Nicht drauf reinfallen: Wie Raubverlage Forscher*innen täuschen

Raubverlage sagen, sie verbreiten gute Wissenschaft – in Wahrheit veröffentlichen sie alles, was einem Fachartikel nahekommt, wenn nur das Geld stimmt. Mit welchen Tricks arbeiten diese Verlage? Und wie können sich Forscher*innen vor ihnen schützen?

Wenn eine Nachricht aus dem deutschen Wissenschaftsbetrieb bundesweit hohe Wellen schlägt, muss schon etwas Großes passiert sein. So geschehen im Juli 2018: Beinahe zeitgleich veröffentlichen Quarks (WDR) und ein Recherche-Gespann um die ARD und das SZ-Magazin Beiträge zum Thema Raubverlage. Sie deckten auf: Tausende Forscher*innen allein in Deutschland veröffentlichen ihre Ergebnisse in Fachzeitschriften ohne jegliche Qualitätskontrolle. Und Anfang dieses Jahres berichtete KURT: Auch Mitarbeiter*innen der TU Dortmund fielen auf Raubverlage herein – Professor*innen, Lehrstuhlinhaber*innen, die Prorektorin Forschung.

Trotz allem sind Raubverlage vielen, die Wissenschaft betreiben, immer noch kein Begriff. Hier lest ihr, was Raubverlage sind, wie sie vorgehen – und wie Forscher*innen sich vor ihnen schützen können.

Was ist das Problem im Wissenschaftssystem?

Quellen: Studie „‘Predatory’ open access: a longitudinal study of article volumes and market characteristics“ (Shen, Björk), BMC Medicine 2015; The STM Report, fifth Edition, October 2018; Ulrichsweb von ProQuest; Blacklist von Cabell’s International.


Es gibt immer mehr Forschung. Und das heißt nicht, dass gleichsam mehr bahnbrechende Entdeckungen gemacht werden. Sondern dass Wissenschaftler*innen heute vermehrt rein um des Veröffentlichens willen publizieren. Professor Holger Wormer, Ombudsmann zur Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis an der TU Dortmund, weiß: Wie viele Paper jemand geschrieben, wie viele Artikel sie oder er in Journals untergebracht und wie oft auf Konferenzen gesprochen hat, ziehen Geldgeber stark als Maßzahl zur Vergabe ihrer Fördermittel heran. Hinzu kommen: mehr und mehr Doktorand*innen in mehr und mehr Studiengängen, die zusammengenommen Berge an mal mehr, mal weniger substanziellen Beiträgen produzieren. Wer soll das lesen? Und lohnt sich das Lesen überhaupt?

Wissenschaftspublikation – Open Access und Raubverlage

Was tun Wissenschaftler*innen?
Student*innen erleben ihre Professor*innen meist in lehrender Funktion. Daneben ist aber auch die wissenschaftliche Forschung Aufgabe einer Professur. Ihre Ergebnisse publizieren Forscher*innen in wissenschaftlichen Fachverlagen oder auf Konferenzen – das dient auch ihrem Ansehen und ihrer Karriere.
Das „klassische“ Modell
Bis Anfang der 1990er veröffentlichten Forscher*innen ihre Ergebnisse überwiegend bei Zeitschriften mit einem Abo-Modell – renommierte Beispiele sind die Nature und die Science. Das Abo-Modell besagt: Wer lesen will, muss zahlen. Der Haken: Viele Forschungsprojekte finanziert der Staat, und zwar mit Steuergeldern. Die Forschungsergebnisse aber verschwinden hinter Bezahlschranken. Steuerzahler*innen müssen also doppelt bezahlen: erst fürs Projekt, dann um zu lesen, was dabei herumkam.
Open Access
Die Open-Access-Bewegung dreht den Spieß um: Die Zeitschriften sind frei verfügbar im Netz – es zahlt, wer veröffentlicht. Für einen Journal-Beitrag wandern zwischen 50 und 5000 Euro an Article Processing Charges (APC) von den Forscher*innen an den Verlag. Das Modell avancierte zum Vorzeigeprojekt der Wissenschaftsfreiheit; 2003 verpflichteten sich 19 deutsche Gesellschaften, Institute und Verbände in der Berliner Erklärung zu mehr Open Access.
Raubverlage
Aber auch bei Open Access gibt’s ein Problem: Kommerziell gesehen haben Open-Access-Verlage keinen Anreiz, Artikel abzulehnen – sie machen auch ohne große Reputation und Leserschaft Gewinn, weil ihre Einnahmen von den Forscher*innen und nicht von den Leser*innen kommen. Das bereitet den Nährboden für eine Schattenwirtschaft aus Verlagen, die sich das Prüfen nach wissenschaftlichen Gütekriterien (ein „Peer Review“) sparen, einfach alle Artikel durchwinken und die APC einstreichen – das sind Raubverlage.

