Die Universität ist noch im Aufbau, der Campus eine Baustelle: Volkhard Ruppel hat 1973 angefangen, Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Damals hießen die Fakultäten Abteilungen und die Vorlesungsverzeichnisse wurden noch gedruckt – aber was war sonst noch anders? Zum 50. Geburtstag der TU Dortmund erzählt der stellvertretende Vorsitzende des Alumni-Clubs Wirtschaftswissenschaften, ob früher wirklich alles besser war.
Herr Ruppel, was war damals überhaupt Ihre Motivation zu studieren?
Das war damals eigentlich selbstverständlich, wenn man Abitur hatte. Nur wusste ich überhaupt nicht, was ich studieren soll. Es gibt ja Menschen mit ausgeprägten Neigungen, aber ich war einfach allgemein wirtschaftlich-politisch interessiert. Dann hat mir ein früherer Mitschüler gesagt: “Mensch, komm nach Dortmund. Da gibt es demnächst eine Abteilung Wirtschafts- und Sozialwissenschaften”. Das war für mich Anlass zu warten. Nach der Bundeswehr war noch Zeit, bis das erste Semester begann, also habe ich hier zuerst einmal ein Semester Mathematik studiert. Aber das ging völlig daneben. In der Mathematik musste man sich jede Vorlesung anhören, damit man überhaupt weiterkam. Das war für mich einfach nur ein Graus. Und als ich dann im Semester 1973 anfing, Wirtschaftswissenschaften zu studieren, da habe ich erst gemerkt: Da ist ja auch Mathematik drin! (lacht) Und das war auch für etliche Studenten ein K.O-Kriterium, da sind dann einige nicht mehr bis zum Ende des Zwischendiploms gekommen.
Gab es bei den Vorlesungen Anwesenheitspflichten?
Nein. Man musste Scheine machen bis zum Zwischendiplom. Es war das erste Semester und wir waren vielleicht 30 Studierende, am Anfang auch höchstens drei Professoren. Alle Studierenden kannten sich und die Professoren auch die Studierenden. Es war eine sehr familiäre Angelegenheit. Das brachte in der Aufbauphase allerdings auch mit sich, dass fast alle Studierenden sich in irgendein Gremium wählen lassen mussten. Letztlich war es also so, dass man nicht als U-Bootfahrer mitfahren konnte, man musste schon irgendwo auftauchen. Ob es der Fachschaftsrat, die Abteilungsversammlung oder das Studentenparlament war.
Konnte man früher länger schlafen als heute?
Also ich auf jeden Fall, dadurch kam ich immer zu spät in die Vorlesung (lacht). Ein Großteil der Zeit ging auch für das politische Engagement drauf. Die meisten waren aber doch sehr diszipliniert. Durch die geringe Anzahl an Studierenden fiel es ja auch schnell auf, wenn keiner da war.
Gab es Regeln im Hörsaal?
Nein, das gab es nicht. Ich habe immer einige Professoren bewundert, mit welcher Geduld sie es ertrugen, wenn während der Vorlesung gestrickt wurde. Wenn ich heute in einen Hörsaal komme, bin ich auch überrascht, wie sauber es dort ist – die wenigsten Stühle und Tische sind bekritzelt mit irgendwelchen Parolen – das war teilweise anders.
Was ist der größte Unterschied zwischen dem Studium damals und heute?
Ich glaube es sind die Freiheitsgrade, die man damals als Studierender hatte. Man hatte zwar einen Rahmen, aber man konnte sich auch links und rechts noch engagieren. Wenn ich heute mit Studierenden spreche, empfinden sie alles als sehr verschult und ich kann das nachvollziehen. Ich befürchte, dass das Studium durch die fehlende Zeit fürs links und rechts schauen doch eher wie ein Durchlauferhitzer wirkt, um möglichst schnell ans Ziel zu kommen. Ich glaube aber, der Keim für diese Entwicklung ist schon in der Schule angelegt.
Wollte man eher schnell fertig werden mit dem Studium oder hat man sich auch mal Zeit gelassen?
Also wenn ich heute mit Studierenden spreche, dann habe ich den Eindruck, dass sie weniger Zeit haben als wir früher. Natürlich wollten viele schnell fertig werden. Es gab gerade bei den Wirtschaftswissenschaften eine Reihe von Studierenden, die schon den späteren Beruf durch das Unternehmen ihrer Eltern in der Tasche hatten. Viele waren aber auch so wie ich einfach noch bewegt von den politischen Zeiten und haben sich engagiert. Die Abteilung gab es ja noch nicht so lange. Zum Schluss gab es aber doch einige, die einfach nicht den Punkt fanden, ihr Diplom zu machen. Ein Student hat sich toll engagiert und hatte viele gute Ideen, aber nachher ist er an Statistik gescheitert und Glasbläser geworden.
Was hat man früher in seiner Freizeit gemacht?
