Kommentar: Covid-Warnapp- erster Schritt Richtung Normalität oder Polizeistaat?

In Frankreich wurde heute die Corona Warnapp „StopCovid“ genehmigt. In zwei Wochen soll sie auch in Deutschland eingeführt werden. Die Politik erhofft sich einen effizienteren Weg um Infektionsketten zu unterbrechen und die Ansteckungskurve flach zu halten, doch viele Kritiker sehen darin den nächsten Schritt Richtung Polizeistaat. Ein Kommentar.

26.000 Tote forderte der neuartige Sars-Cov-2 Virus (im Volksmund auch bekannt als Coronavirus) in Frankreich ein. Nach Monaten der Ausgangssperre und Kontakteinschränkung sollen die Sicherheitsmaßnahmen wieder vorsichtig gelockert werden. Pünktlich dazu wurde auch die Einführung einer „Warnapp“ für Coronainfektionen gebilligt. Die App soll mithilfe der Bluetoothfunktion Kontakt zu Handys in der Nähe aufnehmen und Daten darüber speichern, bei welchen Personen man sich in den letzten Wochen in der Nähe befand. Diese Daten werden dann zentral von der Regierung gespeichert. Bei einer Infektion mit dem Corona Virus werden dann alle Personen, die in den letzten zwei Wochen in Ansteckungsreichweite des Infizierten waren, informiert und in häusliche Quarantäne eingewiesen. Die französische Regierung versichert höchste Sorgfalt beim Datenschutz und betont, dass die Daten weder von Google noch von Apple gespeichert werden. Der französische Staatssekretär für Digitales, Cedric O, sagte   der Zeitung “Le Figaro”. „Es ist der richtige Zeitpunkt, denn die Franzosen sind immer mehr daran interessiert, rauszugehen und wieder ein soziales Leben zu führen”.

 

Anti-Corona App bald auch in Deutschland

Auch in Deutschland soll in zwei Wochen eine ähnliche App eingeführt werden. Vor allem der Gesundheitsminister Jens Spahn sprach sich für eine Warnapp mit einer zentralen Datenspeicherung aus. Dies stößte bei vielen Digital- und Datenschutzvereine auf Alarmbereitschaft und sie machten ihr Unbehagen mit offenen Briefen auch deutlich. Doch was genau beinhaltet die geplante „Coronawarnapp“ und was würde das für unseren Alltag, unseren Datenschutz und unsere Grundrechte bedeuten?

Die Grundidee hinter einer solchen Warnapp ist grundsätzlich gut. Sie soll, wie schon erwähnt, die Infektionsketten des Coronavirus unterbrechen und ein schnelles Gegenhandeln ermöglichen.  Ähnlich wie in Frankreich könnte man in Deutschland sich ein Normalisieren des Alltags erhoffen, da es eine übersichtlichere Lage der Infektionen und Infektionrisiken erschaffen würde. Präsenzvorlesungen an Universitäten und das Wiedereröffnen von Betrieben ohne zusätzliche lästige Sicherheitsmaßnahmen könnten die Folgen sein.

Dank des Gegendrucks der Digital- und Datenschutzvereine wird in Deutschland, im Gegensatz zu Frankreich, die Warnapp mit einem dezentralen Datenspeicherungssystems eingeführt. Bei einer App mit einem zentralen Speichersystem werden alle Daten der Nutzer auf einem zentralen Server festgehalten- es gibt also einen „allwissenden“ Server, der Kenntnis darüber hat, wo, wann und mit wem man in Kontakt war und ist. Ein Abgreifen von Daten und eine Zurückverfolgung auf einzelne Personen ist also denkbar einfach.

Beim dezentralen Speichersystem, wie es in Deutschland eingeführt wird, werden die Handys mit wechselnden ID-Nummern versehen und die Daten lokal gespeichert. Erst bei einer gesicherten Infektion kann sich der Nutzer bei einem allgemeinem Server melden, der die Identifikationsnummer an andere Handys rausschickt damit sie diesen mit ihren gespeicherten Daten abgleichen. Bei einer Übereinstimmung, sprich bei einer Infektionsgefahr, wird die Kontaktperson benachrichtigt und muss sich in Quarantäne begeben. Dies wird auch an den Gesundheitsamt weitergegeben.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Freiwilligkeit bei der ganzen Geschichte. Niemand wird vom Staat gezwungen, die App auf sein Handy runterzuladen und sie zu nutzen. Es wird auf Rücksicht und das Gewissen der Bürger gehofft.

Grundsätzlich könnte man auch argumentieren, dass in Zeiten von Google Maps, Instagram und co. der Zug im Thema Datenschutz schon längst abgefahren ist. Allein wenn wenn ich mir anschaue, welche Informationen Google Maps über mich hat – das geht mit einem schnellen Öffnen der Google Maps App- und indem ich auf “meine Orte” gehe, läuft mir ein Schauer über den Rücken. Google weiß wo ich einkaufen gehe, weiß wo ich wohne, weiß wo ich arbeite, welche Orte genau in welchen Städten ich besucht habe, wer mein Anwalt ist, wo ich mein Auto geparkt habe…all das, ohne dass ich die Orte jemals zur Suche eingegeben habe. Ein kleiner, passiver Datenschlucker als treuer Begleiter in meiner Tasche. Facebook weiß, wer meine Freunde sind, und schlägt mir sogar Leute als Freunde vor, die ich am Tag vorher kennengelernt habe. Wenn man seine Privatssphäre also schon sowieso an die großen AGs verkauft hat, wäre es nicht einfach human, die gleichen Daten zum Schutz unsere Risikogruppen an den Staat zu spenden?