Das entscheiden in der Regel Begutachter*innen. Sie gibt es bei jeder seriösen Fachzeitschrift. Ihr Job ist es, eingereichte Artikel aus ihrem Expertengebiet zu prüfen: abzunicken, Verbesserungen zu fordern oder abzulehnen. Diese Qualitätskontrolle in der eigenen Fach-Community heißt „Peer Review“. Sie ist dringend nötig, aber aufwändig. Dort sieht Holger Wormer den Grundkonflikt: Während Forscher*innen aus finanziellen und karrieristischen Anreizen zu Vielschreiber*innen werden, kommen die Begutachter*innen nicht mehr hinterher.

Bibliometrische Kennzahlen

Bibliometrie
Die Bibliometrie untersucht wissenschaftliche Veröffentlichungen quantitativ. Die Unterdisziplin der Zitationsanalyse beschäftigt sich besonders damit, wie oft Personen (Forscher*innen) und Institutionen (etwa Universitäten) in Journal-Artikeln aufeinander verweisen. Aus diesen Zitationsraten lassen sich Ranglisten und Kennzahlen (Metriken) errechnen, die Wissenschaft vergleichbar und leicht auswertbar machen:
Impact-Faktoren
Journal-Impact-Faktoren (JIF) versuchen zu bemessen, wie einflussreich eine Fachzeitschrift ist. Am bekanntesten sind die Journal Citation Reports des US-Unternehmens Clarivate Analytics, dem auch die umfangreiche Literatur- und Zitationsdatenbank Web of Science gehört – beide Dienste sind kostenpflichtig, aber über die TU Dortmund einsehbar. Wie sich dieser JIF berechnet, lest ihr hier. Eine kostenlose Alternative ist der eigenfactor der University of Washington.
h-Index
Der h-Index oder Hirschfaktor gibt den wissenschaftlichen Einfluss von Forscher*innen an. Er hängt stark vom Erhebungsdatum und der zugrundeliegenden Datenbank ab – neben dem Web of Science z.B. Google Scholar oder Scopus vom niederländischen Unternehmen Elsevier. Auf letztere kann wieder jede*r mit einem TU-Account zugreifen und Google Scholar ist frei für alle.
Altmetriken
Gleiches Ziel, neue Methoden: Webo– und Altmetriken (von „Alternative Metriken“) wie der Altmetric Score“-Donut von Altmetric oder PlumX von Plum Analytics messen den Einfluss von Forschungsergebnissen im Internet. Dorthinein zählen Abrufe, Downloads, Verlinkungen, Kommentare und Bewertungen.
Kritik
Weil diese Metriken quantitativ sind, lassen sich aus ihnen nur bedingt Aussagen zur Qualität von Forscher*innen oder Journals ableiten. Viel heißt eben nicht immer gut. Außerdem sind die Metriken manipulierbar: Es gibt Zitierkartelle aus Forscher*innen, die sich nur gegenseitig in ihren Arbeiten erwähnen. Der Matthäus-Effekt besagt, dass Wissenschaftler*innen am häufigsten bereits bekannte Autor*innen zitieren und sie dadurch noch bekannter machen. Und weil Fachdisziplinen große Unterschiede in ihren Arbeitsweisen, Veröffentlichungswegen und -sprachen aufweisen, bleibt die Vergleichbarkeit auf der Strecke.

Was sind Raubverlage und wie schaden sie der Wissenschaft?

