Sag mal Prof: Warum weinen wir?

Regelmäßig fragen wir hier die, die uns im Hörsaal die Welt erklären: unsere Professor*innen und Doktorand*innen. Können sie uns wohl auch alltägliche Fragen beantworten? Sag mal Prof, warum weinen wir? Dieses Mal antwortet Ad Vingerhoets, Professor für klinische Psychologie an der Universität Tilburg in den Niederlanden.

Während Menschen in vielen verschiedenen Situationen und aus sehr verschiedenen Gründen weinen können, tun sie es meistens, weil Weinen ein starkes Signal an andere sendet. Es signalisiert, dass wir Hilfe oder Trost brauchen. Weinen fördert die Empathie der Zuschauenden, sodass die uns dann eher die benötigte Unterstützung anbieten.

Wir weinen, wenn wir uns machtlos fühlen, frustriert oder traurig sind oder wenn wir körperliche Schmerzen haben. Diese Gefühle können ausgelöst werden durch etwas, das in unserer Umgebung passiert. Es reicht aber auch schon der Gedanke an eine Situation und wir müssen weinen. Auch schöne Musik oder selbstloses Verhalten kann uns zum Weinen bringen. Denn auch dann fühlen wir uns machtlos, aber auf eine positive Art. Die Situation ist schön – und wir wissen nicht, wie wir uns darin verhalten sollen.

Prof. Ad Vingerhoets, Foto: Maurice van den Bosch

Weinen hat sich in der Evolution entwickelt. Schreien war für Kleinkinder ein sehr effizienter Weg, um von der Mutter wiedergefunden zu werden, auch im dicksten Unterholz. Auch die Jungen von anderen Säugetieren und einigen Vogelarten machen durch Schreien auf sich aufmerksam. Tränen weinen können menschliche Babys aber erst nach ein paar Wochen. Das scheint in Menschen einzigartig zu sein. Erst vor kurzem haben japanische Forschende Studien veröffentlicht, die sagen, dass auch Hunde und Mäuse weinen können, wenn sie mit ihren Besitzern oder Jungen wieder vereint werden. Vorher dachte man, wir Menschen seien wohl die einzigen Lebewesen, die emotionale Tränen weinen. Jedenfalls weinen wir aber die offensichtlichsten Tränen. Nach meiner Einschätzung liegt das daran, dass wir im Vergleich zu anderen Tieren eine sehr lange Kindheit haben. Das hat damit zu tun, dass unsere Gehirne noch nicht voll entwickelt sind, wenn wir geboren werden. Sie entwickeln sich noch bis ins Alter von 20 bis 25 Jahren. So entsteht ein langer Zeitraum, in dem wir zwar motorisch voll entwickelt sind, aber immer noch von der Unterstützung, der Liebe und dem Schutz von Erwachsenen abhängig sind. Weinen ist ein Mittel, um diese nötige Hilfe zu bekommen.

Wir weinen hauptsächlich, wenn wir allein oder in der Gesellschaft von Vertrauten sind. Unter Fremden unterdrücken wir eher unsere Tränen. Wir wollen uns nicht bloßstellen. Wenn wir weinen, würden wir zeigen, dass wir private Probleme haben. Für Vertraute ist es einfacher, auf die Situation zu reagieren. Fremde können uns nicht so gut trösten, besonders nicht physisch.

Beitragsbild:  Ulrike Mai via pixabay

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