Social Media ist der größte Zeitfresser in ihrem Leben. Mit dem Blick auf die Bildschirmzeit-Statistik kam eine schockierende Erkenntnis für Kurt-Autorin Sarah Sendner: 19 Stunden in nur einer Woche hat sie mit diesen Apps verbracht. Deswegen behandelt sie sich jetzt selbst, wie manche Eltern ihre Teenager-Kinder. Ein schwieriger Selbstversuch.
Ich habe mich meinem Endgegner gestellt. Der Bildschirmzeit. Vielen graut es vor einem Blick auf dieses iPhone-Feature. Es zeigt genau an, wie viel Zeit man vor seinem Smartphone verbringt. Und auch, mit welchen Apps, wie viele Benachrichtigungen man bekommen hat und wie oft man sein Handy in die Hand genommen und entsperrt hat. Nach einem Blick auf diese Statistik hat mich eine Zahl nicht mehr losgelassen. Die 19. So viele Stunden hatte ich nämlich in nur sieben Tagen auf sozialen Netzwerken verbracht. Das heißt bei mir: Instagram, Facebook, Twitter, Whatsapp, Pinterest und Jodel.
Ich fühlte mich schon länger ziemlich gestresst und irgendwie zerstreut. Kein Wunder. Wenn ich fast einen ganzen Tag der Woche auf Instagram und Co. verbringe, ist es wenig verwunderlich, dass ich Probleme damit habe, mit meiner Zeit hauszuhalten. In der Bahn, vor der Vorlesung, während der Vorlesung, beim Essen, abends auf der Couch während der Fernseher läuft: Stundenlang scrollte ich gedankenverloren durch Instagram, Facebook und Twitter. Jede Lücke, die sich in meinem Alltag auftat, füllte ich direkt wieder mit dem nie aufhörenden Content der sozialen Netzwerke.
Bin ich Social-Media-süchtig?
Um die Frage zu klären, ob ich Social-Media-süchtig bin, rufe ich Christian Montag an. Er leitet die Abteilung für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm und erforscht, wie Menschen soziale Medien nutzen. Er erklärt mir, dass es Social-Media-Sucht nicht als etablierten, medizinischen Begriff gibt. „Bevor man von Sucht spricht, sollte man eine gewisse Vorsicht walten lassen. Es ist auch die Aufgabe von Wissenschaftlern, Alltagshandlungen nicht vorschnell zu pathologisieren. Aber wir haben uns durchaus schon mit der Frage beschäftigt, inwieweit sich suchtähnliche Züge bei starken Social-Media-Nutzern finden lassen.“
Dazu haben sich die Forscher der Universität Ulm zunächst an Symptomen von etablierten Suchtkrankheiten orientiert, beispielsweise der Glücksspielsucht. Es wird untersucht, ob ähnliche Symptome auch im Kontext der exzessiven Nutzung von Social-Media-Kanälen beobachtet werden können. Dabei werden Fragen gestellt wie: Macht die Nutzung von sozialen Netzwerken weniger produktiv? Denkt man an soziale Netzwerke, auch wenn man sie gar nicht nutzt?
Diese und viele weitere Fragen finden sich auch in der Smartphone-Addiction-Studie der Abteilung für Molekulare Psychologie der Universität Ulm, an der jeder im Internet teilnehmen kann. Der ziemlich umfangreiche Fragebogen fragt die Nutzung des Smartphones allgemein und die Nutzung bestimmter Apps ab, und umfasst auch einige Fragen, die die Persönlichkeit der Teilnehmer ergründen soll. Mein Ergebnis zeigt, dass ich mit meiner Smartphone-Nutzung beinahe Spitzenreiter bin. 94,4 Prozent der Teilnehmer haben eine geringere Punktzahl als ich. Das überrascht mich schon. Zwar war mir klar, dass ich mein Smartphone durchaus viel nutze, aber so viel mehr als andere?
