Wie wichtig Wissen über Forschung ist, zeigt die Corona-Krise. Nicht selten haben in den letzten Monaten Wissenschaftsthemen die Nachrichtenlage bestimmt und die Titelseiten bekannter Zeitschriften geschmückt. Viele Forscher*innen wollen aber nicht, dass nur andere über ihre Arbeit berichten. In den sozialen Netzwerken zeigen sie deswegen selbst, wie Wissenschaft funktioniert und vermitteln ihr Wissen an ihre Follower*innen. Oft erreichen sie damit Zehntausende Menschen.
Im Oktober 2016 postet Stina Börchers zum ersten Mal auf der Plattform Instagram. „Ein herzliches Willkommen an jeden, der über diese Seite stolpert“, schreibt die damals 21-jährige Studentin aus Bremen. Mit ihrem Account stina.biologista will sie Eindrücke aus ihrem Biologiestudium teilen und sich selbst zum Lernen motivieren. In den folgenden Jahren werden viele Menschen jedoch nicht nur über ihren Account stolpern, sondern auch bleiben: Mehr als 12.000 Follower*innen hat sie heute – darunter finden sich Stina zufolge Schüler*innen und Studierende, Forscher*innen und interessierte Lai*innen.
Mehr als nur Informationsvermittlung
Auf Instagram und ihrem Blog erzählt die mittlerweile 26-jährige Doktorandin von ihrer Forschung zur Darm-Hirn-Kommunikation, nimmt ihre Follower*innen virtuell mit ins Labor und diskutiert aktuelle Wissenschaftsthemen. Doch Stinas Follower*innen bekommen nicht nur einen Einblick in den Arbeitsalltag an der Universität. Sie erfahren zum Beispiel auch, wie Stina mit dem Leistungsdruck im Studium umgeht oder wenn im Labor mal etwas schiefgeht. „Ich will zeigen, wie Wissenschaft wirklich funktioniert“, erklärt die Neurowissenschaftlerin. Sie bezeichnet sich selbst als Sciencefluencerin, also Wissenschaftsinfluencerin. Der Begriff leitet sich vom englischen Wort „influence“ (Einfluss) ab und meint digitale Meinungsmacher*innen, die in sozialen Netzwerken über bestimmte Themen, Produkte und Marken berichten. Auch Stina beeinflusst ihre Follower*innen. Statt mit Makeup oder Kleidung will sie aber Menschen bei der Studienorientierung begleiten und Interesse für die Wissenschaft wecken.
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Wie Stina sind immer mehr Forscher*innen als Sciencefluencer*innen unterwegs. Denn der große Vorteil der sozialen Medien ist, dass sie für alle leicht zugänglich sind. Besonders Jüngere nutzen sie nicht mehr nur zur privaten Kommunikation, sondern als Nachrichtenquelle. Das geht aus dem Reuters Institute Digital News Report von 2020 hervor. Demnach verwendeten rund 30 Prozent der unter 25-Jährigen in Deutschland primär soziale Medien, um an Informationen zu gelangen. Auch, um sich über das Corona-Virus zu erkundigen, nutzten sie verstärkt Plattformen wie Youtube oder Instagram. Doch an einem Ort, der grenzenlosen Informationszugang verspricht, besteht auch die Gefahr, an Falschinformationen zu geraten. Niemand kann garantieren, dass alles, was jemand online behauptet, der Wahrheit entspricht – auch, wenn die Person einen weißen Kittel trägt.
Wissenschaftskommunikation ohne Filter
Am Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik) in Karlsruhe gibt Ulrike Brandt-Bohne Fortbildungen, bei denen sie Wissenschaftler*innen zeigt, wie sie soziale Medien für sich und ihre Forschung nutzen können. Die promovierte Biologin und Wissenschaftsjournalistin kennt die Herausforderungen der Wissenschaftskommunikation. Sie findet es wichtig, dass sich die Menschen der Verantwortung bewusst sind, die aus dem Einfluss sozialer Netzwerke resultiert. Denn vor allem Jüngere schauen Brandt-Bohne zufolge zu Influencer*innen auf und sehen sie oft als Vorbild. Damit gäben die Influencer*innen der Wissenschaft zwar eine neue Sichtbarkeit – das könne aber noch nichts über die Qualität der Informationen aussagen.
Sciencefluencerin Stina ist sich dieser Verantwortung bewusst. Die Neurowissenschaftlerin legt großen Wert darauf, dass alles, was sie im Internet sagt, wissenschaftlich belegbar, also evidenzbasiert ist.
