Hinter den Kulissen des Theaters herrscht Trubel: Hier ein schneller Kostümwechsel, da ein neues Bühnenbild. Das alles unbemerkt vom Publikum. Alles muss funktionieren, damit das Stück reibungslos über die Bühne geht. Ein Besuch genau dort.
Kaum ist der Vorhang unten, geht hinter der Bühne ein helles Licht an. Gerade noch war es hier dunkel. Die Zuschauerinnen und Zuschauer waren vom Schauspiel gefesselt, jetzt ist ihr Applaus verebbt. Es ist Pause. Das Publikum verlässt für eine halbe Stunde den Saal, hinter der Bühne verschwinden die Darstellerinnen und Darsteller durch große Türen. Zu hören sind nur noch das Geklapper von Kulissen und Befehle aus Funkgeräten – ansonsten Stille.
Eine halbe Stunde vor der Vorstellung: In einem schwarzen Kleid und mit einem großen, dicken Buch im linken Arm läuft Sara Wieners hinter der Bühne entlang. Die Absätze ihrer Ballerina sind auf dem schwarzen, abgenutzten Boden des Aalto-Theaters in Essen deutlich zu hören. Als Abendspielleitung ist Sara für einen reibungslosen Ablauf des Stücks zuständig. Bei der Oper „Cosí fan tutte“ von Mozart geht es um zwei junge Männer, die um die Treue ihrer Verlobten wetten. Ein letztes Mal kontrolliert Sara alle Requisiten, Bühnenbilder und Kostüme. Auf sechs Stühlen sind Soldaten-Kostüme ausgelegt. Aufgemalt auf einer riesigen Holzwand steht ein Berg bereit, um auf die Bühne gefahren zu werden und ein kleiner Tisch ist voller Weinflaschen, Tücher und Gläser. Seit Wochen proben alle für diesen Abend.
Gleichzeitig positioniert sich Uwe Niedick – wie Sara ganz in schwarz – auf der rechten Seite der Bühne. Heute ist hier sein Arbeitsbereich. Als rechter Seitenmeister ist er Chef der Technikerinnen und Techniker für diesen Bereich und für die unterschiedlichen Kulissen des Stücks verantwortlich. Auch er kontrolliert ein letztes Mal alle Kulissen, dann setzt er sein Headset auf die kurzen, grauen Haare. „Zehn Minuten bis zur Vorstellung“, erklingt eine Frauenstimme aus den Kopfhörern.
Viel Glück oder „Toi, Toi, Toi“
Kurz vor Beginn treffen die ersten Darstellerinnen und Darsteller hinter der Bühne ein. Sie drücken sich, wünschen viel Glück oder „Toi, Toi, Toi“ und dann setzt die Musik ein: Der Vorhang geht auf. Sara legt ihr dickes Buch mit allen möglichen Informationen über das Stück auf den Requisitentisch und macht sich mit einem Bleistift auf einem Zettel erste Notizen. Alles was Probleme macht, schreibt sie auf. Dann holt sie ihr Handy hervor. „Normalerweise bin ich natürlich nicht am Telefon“, erklärt sie den anderen hinter der Bühne und tippt. „Aber ein Statist ist noch nicht da, ich muss jetzt mal eben klären, wo der bleibt.“
Während Sara den fehlenden Statisten sucht, bringen sich die Technikerinnen und Techniker in Position. In wenigen Augenblicken wird der erste Kulissenwechsel stattfinden. Einer der Techniker hält einen leeren, goldenen und antik wirkenden Bilderrahmen in seinen Händen, ein anderer eine weiße, römisch angehauchte Frauen-Skulptur und wieder ein anderer verschiedene Vasen. Auch Uwe ist dabei. Sie warten darauf, dass der Zwischenvorhang heruntergeht und sie den hinteren Teil der Bühne umgestalten können. Dann ist es soweit: Die Techniker bringen alle Requisiten in Position. In wenigen Sekunden verwandeln sie die erste Kulisse, einen leeren Raum der zum Publikum offen ist, in ein Museum. Und das trotz lauter Schritte und klappernder Requisiten unbemerkt vom Publikum. Das ist von dem Geschehen vor dem Zwischenvorhang gefesselt.
Mittlerweile ist der fehlende Statist aufgetaucht. Sara kann sich wieder auf das Stück konzentrieren. Andernfalls hätte sie selbst die Rolle übernehmen müssen. „Das wäre echt mein absoluter Albtraum“, sagt sie schmunzelnd. Immer wieder hilft sie den Darstellerinnen und Darstellern: Bindet ihnen Schleifen ins Haar, drückt ihnen Weinflaschen und Gläser in die Hand oder wiederholt mit ihnen den Ablauf des Stücks. „Ansonsten gefällt es mir hier richtig gut. Ich bin mit so vielen unterschiedlichen Menschen in Kontakt. Bin das Bindeglied zwischen allen und das ist sehr interessant“, erzählt sie.
