Ein Leben zwischen Studium und Hilfsorganisation

Kauthar ist auf den ersten Blick eine gewöhnliche Studentin. Zeit, Freunde zu Treffen oder feiern zu gehen, hat sie jedoch nicht. Ihre gesamte Freizeit steckt die Studentin nämlich in ihre selbst gegründete Hilfsorganisation „Yatim Adhakirat“ und hilft damit Waisenkindern in Afrika und im mittleren Osten. Ihr Verein mit dem Studium an der Fachhochschule Dortmund zu vereinbaren, fällt der 25-Jährigen nicht immer leicht.

Kauthar hatte schon immer einen brennenden Wunsch, Menschen zu helfen und die Welt ein Stückchen besser zu hinterlassen, als sie sie vorgefunden hat. Sie hat sich früher schon bei den Maltesern und bei der Flüchtlingshilfe engagiert. Irgendwann fängt sie an, bei  der „Hilfsorganisation für Waisenkinder in Bangladesch“ zu helfen. Dort arbeitet sie eng mit der Gründerin des Vereins zusammen und lernt von ihr die Grundlagen für die Führung einer Hilfsorganisation. Kauthar bezeichnet diese Frau heute noch als „ihre Mentorin“, weil sie immer weiter von ihr lernt.

Immer mehr Hilferufe

Kauthar arbeitet ein Jahr lang in der Organisation ihrer Mentorin. In dieser Zeit bekommen die beiden über Monate immer mehr Hilferufe aus Marokko. Diesen Hilferufen können sie jedoch nicht nachgehen, da ihr Verein die Spenden spezifisch für Kinder in Bangladesch sammelt und die Spenden daher nicht in anderen Ländern einsetzen darf. Es lastet schwer auf Kauthar und ihrer Mentorin, so vielen Menschen nicht helfen zu können.

Bald hören sie von der Geschichte einer frisch verwitweten Frau, die kurz davor steht, auch noch ihr kleines Kind weggeben zu müssen. Seit dem Tod des Mannes reichen die finanziellen Mittel nicht mehr aus, um es groß zu ziehen. Der marokkanische Staat sieht keine Sozialhilfen vor, sodass die junge Mutter auf sich gestellt war. Kauthar und ihre Mentorin können dem Leid der Frau und vielen anderen nicht weiter zusehen und gründen eine neue Hilfsorganisation – „Yatim Adhakirat e.V.“ – um dagegen vorzugehen. Diese Organisation soll vor allem den in Marokko von der Armut betroffenen Menschen eine helfende Hand reichen.

Der erste Erfolg in Marokko für die junge Organisation lässt nicht lange auf sich warten. Bei einem Spendenaufruf für die verwitwete Frau sammeln sie 17.000 Euro und kaufen ihr eine Wohnung. Mit dem restlichen Geld sichert der Verein der Frau auch ein Grundeinkommen, bis ihr Kind alt genug für den Kindergarten ist und sie dann auch selber arbeiten gehen kann. Diese Mischung aus Glück und schnellem Handeln ermöglicht es der jungen Witwe, ihr Kind zu behalten.

In dieser Zeit ist Kauthar 23 Jahre alt. Sie bekommt viel Gegenwind von Familie und Freunden. Sie machen sich Sorgen um ihr Studium, um ihre Zeit, um verschwendete Nerven im Falle des Scheiterns. Doch Kauthar lässt sich nicht beeindrucken. „Wenn ich heute sterben sollte, was habe in der Welt hinterlassen? Wem bringt mein Bachelorabschluss irgendwas, wenn ich nicht mehr da bin?“, erklärt die Studentin.

Immer weiter helfen

Die Organisation baut sich rasch weiter aus, knüpft Kontakte mit Gleichgesinnten, nimmt immer größere Projekte in Angriff. Auf ihre Arbeit in Marokko folgen die Länder Madagaskar, Tansania, Syrien und Eritrea. Dort packt die Organisation bei Schulprojekten an, liefert Schulmaterial und Essenspakete für das islamische Opferfest „Iftar“. In Madagaskar bauen sie Brunnen, um die Beschlagnahmung von öffentlichen Wasserquellen durch Unternehmen zu bekämpfen. Dort verdienen die Menschen im Vergleich zu vielen anderen afrikanischen Menschen verhältnismäßig wenig: Mehr als drei Viertel der Bevölkerung lebt in absoluter Armut.