„Bisher haben etwa 4700 Menschen mitgemacht. Repräsentativ ist das natürlich nicht, allerdings sprechen wir hier von einer wirklich großen Stichprobe“, erklärt Christian Montag. „Damit ist es durchaus möglich, im Vergleich zu anderen Personen eigene Tendenzen zu einer problematischen Social-Media-Nutzung herauszuarbeiten. Explizit möchte ich aber erwähnen, dass unser Test keine klinische Diagnose darstellt – zumal Social Media Addiction auch keine offizielle Diagnose darstellt. Die Ergebnisse in unserem Online-Test stellen also nur eine grobe Orientierung dar.“
Experten-Tipps für ein Smartphone-freieres Leben
„Dass es eine Art Social-Media-‘Sucht’ gibt, ist nicht ganz vom Tisch zu wischen,“ sagt Montag. „Trotzdem wird es hier noch einige neue Studien geben müssen, um diese Frage final zu beantworten. Sehr wichtig ist meines Erachtens aber momentan ergänzend die Frage, warum Social-Media-Apps überhaupt ‘süchtig‘ machen.“ Warum denn, Herr Montag?
„Das hängt in erster Linie mit dem Geschäftsmodell des Silicon Valley zusammen. Wie verdienen die meisten Unternehmen hinter den Apps eigentlich ihr Geld? Damit, dass Nutzer möglichst viel Zeit auf der Plattform verbringen, ihre Daten mit den Anbietern teilen, und diese wiederum bessere und exakt zugeschnittene Werbebotschaften vermitteln können. Das Design dieser Apps ist also ganz bewusst so angelegt, dass Nutzer immer zurück auf die Plattform finden. Das beginnt schon bei visuellen Reizen, wie dem roten Herz, das erscheint, wenn man etwas auf Instagram liked. Oder der Doppelhaken-Funktion bei Whatsapp. Die erzeugt sozialen Druck auf den Nutzer und generiert dadurch mehr Nachrichten, auch wenn das empirisch außerhalb von Facebook schwer zu messen ist. Man kann die Funktion zwar ausstellen, allerdings ist sie bei Installation der App erst mal aktiviert.“
Bin ich das Opfer des Silicon Valley?
Bin ich Opfer einer perfiden Masche des Silicon Valley geworden? Bringen mich blinkende Herzen und der Druck des Doppelhakens dazu, immer mehr Zeit auf den Plattformen zu verbringen? Jetzt ist erst einmal Schluss. Ich baue mir eine Art Kindersicherung in mein Smartphone ein. Nach einer Stunde in sozialen Netzwerken am Tag deaktivieren sich die Apps. Dazu gehören Facebook, Instagram, Twitter, Jodel und Pinterest. Whatsapp habe ich ausgenommen, die App ist nämlich zur Kommunikation nicht wirklich verzichtbar für mich.
Seitdem die Apps grau hinterlegt sind, fällt mir erst auf, wie häufig ich eigentlich mein Handy in die Hand nehme, um sie zu checken. Laut meiner Bildschirmzeit-App waren das durchschnittlich 177-mal am Tag, vor Installation meiner Kindersicherung. An einem 16-Stunden-Tag bedeutet das, dass ich alle fünf Minuten auf mein Handy gucke. Und sei es nur, um die Uhrzeit zu checken. Das ist eine Ablenkung alle fünf Minuten. Auch ohne Christian Montags Bestätigung ist mir klar: „Für fokussierte, unterbrechungsfreie Arbeit ist das pures Gift.“
Im Tal der App-Losigkeit
Es stimmt schon. Seit meinem Ein-Stunden-Limit sind meine Tage irgendwie ruhiger. Meistens ist dieses Limit schon nach meiner anderthalbstündigen Bahnfahrt zur Uni aufgebraucht, aber ich käme auch nicht auf die Idee, mir meine Zeit bewusst einzuteilen. Im Gegenteil, manchmal bin ich seltsam erleichtert, wenn die Apps nicht mehr verfügbar sind. Ich genieße die Abende, an denen ich wirklich zur Ruhe komme, Musik höre, konzentriert einen Filme schaue oder lese. Und doch genieße ich auch die Zeit, in denen Instagram und Co. verfügbar sind.
