber eben auch, um die schwächeren und oft älteren Glieder unserer Gesellschaft zu schützen.
Dass Vektorimpfstoffe gegen das Corona-Virus insbesondere bei jüngeren Menschen heftige Nebenwirkungen mit sich bringen können, hat die Ständige Impfkommission (Stiko) schon vor Monaten verkündet. Aber sie hat auch das Bild vermittelt, Astrazeneca sei grundsätzlich böse. Virolog*innen sprachen von Begriffen wie “Thrombose” und “geringere Wirksamkeit”, und auch in Öffentlichkeit und Medien wurden die Nebenwirkungen wild spekuliert und noch wilder diskutiert.
(1) Die Entscheidung der EMA zu AstraZeneca überzeugt. Allgemeine Thrombosen sind nicht häufiger als ohne Impfstoff. Die speziellen Thrombosen im Gehirn, SVT mit Hämolyse, sind sehr rar. Auch wenn sie auf Astra Impfstoff zurückgehen sind sie zu selten für Einschränkung.
— Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) March 18, 2021
Wer zuerst kommt, … ist in erster Linie älter
Geimpft zu werden, das war für uns Studierende vor einigen Monaten noch nicht einmal Thema. Dieses Privileg stand den älteren Teilen der Gesellschaft zu, und das war auch richtig so. Gar keine Frage: Risikogruppen mussten und müssen nach wie vor bevorzugt geschützt werden.
Aber dann grinste mir eines Tages ein komplett gesunder, Anfang-60-jähriger Mann ins Gesicht und erzählte mir schulterzuckend: Na, also da er schon die Möglichkeit habe, wähle er BioNtech – warum solle er sich denn mit einem minderwertigen Vektorimpfstoff zufrieden geben?
“Zufrieden geben.” Ich konnte nur fassungslos den Kopf schütteln, während ich vor meinem inneren Auge die Gesichter meiner Freundinnen sah: Anfang 20, die sowieso schon die Pille nehmen, die sich wie wild freuten, dass sie jetzt doch noch eine Astrazeneca-Impfung abstauben konnten.
Risiko und Verzicht
“Astra für alle!”, hieß es plötzlich überall, als Astrazeneca freigegeben wurde. Ein “Heureka” der jungen Generation. Auf einmal war alles wieder absehbar – wenn auch nur schemenhaft: eine Art der Fast-Normalität! In nur 14 Wochen!
Zwar wurde teilweise vor allem jungen Leuten empfohlen, auf die Chance eines mRNA-Impfstoffs zu warten, denn früher oder später werde sie kommen, und was machen schon zwei Monate mehr oder weniger?
Aber zwei Monate machen viel. Wir befinden uns in einem Lebensabschnitt des Umschwungs und der Selbstfindung. Seit inzwischen fast anderthalb Jahren haben wir uns zurückgenommen. Wir haben Pläne umgeworfen und auf unsere Hobbies verzichtet. Wir sind abends hektisch nach Hause gesprintet, aus Angst, die Ausgangssperre könnte schneller sein als wir. Wir haben unsere Nebenjobs verloren, vielleicht auch die eine oder andere Freundschaft wegen mangelnden Kontakts. Vorlesungen bestehen schon längst nur noch aus kleinen, stummen Vierecken auf Bildschirmen.
Viele junge Leute in Europa fühlen sich im Kontext der Corona-Krise nicht wertgeschätzt. Das bestätigt auch eine Studie der TUI Stiftung aus dem Juni. Mehr als 75 Prozent der zwischen 16- und 26-Jährigen finden demnach, dass die Gesellschaft ihren Verzicht in der Pandemie nicht richtig anerkennt. Stattdessen werden uns jungen Menschen genau die Impfstoffe aufgedrückt, die wir altersbedingt am schlechtesten vertragen. Weil Ältere die anderen Stoffe für sich beanspruchen. Danke für gar nichts.
So funktioniert das mit der Solidarität nicht
Ich will hier nicht aufhetzen. Ich will nicht kategorisieren. Es ist absolut verständlich und natürlich, für sich selbst und seine Liebsten das Beste zu wollen. Außerdem kann ich nachvollziehen, wenn sich insbesondere ältere Menschen in der Pandemie unsicher und schlecht informiert fühlen.
Aber wir sollten aufpassen, dass auch keine andere Altersklasse zurückgelassen wird. Denn was wäre das für eine Gesellschaft? Eine, in der sich Menschen für andere aufopfern und letzten Endes trotzdem die Verlierer*innen sind? Eine, in der altersbedingt Klassen entstehen zwischen den mRNA-Geimpften und solchen mit einem Vektorimpfstoff? Von denen eine Gruppe bald wieder unbegrenzt die Welt erkunden darf und die andere noch mit Reisebeschränkungen zu kämpfen hat?
Inzwischen haben wir anderthalb Jahre Pandemie hinter uns. Viele von uns waren zwischendurch unsicher, haben Fehler begangen und viel aus ihnen gelernt. Das gilt auch für die Politik. Der Großteil der impfwilligen Bevölkerung hat immerhin die Erstimpfung erhalten, und den Arztpraxen steht mehr Impfstoff als angefragt zur Verfügung.
Aber das vielleicht größte Problem, das steht immer noch ungelöst im Raum: unser scheinbar unerschütterlicher, unantastbarer Egoismus.
Also lasst uns einander zuhören. Aufklären. Nach Lösungen suchen. Damit wir nicht noch eine Pandemie brauchen, um das mit der Solidarität endlich mal auf die Reihe zu kriegen.
Beitragsbild: unsplash / Mohammad Shahhosseini