Freiwillige vor

Viele Mitarbeiter hat „Yatim Adhakirat“ nicht. Kauthar stemmt die gesamte organisatorische Arbeit zusammen mit ihrer Mentorin, die nun bei „Yatim Adhekarit“ zweite Vorstandsvorsitzende ist. Dies hat aber auch Kostengründe „Transparenz und Respekt vor unseren Spendern steht bei uns an erster Stelle“, erklärt Kauthar, „uns ist es auch unglaublich wichtig, dass wirklich jeder Cent der Spenden bei den Bedürftigen ankommt. Jeder, der bei uns und mit uns arbeitet, macht das auf absolut ehrenamtlicher Basis. Selbst Reisekosten und andere Ausgaben übernehmen wir aus eigener Tasche“, sagt Kauthar. Mitarbeiter, die vor Ort in Marokko beispielsweise für die Organisation Kaufverträge für Wohnungen abschließen und die Lage überprüfen, machen das auch unentgeltlich.

Der Alltag als Powerfrau

Als es noch Präsenzlehre gab, begann Kauthars Tag meistens damit, dass sie morgens zu ihren Vorlesungen an die FH gefahren ist. Danach blieb sie noch eine Zeit lang auf dem Campus, beantwortete Emails, leitete Spenden weiter oder führte Gespräche mit Ämtern. Aber auch während des Corona-Semesters hat sich ihr Tagesablauf – bis auf die Online-Vorlesungen – nicht viel verändert. Morgens hat sie Vorlesungen, mittags arbeitet sie in ihrer Organisation. Gutes Zeitmanagement ist und bleibt für die Gründerin das Wichtigste.

Die Arbeit in der Hilfsorganisation verlangt aber auch viel persönlichen Verzicht von Kauthar. Ihr Freundeskreis besteht hauptsächlich aus anderen Menschen, mit denen sie zusammenarbeitet. Sich wie andere Studierende einfach aus Spaß mit Freunden zu treffen, ist in Kauthars straffen Zeitplan leider nicht möglich. „Wenn es mal passiert, dass ich Zeit für mich habe, dann muss ich diese nutzen, um mich auszuruhen.“

Das Studium muss oft zurückstecken

Auch das Studium muss manchmal zurückstecken. Die 25-jährige Studentin musste schon einige Klausuren verschieben und ist auch durch einzelne Klausuren durchgefallen, weil sie so erschöpft von der Arbeit war. Durch den Stress wird sie auch anfälliger für Krankheiten, sagt Kauthar. Aber davon lässt sie sich nicht aufhalten.

Auf die Frage, wie sie das alles denn durchhält, hat sie eine ziemlich pragmatische Antwort: „Man muss einfach weitermachen, auch wenn man todmüde ist. Es kann doch nicht sein, dass irgendwelche Spenden nicht ankommen, nur weil ich müde bin! Natürlich ist das alles sehr viel Arbeit, aber das ist es mir absolut wert.“

Immer größere Projekte 

Zurzeit geht „Yatim Adhakirat e.V.“  das bisher größte Projekt an. Die Organisation sammelt Spenden, um in Tansania ein ganzes Waisendorf aufzubauen, das über 1000 Waisen Obhut geben soll. 3D-Bilder und Pläne für den baulichen Aspekt dieses Dorfes gibt es auch schon.

Auf die Frage, was sie angehenden studentischen Gründern mit auf den Weg geben würde, antwortet sie: „Man muss an das, was man macht, glauben. Unerschütterlich. Man wird sehr viel Gegenwind bekommen. Man darf nicht so viel auf die Meinung anderer geben und man muss immer weiter machen.“

Beitragsbild: Yatim Adhakirat e.V.

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