Keine Corona-App kein Zutritt – Darf Oma nicht mehr ins Cafe?

Wie schon so lange, steht man hier wieder vor der Frage von Freiheit vs. Sicherheit. Wie viel Eingriff in sein Leben will man dem schützenden Staat gewähren, um Krankheiten vorzubeugen?

Die Betonung der Politiker auf  die Freiwilligkeit der Nutzung einer solchen App ist in Theorie natürlich was Gutes, doch wie realistisch ist das tatsächlich? Selbst wenn kein Druck seitens des Staates ausgeübt wird und man keine rechtlichen Folgen fürchten muss, wenn man sie nicht herunterlädt, wie sieht es aus mit dem sozialen Zwang? Wer garantiert mir, dass mein Arbeitsgeber mich und meine Mitarbeiter nicht dazu zwingen wird die App runterzuladen, damit sein Betrieb wieder öffnen kann? Es ist auch sehr gut vorstellbar, dass Betriebe mir auch als Gast nur Zugang gewähren werden, wenn ich eine solche App vorweisen kann. Und wie sieht es aus mit den Menschen, die kein Smartphone besitzen? Die sich entweder finanziell keins leisten können oder schlicht und einfach zu alt sind, um mit eins umzugehen? Wird Oma dann der Zugang ins Cafe verweigert?

Fraglich ist auch die Effektivität der Einführung einer solchen App. Laut Wissenschaftler der Oxford University müssten 60% der Bürger die App nutzen, damit sie wirksam ist. Laut Marktforschern hat in Deutschland jedoch nur eine App eine solche Beliebheit erreicht: Whatsapp. Ob die Coronaapp den  gleichen Erfolg erzielen kann, ist unklar.

Auch die technische Seite des Systems ist grundsätzlich nicht ganz fehlerfrei. Da das ganze über Bluetooth ablaufen wird ist auch die Chance für eine Falschmeldung relativ hoch. Nehmen wir an, der Nachbar erkrankt an Corona. Der typische Geist-Nachbar, den man nie sieht, noch nicht mal im Aufzug oder Treppenhaus begegnet, von dessen Existenz man sich nur sicher sein kann, weil man manchmal hört, wie seine Tür ins Schloss fällt oder man ihn lautstark durch die Wand am Telefon streiten hört.

Genau durch diese Wand durchdringt aber auch der Bluetoothfunk. Meldet dieser Nachbar sich in der App als positiv auf das Coronavirus, werde auch ich als Kontaktperson registriert, selbst wenn dieser Kontakt noch nie stattgefunden hat. Mir wird dann auch eine Quarantänepflicht zugewiesen. Noch gibt es im Gesetz keine Ausarbeitungen dazu, wie ich die in dem Fall mir unberechtigt auferlegte Quarantänenpflicht widersprechen kann. Nicht zu vergessen, dass es behördlich überprüft wird, ob ich die Quarantäne auch einhalte. Sollte das Gegenteil bewiesen werden, drohen empfindliche Strafen.

Datenschutz, Datenschutz, Datenschutz

Bei einer Gefahr für den Datenschutz wird meistens erstmal von einer Gefährdung durch die Datenverarbeitungsplattform selbst ausgegangen. Um eine Gefahr durch die Datenverarbeitungssystem selber zu umgehen, müsste die App quellenoffen, beispielsweise eine freie Software, sein. Nur so kann die Transparenz der Datenschutzgrundsätze nicht nur für die Datenschutzaufsichtsbehörden, sondern auch für die Betroffenen, also der Zivilgesellschaft insgesamt, gewährleistet werden.

Aber auch von Dritten könnte eine Gefahr für den Datenschutz ausgehen. Spahn verspricht zwar, dass die Daten unzugänglich für Datenschlucker wie Google und Co. sein werden, doch wie weit kann das tatsächlich garantiert werden? Der Digitalverein Forum für Informatiker und gesellschaftliche Verantwortung warnt auch davor, dass die Handyeinstellung, die für die Nutzung einer solchen App gebraucht werden (in dem Fall Bluetooth), die Möglichkeit für das Tracking durch andere Apps eröffnen.

Dass aber ein gewisses Misstrauen bezüglich Datenschutz unter deutschen Bürgern gegenüber dem Staat herrscht, ist nach den Geschehnissen der letzten Jahren wenig verwunderlich. Spätestens seit dem NSA Skandal hat man angefangen sich zu fragen, was einem an Privatssphäre tatsächlich noch bleibt. Auch das neue Polizeigesetz (eingeführt 2019) zeigt eine immer weiter wachsende Macht des Staatsgewaltes. So darf die Polizei mittlerweile “präventiv” Telefonate abhören und elektronische Kommunikation mitlesen. Dass manche Menschen einen “Slippery Slope” befürchten, der bei einer Gewöhnung an einen Trackingsystems durch den Staat anfängt, ist also nicht komplett abwägig.

Zusammenfassend ist also zu sagen, dass die Idee hinter einer Warnapp, wie sie in Frankreich eingeführt wird, nicht verkehrt ist. Fraglich ist jedoch, ob die Kosten den Nutzen überwiegt und ob sie tatsächlich so umsetzbar ist, wie die Politik es darstellt. Die oben genannte Baustellen wären mit neuen Gesetzeslagen und Technologieänderung durchaus beseitbar. Vielleicht wäre das auch der Punkt, an dem Normalität in unseren Alltag zurückkehren kann.

 

Beitragsbild: pixabay.com/JESHOOTS-com (Jan Vašek)   

 

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