Raubverlage sind Open-Access-Journals, die auf „Peer Reviews“ verzichten. Sie haben das Potential erkannt, das aus dem Publikationsdruck erwächst, und wollen daraus auf Kosten der Wissenschaftler*innen Profit schlagen. Sie drucken in ihren Zeitschriften alles ab und lassen auf ihren Konferenzen jeden sprechen – solange das Geld stimmt. Das entwertet jeden Beitrag, der mit einem Raubverlag assoziiert ist, so fundiert und sauber er auch sein mag. Denn ohne ein „Peer Review“ lässt sich keine Aussage über wissenschaftliche Qualität treffen. Da Forscher*innen zumeist Copyrights an die Verlage abtreten, können sie die Beiträge auch nirgends sonst veröffentlichen. Die Metriken der entsprechenden Wissenschaftler*innen leiden, weil fast niemand Raubverlagsbeiträge zitiert. Die Papers sind verbrannt und die Wissenschaftler*innen erleiden realen Schaden zugunsten der Raubverlage.

So weit die Folgen für arglose Forscher*innen, die bei der Auswahl ihres Publikationsmediums zu naiv oder unvorsichtig waren. Doch Raubverlage haben noch weiterreichende Auswirkungen: Sie ermöglichen es Pseudo-Wissenschaftler*innen, Agenda-getriebenen Organisationen oder ruchlosen Geschäftsleuten, ihren Thesen einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Die Fach-Community wird darauf selten hereinfallen, die Leser*innen schon eher. Wissenschaftliche Desinformation verbreitet sich leichter, wenn sie in vermeintlichen Fach-Journalen steht. Und gerade in Zeiten von Fake News droht solche Fake Science, der Wissenschaft ihre Glaubwürdigkeit zu entreißen.

Wie täuschen Raubverlage?

„Die Leute wissen nicht, wie sie mit diesem Problem umgehen sollen. Viele haben keine Ahnung, wo sie veröffentlichen, und folgen dem günstigsten Preis“, sagt Souvik Kusari. Der Chemiker ist Privatdozent und Leiter der chemischen Mikrobiologie am Lehrstuhl für Umweltchemie und analytische Chemie (INFU) der TU Dortmund. Kusari kennt sich aus mit Raubverlagen. Sie sind ihm schon oft über den Weg gelaufen. Autodidaktisch hat er sich Strategien zurechtgelegt, ihre Fallen zu umgehen. Er beklagt: „Es gibt fast kein Training für Studierende, um mit dem Problem umzugehen – wie sollen sie es wissen?“

Professor Holger Wormer, Inhaber des Lehrstuhls Wissenschaftsjournalismus am Institut für Journalistik (IJ) und Ombudsmann zur Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis an der TU Dortmund. Quelle: Büro Wormer.

 

Dr. Souvik Kusari, Leiter der chemischen Mikrobiologie am Lehrstuhl für Umweltchemie und analytische Chemie (INFU) der TU Dortmund. Quelle: Kusari.

Dieses Unwissen nutzen Raubverlage aus und stellen sich für Forscher*innen möglichst verlockend dar: Sie werben mit großen Namen auf ihren Internetseiten, geben für ihre Konferenzen Plenarteilnehmer*innen und Schirmherr*innen an, die selbst oft genug noch nie etwas vom Organisator gehört haben. Auf den Verlag-Websites finden sich selbst gebastelte Rankings und Impact-Faktoren, die von der Standardberechnung abweichen. Raubverlage fluten die Welt der Wissenschaft mit etlichen, scheinbar hochspezialisierten Konferenzen, die ein breites Publikum ansprechen sollen, aber gern mal zur selben Zeit am selben Ort stattfinden und zur „Alles Mögliche“-Veranstaltung verkommen. Die Zusammenfassungen der Wortbeiträge drucken sie ohne Absprache mit den Forscher*innen (und unabhängig davon, ob die Forscher*innen tatsächlich vor Ort waren) in ihren Journals ab.

Um überhaupt Forscher*innen auf ihre Konferenzen aufmerksam zu machen, versenden Raubverlage tonnenweise E-Mails – den Spam der Wissenschaft. Fast alle, die wissenschaftlich tätig sind, erhalten stündlich solche Junk-Nachrichten – umso mehr, je höher der akademische Grad ist. In Souvik Kusaris Postfach landen beispielsweise im Durchschnitt fünf solcher Nachrichten pro Tag, manchmal auch über zehn. Kusari weiß genau, worauf er achten muss, um im Mail-Account die Spreu vom Weizen zu trennen (siehe Grafik).


Die typische Wissenschaftler*innen-Spam-Mail

Quelle: Souvik Kusari.


