„Tut mir leid, ich habe dich nicht richtig verstanden“, das sagen Siri, Alexa und Co. häufiger. „War ja klar, dass sie nichts versteht“, ist oft unsere Antwort. Ob das schon sexistisch ist, weiß Sozialpsychologe und Geschlechterforscher Julian Anslinger am Interdisziplinären Forschungszentrums für Technik, Arbeit und Kultur in Graz.
Herr Anslinger, sind alle Menschen, die ein Sprachassistenz-System mit weiblicher Stimme nutzen, automatisch sexistisch?
Tatsächlich weisen die meisten von uns unbewusste Geschlechter-Stereotype auf, die unser Handeln beeinflussen, wenn wir nicht bewusst gegensteuern. Ich sehe jedoch keinen Grund zu der Annahme, dass Menschen mit sexistischen Einstellungen und vielen Geschlechter-Stereotypen eher dazu neigen würden, ein Sprachassistenz-Sysem mit weiblicher Stimme zu benutzen. Umgekehrt besteht jedoch die Möglichkeit, dass Sprachassistenz-Systeme die Verbreitung von sexistischen Einstellungen und Stereotypen unterstützen.
Was genau bezeichnet man als sexistische Einstellungen?
In der Sozialpsychologie sprechen wir von feindlichen und wohlwollenden sexistischen Einstellungen. Während feindlicher Sexismus sich insbesondere gegen die Frauen und Männer richtet, die die traditionelle Geschlechterordnung infrage stellen, belohnt der wohlwollende Sexismus die Personen, die im Sinne dieser Ordnung agieren. Beispielsweise wäre das Lächerlichmachen von Vätern in Elternzeit feindlich sexistisches Verhalten.
Hingegen wäre es wohlwollend sexistisch, Frauen zu verniedlichen und als besonders schützenswert zu betrachten. Beide Formen von Sexismus tragen dazu bei, dass Männer und Frauen in Bereichen wie Arbeit, Geld und Macht ungleich behandelt werden.
Und was hat es mit den Geschlechter-Stereotypen auf sich, von denen Sie sprechen?
Geschlechter-Stereotype können als kulturell geteilte Eigenschaften verstanden werden, die mit Frauen oder Männern assoziiert werden und auf einer ungleichen Geschlechterverteilung in der Familien- und Erwerbsarbeit beruhen. Während Frauen beispielsweise viel fürsorglicher und emotionaler eingeschätzt werden als Männer, spricht man Männern eher Eigenschaften wie Autorität und Aggressivität zu.
Die Stereotype sind problematisch, weil sie Unterschiede weit überschätzen und auch abgerufen werden, wenn sie keine Rolle spielen sollten. Zum Beispiel hat man herausgefunden, dass weibliche Bewerberinnen trotz exakt gleichen Qualifikationsangaben als weniger geeignet für stereotyp-männliche Jobs befunden werden als Männer. Gleichzeitig werden nicht selten auch Männer in stereotyp-weiblichen Jobs diskriminiert.
Und was genau hat das mit Sprachassistenz-Systemen zu tun?
Es werden immer mehr mediale und wissenschaftliche Stimmen laut, die anführen, dass Sprachassistenz-Systeme die Verbreitung von Geschlechterstereotypen befeuern. Es wird vor allem argumentiert, dass die Systeme standardmäßig und oft als einzige Option nur weibliche Stimmen einsetzen. Dies sei problematisch, weil Weiblichkeit so mit klassischen weiblichen Stereotypen wie Hilfsbereitschaft, aber auch mit Verhaltensweisen wie der Entgegennahme von Befehlen assoziiert würde.
Und ist da was dran?
Forschung zu den kognitiven Prozessen hinter Stereotypen liefert tatsächlich Grund zu dieser Annahme, dass sich entsprechende Assoziationen bilden oder verstärken könnten. Ich glaube jedoch nicht, dass diese wirkmächtiger sind, als die Stereotype, die uns ohnehin vermittelt werden, wie beispielsweise durch Filme und Videospiele. Nichtsdestotrotz ist empirisch-experimentelle Forschung vonnöten, die das Vorhandensein eines entsprechenden Effekts überprüft.
Welche Auswirkungen kann das auf die Gesellschaft und den gesellschaftlichen Umgang mit Frauen haben?
Wenn Frauen stärker als Männer mit Hilfsbereitschaft und Befehlsentgegennahme assoziiert werden, werden sie es schwerer haben, die Karriereleiter emporzuklettern. Hingegen werden es Männer schwerer haben, beim Antrag auf Elternzeit auf Verständnis zu treffen.
Sollten wir also alle eine männliche Stimme einstellen?
Es schadet nie zu versuchen, die eigenen Stereotype abzubauen. Und wenn es tatsächlich einen Einfluss von Stimmengeschlecht auf die Bildung und Aufrechterhaltung von Stereotypen gibt, sollte er auch in die andere Richtung funktionieren. Das heißt, ein männliches Sprachassistenz-System sollte die Assoziation von Männlichkeit und Hilfeverhalten verstärken. Tatsächlich sind bei dem geschilderten Problem jedoch eher die herstellenden Firmen als die Nutzenden gefragt.
Was können Herstellerinnen und Hersteller tun?
Erstens wäre es wichtig, dass die herstellenden Firmen ihre Teams verändern. Durchmischte Teams in Bezug auf Geschlecht, sexuelle Orientierung, Ethnizität, Alter oder Behinderung, bewirken automatisch, dass unbewusst weniger Stereotype in die Arbeit einfließen. Zweitens wäre es sinnvoll, wenn Firmen dazu übergehen würden, geschlechtslose Sprachassistenz-Systeme anzubieten. Eine geschlechtsneutrale Stimme wurde bespielsweise schon von genderless voice entwickelt. Auch Stimmen mit verschiedenen Akzenten und Ausdrucksweisen sollten auswählbar sein. Drittens wäre es notwendig, dass Unternehmen auch negativen Umgangsformen entschieden entgegentreten. Beispielsweise reagieren zurzeit fast alle gängigen Systeme mit neutralen und teilweise positiven Antworten auf sexuell belästigende Kommandos.
Natürlich tragen die Systeme keinen Schaden davon, jedoch würde es sexuelle Belästigung gegenüber realen Personen wahrscheinlich mindern, wenn sexuell belästigende Kommandos sprachlich sanktioniert werden würden. Da reicht ein einfaches: „Das ist nicht in Ordnung.“ Im Schnitt sind nämlich fünf Prozent aller Sprachkommandos sexueller Natur.
Lenkt man mit einer Diskussion über Sexismus und Sprachassistenz-Systemen nicht von dem globalen Sexismus-Problem in der Gesellschaft ab?
Keinesfalls! Algorithmen und Mensch-Maschine-Interaktionen werden in den kommenden Jahren immer weiter in unseren Alltag eindringen und uns beeinflussen. Je früher wir anfangen, vorhandene Probleme anzugehen, desto besser. Es stimmt natürlich, dass Sexismus und Stereotype außerhalb von Sprachassistenz-Systemen teilweise noch relevantere Probleme mit sich bringen, aber sich mit dem einen Thema zu beschäftigen, heißt ja nicht, das andere fallen zu lassen. Ich bin eher der Überzeugung, dass wir die Geschlechterthematik von möglichst verschiedenen Seiten angehen müssen. Ansonsten behält die Hochrechnung des Gender Equality Indexes recht und es dauert tatsächlich noch 200 Jahre, bis die Gleichstellung von Männern und Frauen erreicht ist.