Das Dilemma war ja sowieso – gerade am Anfang – dass die meisten Studierenden aus dem Ruhrgebiet kamen und nach der Vorlesung nach Hause fuhren. Die wenigen, die von außerhalb kamen und hier in den Studentenwohnheimen wohnten, waren zumeist ein wenig einsam. In den Semesterferien haben viele eher gearbeitet. Klausuren wurden meines Wissens nicht geschrieben.
Waren Studierende damals politisch aktiver als heute?
Ich glaube ja. Das Gründungsdatum der Uni ist 1968, der Begriff der 68-Generation ist ja etabliert. Das hat sich auch an der Uni gezeigt, zum Beispiel im Studentenparlament. Dort gab es viele politische Gruppierungen von ganz links bis ganz rechts. Insgesamt spielten Fragen der Gesellschaftspolitik auch bei uns Studierenden der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften eine viel größerer Rolle als heute. So war zum Beispiel in unserer Satzung der Fachschaft verankert, dass wir für die Aufnahme von Studieninhalten mit gesellschaftlicher Relevanz und für die Vermittlung eines kritischen Bewusstseins eintraten.
In den verschiedensten Universitätsgremien gab es häufig heftige Auseinandersetzungen, unter anderem um die Weiterentwicklung der einzelnen Fachbereiche und um deren finanzielle Ausstattung, um Mitbestimmungsmöglichkeiten der Studierenden und Assistenten und um vieles mehr. Das wird in den Medien zum 50. Jubiläum nicht ganz deutlich. Es gab ebenso viel Streit um die Ausrichtung der einzelnen Gebiete der Abteilungen. Bei uns in der Abteilung Wirtschafts-und Sozialwissenschaften ging es insbesondere um die Frage, welchen Einfluss die Sozialwissenschaften im Studium haben sollten. Die einen sahen die Sozialwissenschaften als eigenständige dritte Säule neben BWL und VWL in einem integrierten Studiengang, für andere war sie eher eine Hilfswissenschaft oder gar überflüssig. Ich persönlich fand es unheimlich wichtig, dass ich trotz betriebswirtschaftlicher Ausrichtung meines Studiums gerade hier im Ruhrgebiet auch mit Inhalten der Arbeits- und Industriesoziologie, zum Beispiel der Mitbestimmung in den Unternehmen oder der Humanisierung der Arbeitswelt, konfrontiert wurde.
Man hat natürlich auch als ASTA, als Studierendenparlament versucht, die Probleme ein wenig in die Stadt zu tragen. Ich erinnere mich an eine Aktion, da ging es um die Mensapreiserhöhung. Da gab es viel Engagement hier in der Stadt, zum Beispiel wurden in einer Nacht- und Nebel-Aktion viele Mülltonnen beklebt mit der Aufschrift “Hier hat ein Student nach Essen gesucht”. Das brachte große Aufmerksamkeit und führte letztlich auch dazu, dass die Preise nicht erhöht wurden.
Hat die Digitalisierung Ihrer Meinung nach das Studium vereinfacht?
Damals war man froh, wenn man mal ein Vorlesungsskript von einem Mitstudenten bekam, der eine Mitschrift gemacht hat. Diese wurde dann kopiert. Wenn ich richtig informiert bin, ist auch die Universitätsbibliothek viel digitaler geworden. Man muss sich gar nicht mehr dort hinsetzen, um die Bücher zu lesen. Es gibt sie schon digital für Zuhause, das ist natürlich ein enormer Vorteil. Die meisten heute können sich gar nicht mehr vorstellen, dass man etwas nachschlägt, ohne dass man es googeln kann. Da gab es nur papiergebundene Lexika.
Wie finden Sie es, dass das Studienangebot immer breiter wird?
Ich finde das gut, die Auswahl wird größer für Studierende. Als Dortmunder bin ich natürlich auch stolz, dass die Universität sich durchgesetzt hat und so groß geworden ist. Bei der Jubiläumsfeier im Konzerthaus war ich sehr gerührt, was aus diesem kleinen Pflänzchen Universität gewachsen ist.
Hätten Sie lieber heute studiert oder sind Sie froh, dass Sie damals studiert haben?
Am liebsten würde ich damals studiert haben und heute (lacht). Damals hatte man größere Freiheiten, heute gibt es größere Möglichkeiten, sich zu spezialisieren. Als ich hierher kam, gab es wie gesagt nur drei Professoren – da hatte man keine großen Spezialisierungsmöglichkeiten. Es kamen natürlich immer weitere Professoren hinzu, aber die Auswahl war doch immer eng begrenzt. Heute ist das Angebot an Vorlesungen und Seminaren viel größer, aber um den Abschluss schnell zu bekommen, muss man sich sehr stark auf das Notwendige konzentrieren. Das ist das Dilemma: mehr Möglichkeiten, aber weniger Zeit.
Insgesamt denke ich aber sehr gern an mein Studium hier in Dortmund zurück. Nicht nur die fachlichen Inhalte des Studiums sondern gerade auch die durch das Engagement erworbenen Fähigkeiten haben mir später im Beruf sehr geholfen.