Wirklich perfide wird es, wenn man sich anschaut, wie ähnlich Raubverlagskonferenzen ihren legitimen Pendants in vielerlei Hinsicht sind: Wissenschaftler*innen berichten KURT von normalen Bewerbungsprozessen (dem Upload der Vortragszusammenfassung über die professionell gestaltete Website), ähnlichen Teilnahmegebühren (mehreren hundert bis tausend Euro), üblichen „Prüfzeiten“ der eingereichten Beiträge (bis zu einem Monat) – Raubverlage wissen sich durchaus geschickt als seriös zu verkaufen. Hinzu kommt: Wenn als Ergebnis eines angeblichen „Peer Reviews“ nur knappe, unreflektierte Ja-Nein-Entscheidungen zurückkommen, das Tagungsprogramm erst kurz vor knapp herumgeschickt wird und die wenigen Mitredner*innen in schlechtem Englisch schlechte PowerPoint-Präsentationen abhalten, heißt das noch nicht, dass man einer Raubverlagskonferenz aufgesessen ist – diese Zustände seien, da zeigen sich viele Forscher*innen gegenüber KURT einig, heutzutage gang und gäbe.

Wie können sich Forscher*innen schützen?

Wissenschaftler*innen sind Raubverlagen nicht schutzlos ausgeliefert. Ist das Grundproblem erst einmal bekannt, lässt es sich in der Regel umschiffen, hilfreiche Werkzeuge gibt es zur Genüge (siehe Infobox). Laut Holger Wormer ist ein erster wichtiger Schritt, die Basisinformationen über das angedachte Publikationsmedium einzuholen: Passt es inhaltlich? Ist es fachlich anerkannt? Oder finden sich in den Untiefen des Impressums doch Namen wie OMICS oder WASET, zwei der größten Raubverlage? Erste Einschätzungen können häufig erfahrene Professor*innen oder Kolleg*innen geben – welche die besten Konferenzen und Journals in der jeweiligen Fachrichtung sind, transportiert sich immer noch am besten über Mundpropaganda.


Diese Tools helfen, um nicht auf Raubverlage hereinzufallen

Schwarze Listen
Beall’s List ist die bekannteste Sammlung von Verlagen, die wahrscheinlich unter die Kategorie „Raubverlag“ fallen. Doch es ist Vorsicht geboten: Die Liste wurde seit Ende 2016 nicht mehr aktualisiert. Die kostenpflichtige Alternative kommt von Cabell’s International: Das US-Unternehmen bietet neben der Schwarzen auch eine Weiße Liste unbedenklicher Verlage an.
Weitere Infos
In seinem „Fact Sheet“ vom Juli 2018 fasst das Science Media Center (SMC) Germany Maßnahmen und Tools zusammen. Die Initiativen „Think. Check. Submit.“ und „Think. Check. Attend.“ helfen dabei, die richtigen Journale beziehungsweise Konferenzen auszuwählen. Die Directory of Open Access Journals (DOAJ) und die Open Access Scholary Publishers Association (OASPA) fördern und katalogisieren legitime Open-Access-Angebote.
Und an den Universitäten?
Viele Unis haben mittlerweile ihre Beratungsstellen auf das Thema „Raubverlage“ eingestellt. An der TU kann Dr. Kathrin Höhner von der Publikationsberatung der Universitätsbibliothek Fragen rund um Open Access am besten beantworten. Zurzeit pflegt das Prorektorat Forschung – in Person von Dr. Verena Risse –  eine hauseigene Schwarze Liste über schlechte Konferenzen, die TU-Mitarbeiter*innen bereits miterlebt haben. Hier informiert die TU über ihre Bemühungen, Raubverlage und -konferenzen zu vermeiden.

Große Institutionen wie Universitäten oder Forschungseinrichtungen müssen schnell reagieren, um eine Antwort auf das junge und vielerorts unbekannte Problem der Raubverlage zu finden – zum Glück passiert in dem Bereich seit dem Sommer 2018 Einiges. Kusari und Wormer haben konkrete Vorschläge: genauere Junk-Filter in den Uni-Maildiensten zum Beispiel oder verpflichtende Informationsveranstaltungen schon in der akademischen Ausbildung. Expert*innen wünschen sich neue Wege zur Qualitätsbewertung von Forschung, Verlagen und Konferenzen abseits zu kurz gedachter Metriken. Das würde die Einordnung erheblich erleichtern und Raubverlage dahin verbannen, wo sie hingehören: in den digitalen Papierkorb.

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