„Ich bin mein eigener Filter. Das kann gut sein, aber auch schlecht.“
Vor jedem Post kontrolliere Stina deswegen immer genau, ob die Quellen stimmen. Wenn sie sich unsicher sei, poste die Sciencefluencerin lieber weniger. Sie wolle auf keinen Fall Informationen verbreiten, die sich nicht belegen lassen. Auch Brandt-Bohne appelliert in ihren Seminaren am NaWik immer wieder an die Teilnehmer*innen, in den sozialen Medien transparent mit ihren Quellen umzugehen. Sie sollen vorsichtig sein und, wenn nötig, Aussagen revidieren. So, wie es auch in der Forschung üblich sei.
Stina möchte nicht, dass ihr jemand blind folgt und ihre Aussagen nicht hinterfragt: „Wissenschaftler*innen sind Menschen. Auch wir machen Fehler und haben unsere eigene Meinung“, betont sie. Nicht jede*r schaue reflektiert auf die Beiträge anderer. Viele neigten dazu, alles zu glauben, was Forscher*innen sagen. Deswegen hält sie es für entscheidend, Meinungen klar als solche zu kennzeichnen. Auch für andere Meinungen versucht sie, immer Verständnis zu haben. Damit hat sie Erfolg: Probleme mit beleidigenden Kommentaren und Nachrichten, einen „Shitstorm“, hatte sie noch nicht. Die Doktorandin passt auf, dass sie auf ihrem Kanal nicht zu persönlich wird. Sie teilt selten Details aus ihrem Privatleben, die Wissenschaft soll im Vordergrund stehen.
Wie viel Wissen ist vermittelbar?
Die Hauptfunktion von Instagram ist das Teilen von Fotos und Videos. Für die Bildbeschreibung, also den Text eines Posts, bleiben lediglich 2.200 Zeichen. Verglichen mit einem wissenschaftlichen Artikel in der englischsprachigen Fachzeitschrift Nature, der üblicherweise um die 14.000 Zeichen enthält, ist das wenig. Ein Problem, dem sich Sciencefluencer*innen bewusst sein sollten, findet Brandt-Bohne. Wenn die Leser*innen keine wissenschaftlichen Grundkenntnisse haben, sei das Risiko gegeben, mit Posts für Missverständnisse zu sorgen. „Manchmal wünsche ich mir mehr Tiefe in den Beiträgen, das ist aber oft kaum machbar“, sagt sie. In den sozialen Medien sei es daher meist besser, die kurzen Beiträge nur als Teaser auf längere Blogposts und Videos als Informationsquelle zu nutzen.
Ein System, das der Youtube-Kanal BreakingLab nutzt. Auf dem gleichnamigen Instagram-Account bekommen die Follower*innen nur einen kurzen Überblick zu dem, was sie in den Youtube-Videos erwarten können. Hinter den Videos mit Titeln wie „Die seltenste Blutgruppe der Welt“ oder „Teslas neue Super-Batterie“ steht der 27-jährige Jacob Beautemps. Er findet, dass sich Wissenschaft so besonders gut vermitteln lässt: „Auf Youtube können wir Inhalte länger und intensiver behandeln als auf anderen Plattformen.“ Der studierte Lehrer für Physik und Sozialwissenschaften beschäftigt sich intensiv damit, wie er auf der Videoplattform Wissen vermitteln kann. An der Universität Köln forscht er für seine Doktorarbeit zum Thema künstliche Intelligenz und Lernen auf Youtube.
Einige der Videos von BreakingLab haben die User*innen mehr als eine Million Mal angeschaut. Der Einfluss, den Jacob auf die Zuschauer*innen hat, werde ihm besonders durch die unzähligen Nachrichten auf Instagram bewusst. Auch, wenn er es nicht immer schafft zu antworten, versucht er, jede Nachricht zumindest zu lesen. Jacob legt großen Wert auf den Kontakt zu seinen Follower*innen.
Dass diese Bindung eine entscheidende Rolle beim Erfolg von Wissenskanälen auf Youtube spielt, hat eine Forschungsgruppe der Universität Trier herausgefunden. Für das Projekt hat sie insgesamt 400 deutschsprachige Wissenschaftsvideos auf der Videoplattform ausgewertet. Youtuber*innen wie Jacob nutzen demnach im Gegensatz zu wissenschaftlichen Einrichtungen häufiger die interaktiven Möglichkeiten der Plattformen, um sich eine „Community“ aufzubauen. Das vermittle den Zuschauer*innen das Gefühl, an der thematischen und inhaltlichen Ausrichtung des Kanals beteiligt zu sein. Außerdem stellten die Forscher*innen fest, dass klassische Erklärvideos mit Expert*innen aus dem jeweiligen Fachgebiet deutlich weniger aufgerufen werden als solche, in denen eine fachfremde Person durch das Thema führt.
