Seit ein paar Tagen kursieren immer mehr Videos von verzweifelten YouTubern auf der Internetplattform – mit Überschriften wie “Mein Kanal wird gelöscht?!” und “Artikel 13 zerstört Leben”. Auslöser ist ein Video des YouTube-Kanals „Wissenswert“ mit dem dramatischen Titel „Warum es YouTube nächstes Jahr nicht mehr gibt“. Aber wie viel Wahrheit steckt hinter dem Gerücht? Kurt macht den Faktencheck.
Der Grund für die Debatte ist eine neue EU-Richtlinie, die bald in Kraft treten soll. Besonders problematisch scheint dabei Artikel 13 zu sein. Laut dem mittlerweile 3,3 Millionen Mal geklickten Video von “Wissenswert” hätte dieser zur Folge, dass „alle Webseiten auf denen Nutzer Bilder, Texte, Musik, Fotos oder Videos hochladen können, für diese Inhalte haftbar gemacht werden.“ Unter dem Hashtag #SaveTheInternet macht das Thema deshalb auch auf anderen Portalen die Runde.
In der Praxis sähe das so aus: Jemand postet beispielsweise ein Video auf Instagram, in dem urheberrechtlich geschützte Musik im Hintergrund läuft. Die Konsequenz wäre, dass der Rechteinhaber nicht den Nutzer, sondern Instagram auf Schadensersatz verklagen könnte. Das würde bedeuten, dass Plattformen wie Instagram, Facebook, YouTube und Tumblr täglich Hunderttausende Anzeigen bekämen.
Auch der Versuch, die Uploads einfach zu kontrollieren, gestaltet sich laut des “Wissenswert”-Videos als schwierig. Selbst das Filter-System von YouTube erkenne viele Urheberrechtsvergehen nicht. Die Strafzahlungen könnten in die Milliarden gehen und dieses Risiko würden diese Plattformen nicht eingehen. Die Macher von “Wissenswert” schlussfolgern daraus: „Und so plant YouTube, einfach alle europäischen Kanäle, die nicht zu einem großen Medienkonzern gehören, zu löschen.“
Wie kommt “Wissenswert” zu solchen Behauptungen?
Bevor das Video von “Wissenswert” am 2. November online kam, hatte bereits niemand anderes als YouTube-CEO Susan Wojcicki am 22. Oktober ein Video zur Thematik gepostet. Darin berichtet sie: “In der EU steht die Urheberrechtsgesetzgebung an, genannt Artikel 13, die euren Lebensunterhalt gefährden und das Internet radikal verändern könnte. Plattformen könnten dazu gezwungen werden, Inhalte massiv zu filtern oder sogar die Upload-Funktion abzuschaffen.” Zudem sagt sie in dem Video:
Artikel 13 könnte Millionen von YouTube-Kanälen stilllegen und ähnliche Auswirkungen auf andere Plattformen haben.
Aber wie ernst ist diese plötzliche Panik zu nehmen? Die Medienrechtler Christian Solmecke und Eva Streicher erklären, was hinter drei Behauptungen aus dem “Wissenswert”-Video steckt.
Medienrechtler Christian Solmecke meint, dass das bisher nicht ganz klar ist. “Derzeit gibt es drei unterschiedliche Entwürfe von Art. 13, die aktuell (…) abgestimmt werden. Alle Entwürfe sehen mehr oder weniger vor, dass YouTube nun nach dem Gesetz die Veröffentlichungshandlung vornimmt.” Das würde dazu führen, “dass YouTube selbst wie ein Urheberrechtsverletzter zu behandeln ist, sofern illegale Inhalte durch die Nutzer hochgeladen werden”, so Solmecke. Ganz klar gehe das aus den Vorschlägen allerdings nicht hervor.
Für Christian Solmecke ist das “nicht vorstellbar”. Allerdings sei der Parlaments- und der Kommissionsentwurf besonders streng: “Danach soll YouTube auf jeden Fall verhindern, dass illegale Inhalte hochgeladen werden. Gibt es trotzdem noch Rechtsverletzungen, soll YouTube selbst haften. Das könnte dazu führen, dass YouTube nur noch vertrauenswürdigen YouTubern eine Uploadmöglichkeit einräumt”, so Solmecke. Er ist der Ansicht, dass dieses Vertrauen zum Beispiel durch die Zusendung eines Personalausweises hergestellt werden könnte. “Damit würden auch kleinere YouTuber noch weiter Inhalte erstellen und uploaden können”, erklärt der Experte. Zudem sehe der Rechtsentwurf vor, dass YouTube zumindest dann nicht haften müsse, wenn “die Plattform alles Zumutbare unternommen hat, um solche Rechtsverletzungen zu verhindern.”
Medienrechtlerin Eva Streicher weist zudem darauf hin, dass immer zwischen rechtswidrigen und rechtmäßigen Inhalten unterschieden werden müsse: “Rechtmäßige, das heißt zulässige Inhalte, dürfen Nutzer weiterhin verbreiten. Problematisch ist es, wenn die Monitoring- und Filtering-Systeme zu ‘Overblocking’ führen würden”, erklärt Eva Streicher. Also wenn Plattformen wie YouTube auch zulässige Inhalte herausfiltern würden oder Accounts von Nutzern in EU-Mitgliedsstaaten sperren würden, um der eigenen Haftung zu entgehen.
Grundsätzlich verlangt Artikel 13 also keine Löschung von Kanälen. Er zielt nur darauf ab, dass die Plattformen, die die Verbreitung von Inhalten ermöglichen, mehr Verantwortung für die dort hochgeladenen Inhalte übernehmen – und eben dieses Material auch bestmöglich filtern.
“Die Meinungsfreiheit sehe ich nicht in Gefahr”, sagt Christian Solmecke. “Es wird im Netz noch immer genügend Möglichkeiten geben, seine Meinung kund zu tun. Ich gehe davon aus, dass es auch mit Art. 13 noch Chancen für kleinere Kanäle auf YouTube geben wird. Online-Videos sind ein Milliardengeschäft; das wird sich YouTube nicht wegen schlecht gemachter Richtlinien oder unverständlichen Gesetzen nehmen lassen.”
Etwas anders sieht es Eva Streicher. Ihrer Meinung nach besteht eine Gefahr, “sofern etwaige Monitoring- und Filtering-Systeme nicht zuverlässig nur rechtswidrige Inhalte blockieren”. Da es sich bei Artikel 13 bislang um einen bloßen Entwurf handelt, ist Streicher aber der Meinung, dass sicherlich noch intensive Debatten dazu folgen werden. “Es bleibt abzuwarten, wie die endgültige EU-Richtlinie aussehen wird”, erklärt die Medienrechtlerin. Die Plattformen müssten sich intensiv damit auseinandersetzen, wie sie welche Inhalte filtern und blockieren.
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