Alle bringen sich in Stellung
Durch den Kopfhörer von Uwes Headset ertönt: „Achtung für den Umbau.“ Er und 18 Technikerinnen und Techniker, Dekorateure und Maschinisten bringen sich in Stellung. Die Museums-Kulisse soll abgebaut werden. Eine zwei Tonnen schwere Ruinen-Kulisse muss auf den vorderen Teil der Bühne gerollt werden. In wenigen Sekunden wird die Rückwand des Raums auf der Bühne nach oben gezogen. Die hintere Bühne senkt sich langsam nach vorn und wird zu einer Schräge. Mit aller Kraft halten alle die nun nach vorn rollende Ruine in Position. Dann das Kommando aus den Kopfhörern: „Umbau Stopp.“ Die Musik ist so leise, jede Bewegung, jeder Atemzug könnte vom Publikum gehört werden. Sara schaut von der Seitenbühne aus zu. „Die eine Statue, die ließ sich sehr schwer bewegen“, flüstert ihr ein Statist zu. Eine weitere Bleistift-Notiz auf ihrem Zettel.
Der Vorhang schließt sich, das Publikum klatscht: Es ist Pause. Hinter der Bühne geht ein helles Licht an. Darstellerinnen und Darsteller, Technikerinnen und Techniker, Ankleiderinnen – alle strömen auseinander. In Sekunden ist es hinter der Bühne leer und still. Einige Techniker bereiten noch den nächsten Akt vor: Der Himmel – eine riesige Leinwand – wird langsam heruntergefahren und abgeknüpft. Maschinen ziehen einen neuen Hintergrund – riesige Bäume – hoch. Zum Schluss schieben die Techniker einen Berg auf die Bühne, der vier Mal so groß ist wie sie selbst. Dann gehen auch sie. Wie die meisten laufen auch Sara und Uwe in die Kantine. Ob Musiker aus dem Orchestergraben, Statisten oder Hauptdarstellerinnen und Hauptdarsteller: Alle kommen dort oder auf der Terrasse zusammen und reden, rauchen oder essen. Viele haben einen großen, dampfenden Teller mit Kroketten, Gemüse und Fleisch vor sich.
Nach 30 Minuten geht der Vorhang wieder auf. Sara geht vorher noch einmal schnell die Kulissen ab. Dann tritt sie auf Uwe zu. „Eine der Türen des Raums stand noch offen. Ich konnte sie gerade noch zumachen, als es schon weiterging.“ Sara arbeitet eng mit der Technik zusammen. Wenn etwas passiert, dann müssen sie in Sekundenschnelle zusammen eine Lösung finden. „Ich habe Plan B und Plan C schon im Kopf, aber man weiß ja vorher nie, was passieren wird“, erklärt Sara. „Heute läuft alles nach Plan.“
“Ein Kind der ersten Stunde“
Uwe und die anderen Techniker sitzen hinter der Bühne, warten und quatschen. Gerade haben sie nichts zu tun. „Ich bin ein Kind der ersten Stunde“, erzählt Uwe. „Von Anfang an, seit 32 Jahren, bin ich dabei. Hab sogar meine Frau hier kennen gelernt.“ Eigentlich wollte er den Job nur übergangsweise machen. „Es ist nie eintönig, jeder Tag bringt Neues, also bin ich geblieben. Entweder man entwickelt eine Liebe fürs Theater oder eben nicht.“
Das Stück endet bald. Sara muss noch einmal genau aufpassen. „Im Finale des zweiten Aktes geht es hier ab“, sagt sie, als sich zwei Ankleiderinnen mit Kostümen in Stellung bringen. Dann stürmen die zwei Hauptdarsteller von der Bühne. Noch sind sie als Albaner verkleidet und tragen lange, verzierte Gewänder und Tücher auf den Köpfen. Schon beim Laufen schmeißen sie die Kopfbedeckung von sich. Schlitternd kommen sie zum Stehen, ziehen ihre Hosen runter – darunter ein weiteres weißes Hosenpaar – und setzen sich auf die Stufen zur Bühne. Die Ankleiderinnen ziehen an den Hosen, die Darsteller befreien sich von den langen Gewändern. Neue Jacken werden übergezogen, noch schnell die Degen angebracht, beim Laufen noch der Dreispitz auf den Kopf gesetzt und ganz ruhig gehen sie als Soldaten verkleidet wieder auf die Bühne.
Begleitet von den klappernden Absätzen ihrer Ballerina, läuft Sara auf die andere Seite der Bühne. Sie ist für die richtige Applausordnung zuständig. Die finale Szene endet und der Vorhang fällt. Viel lauter, als man es von Sara vermuten würde, brüllt sie „Decke ab“ und der Vorhang geht wieder auf. „Jetzt die Hauptdarsteller“ – im Publikum tosender Applaus. „Die Statisten.“ „Der Dirigent.“ „Nochmal alle.“ Und ganz zum Schluss: „Schalldecke runter“ und der Vorhang schließt sich ein letztes Mal. Die Arbeitslichter gehen an, es ist plötzlich taghell. Die Darstellerinnen und Darsteller verschwinden durch verschiedene Türen. Die Lichttechniker bauen einige Lampen ab. In wenigen Minuten ist kaum noch jemand hinter der Bühne. Die Show ist vorbei und damit auch der Arbeitstag. Den Rest macht die Frühschicht.