Sciencefluencer*innen und Wissenschaftsjournalist*innen sind keine Konkurrenten
Dass Wissenschaft nicht nur von Wissenschaftler*innen erklärt werden kann, zeigt Cedric Engels, der seit 2015 den Youtube-Kanal Doktor Whatson betreibt. Der 24-Jährige hat keine Naturwissenschaft studiert, sondern Film. Trotzdem zählen seine Videos, die sich vor allem mit Themen aus der Physik und Zukunftstechnologie beschäftigen, insgesamt schon über 19 Millionen Aufrufe. Er kann nicht wie Doktorandin Stina Zuschauer*innen virtuell mit ins Labor nehmen und zeigen, wie der Arbeitsalltag eines Wissenschaftlers aussieht. Das sei auch gar nicht sein Anspruch: „Ich rede über Wissenschaft, aber ich bin kein Wissenschaftler“, sagt der Youtuber.
Cedric versteht sich nicht als Sciencefluencer, sondern eher als Wissenschaftsjournalist. Wie in einer klassischen Wissenschaftsredaktion recherchieren er und sein mehrköpfiges Team jedes Thema sorgfältig nach. „Wir gucken von außen drauf. Wissenschaftler*innen können ihre Forschung besser erklären, dafür können wir vielleicht neutraler an ein Thema herangehen und besser verstehen, was für die Leute gerade interessant ist“, erklärt Cedric. Er wünscht sich mehr Wissenschaftler*innen, die sich trauen, auch auf Social Media über ihre Forschung zu sprechen. Darin sieht er keine Konkurrenz, sondern die Chance zusammenzuarbeiten.
“Ganz ohne Werbung geht es nicht.”
Die meisten wissenschaftlichen Einrichtungen haben eigene Pressesprecher*innen, die die offizielle Kommunikation nach außen übernehmen. „Viele wollen den unmittelbaren Kontakt zu den Wissenschaftler*innen. Den können die Pressestellen nicht bieten“, sagt Stina. Um sich selbst aktiv an der Wissenschaftskommunikation zu beteiligen, fehlt den meisten Forscher*innen die Zeit. Denn wie viele Arbeitsstunden wirklich in der Produktion eines Videos stecken, werde gerne ausgeblendet, sagt auch Jacob von BreakingLab.
Für den Doktoranden und sein Team ist Youtube die Haupteinkommensquelle. Dafür arbeiteten sie mit Firmen wie beispielsweise Hyundai und Blinkist zusammen. Die Kooperationen wähle er sorgfältig aus, damit die Anzeigen zu den Zuschauer*innen passen und ihnen einen Mehrwert bieten. „Ganz ohne Werbung geht es nicht. Irgendwie muss man ja seine Miete und die Mitarbeiter bezahlen“, sagt er. Instagrammerin Stina rechnet für einen einzigen Post mit etwa drei bis sechs Stunden Arbeit. Zeit, die sie am Wochenende und in ihrer Freizeit neben ihrer Vollzeitstelle als Doktorandin investiert. Um sich ihre Unabhängigkeit als Wissenschaftlerin zu bewahren, verzichte sie auf Werbung, sagt sie.
So viel Zeit könnten nicht alle Wissenschaftler*innen ohne Aufwandsentschädigung erübrigen, sagt Stina. Daher fände sie es gut, wenn für jede wissenschaftliche Stelle Zeit und Geld dafür eingeplant wäre, die Forschung unabhängig von den Pressestellen nach außen zu kommunizieren. Dazu gezwungen werden sollten die Wissenschaftler*innen aber nicht. Trotzdem findet Stina es wichtig, dass Wissenschaftler*innen zumindest eine Grundausbildung in der Kommunikation bekommen. Das spiele in Deutschland in naturwissenschaftlichen Studiengängen meistens noch gar keine Rolle. „Wenn man kommunizieren möchte oder muss, sollte man zumindest auf die Basics zurückgreifen können. Das Interesse daran ist definitiv da“, sagt Stina. Erst im Mai hat sie für eine Konferenz des NaWik einen Workshop zur Forschungskommunikation auf Instagram für andere Wissenschaftler*innen gegeben. Das Interesse sei so hoch gewesen, dass die Zahl der Teilnehmer*innen nachträglich erhöht werden musste.
Teaser- und Beitragsbild: Jennifer Richard