In vielerlei Hinsicht sind soziale Netzwerke eine super Sache – wären da nicht die Content-Flut und die Konzerne mit ihren süchtig machenden Nutzeroberflächen. „Gut wäre es, wenn Nutzer dazu bereit wären, mehr oder überhaupt etwas für Social-Media-Dienstleistungen im Internet zu bezahlen, dann wäre vieles anders,“ sagt Christian Montag. „Trotzdem bleibt aktuell auch für diesen Fall unklar, ob sich die großen Social-Media-Unternehmen überhaupt noch freiwillig auf ein anderes Business-Modell einlassen. Dazu ist das Geschäft sicherlich zu lukrativ.“
Lieber ein paar Euro für Facebook zahlen und dafür keine Lockungen mehr? Ich finde die Idee gut. Denn auch nach fast zwei Wochen meines Stunden-Limits will ich die Apps noch genauso oft öffnen wie früher. Ohne eine tatsächliche Sperre würde sich an meinem Verhalten gar nichts ändern. Kein Wunder, meint Christian Montag: „Verhaltensänderungen sind immer schwierig. Forscher haben herausgefunden, dass man etwa 66 Tage braucht, um gute Vorsätze zu verinnerlichen. Zum Beispiel regelmäßig laufen zu gehen oder sich gesünder zu ernähren.“ Mal sehen, ob 66 Tage reichen, um meine Social Media-“Sucht” zu brechen.
Beitragsbild: privat, Screenshots: Sarah Sendner, Porträt: Eberhardt/Universität Ulm
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Hi, welche Apps trackt “Bildschirmzeit” als Soziale Netzwerke? Und trackt es die auch im Hintergrund, oder wie genau setzt sich die Zeit zusammen? Denn meine Analyse zeigt völlig absurde Werte, die auch bei großem Eingeständnis einer Abhängigkeit zusammengenommen die 24 Stunden toppen würden, die der Tag hat. Bei Apple habe ich keine Angaben gefunden, welche Apps genau in welcher Kategorie sind und wie sie getrackt werden. Vielleicht ist ja in der Recherche zum Artikel was dazu rausgekommen?
Danke für einen Hinweis dazu, herzlichen Gruß, René
Hallo Rene,
ich nutze die App die auf dem iPhone vorinstalliert ist. Unter Einstellungen/Bildschirmzeit. Dass du dort so unplausible Daten angezeigt bekommst ist sonderbar.. Zunächst kannst du auf der “Startseite” deiner Bildschirmzeit dein Gerät auswählen. Dann kommst du auf eine genaue Übersicht über die einzelnen Kategorien und die Nutzungsdauer. Die App misst eigentlich nur die Zeit, in der du die App geöffnet hast. Allerdings kannst du in dieser Ansicht zwischen einer Tagesansicht und den Daten der letzten sieben Tage wählen. Direkt darunter siehst du die einzelnen Apps und deren Nutzungszeit und eine Option dir einzelne Kategorien anzeigen zu lassen, und welche Apps genau dazugehören.
Die Apps pro Kategorie kannst du – zumindest bei den Zeitlimits – auch anpassen. Ich habe zum Beispiel WhatsApp ausgenommen, da das für mich mehr Kommunikationsmittel, als soziales Netzwerk ist.
Hoffe die Infos helfen dir!
Beste Grüße
shs
Hi, danke für die Antwort! Ich habe die MacOS-Version, in der sehe ich nach wie vor nicht so richtig, welche Apps genau in welchen Kategorien strecken (allerdings kann ich mir die App-Nutzung für jede App einzeln auch anzeigen lassen, das löst das Problem).
Die Zeitangaben haben sich auch relativiert. Wer weiß, was sich da überschnitten hat. Vielleicht arbeitet es auch unter iOS und MacOS anders?
Beste Grüße, René