Brain-Computer-Interfaces: Computer mit Gedanken steuern

Maschinen, die mit Gedanken gesteuert werden, und Menschen, die mit Computern verschmelzen, waren lange reine Science-Fiction. Doch die reale Wissenschaft holt langsam auf: Schon heute ist mit Brain-Computer-Interfaces einiges möglich – ein Streifzug durch die Forschung.

Da sitze ich nun. In einem kleinen, vollgestellten Labor der Hochschule Rhein-Waal in Kleve. Hier bekomme ich die Möglichkeit, eine Technologie auszuprobieren, die langfristig unser digitales Leben revolutionieren könnte. So hoffen zumindest einige Wissenschaftler*innen.

Mit Brain-Computer-Interface, kurz BCI, wollen Forscher*innen eine direkte Schnittstelle zwischen dem menschlichen Gehirn und Computern herstellen. Eine Steuerung nur mit der Kraft der Gedanken. Ich muss allerdings zugeben: Bis jetzt ist von der strahlenden Zukunftsvision kaum etwas zu spüren. Tatsächlich komme ich mir sogar etwas albern vor. Auf dem Kopf trage ich eine EEG-Haube, eine Art Badekappe mit Elektroden. Diese wird gleich die Aktivität der Nervenzellen in meinem Gehirn messen.

Was ist ein Brain-Computer-Interface?
Ein Brain-Computer-Interface ist eine Schnittstelle zwischen einem Computer und dem menschlichen Gehirn. Sie misst anhand von elektrischen Signalen die Aktivität in verschiedenen Bereichen des Gehirns. Durch die Auswertung und Interpretation dieser Signale versucht die BCI-Software, Rückschlüsse auf die Gedanken und Handlungsabsichten der Anwender*innen zu ziehen. So können per Gedanken Befehle gegeben werden, die dann vom Computer ausgeführt werden. 
Kurt-Autor Finn probiert ein Brain-Computer-Interface aus. Foto: Karsten Wickern

Ein Morsecode für das Gehirn

Meine Haare unter der Kappe sind nass und klebrig von einem elektrisch leitfähigen Gel, das so salzig ist, dass ich das Gefühl habe, es durch meine Kopfhaut schmecken zu können. Von der Kappe führt ein Wust aus bunten Kabeln in einen kleinen grauen Kasten, der mit dem Computer verbunden ist. Direkt vor mir steht ein großer Monitor. Er zeigt ein Gitter aus Buchstaben, die in chaotischen Rhythmen vor sich hin flackern.

Eine der studentischen Hilfskräfte, die mich für das Experiment vorbereitet haben, gibt mir ein Zeichen: Ich darf loslegen. Ich lenke meine gesamte Aufmerksamkeit auf den Buchstaben K vor mir auf dem Monitor. Ein Moment vergeht, dann erscheint um das K ein grüner Ladebalken, der sich langsam füllt. Jetzt bloß nicht ablenken lassen. Dann, nach einigen Sekunden des angestrengten Starrens, erscheint ein großes K unten in der Eingabezeile des Monitors. Ich bin beeindruckt. Soeben habe ich den ersten Buchstaben nur mit Kraft meiner Gedanken geschrieben. Ich habe keine Tastatur berührt, nichts angeklickt, niemand konnte sehen, wo ich hinschaue. Und trotzdem steht der Buchstabe auf dem Monitor. Ein eigenartiges Gefühl.

Elektrodengel und ein Unmengen an Kabeln sind bei aktuellen BCI-Systemen unverzichtbar. Foto: Karsten Wickern

Versuchsleiter Piotr Stawicki erklärt mir, was gerade passiert ist: „Keine Sorge, dieses Interface kann nicht wirklich deine Gedanken lesen.“ Der Buchstabe K auf dem Monitor flackert in einem bestimmten Rhythmus, ähnlich wie ein Morsecode. Wenn ich mich darauf konzentriere und auf das K starre, wird dieser Morsecode in meinen Gehirnströmen reproduziert. Das erkennt der Computer. Jeder Buchstabe ist einem eigenen Morsecode zugeordnet. Dadurch kann das Programm erkennen, was ich schreiben will.

Es gebe auch Ideen, BCIs ohne Monitor zu realisieren, sagt Stawicki. Wer dann Buchstaben und Wörter schreiben will, müsse wirklich nur noch an sie denken. Diese Varianten seien bislang noch nicht sehr weit entwickelt.

Der KURT-Slogan: Geschrieben mithilfe von BCI. Foto: Karsten Wickern

Ich mache weiter und nach einiger Zeit steht „KURT_SO_WIE_DU“ auf dem Bildschirm. Das klappt erstaunlich gut.

Viele haben das Potenzial erkannt

BCI ist deutlich mehr, als Buchstaben zu schreiben. Auf der ganzen Welt forschen Wissenschaftler*innen und Unternehmen daran, Brain-Computer-Interfaces voranzubringen. Große Konzerne wie Facebook oder die von Elon Musk gegründete Firma „Neuralink” träumen davon, mit BCIs jegliche Hürde zwischen Mensch und Maschine zu beseitigen. Ihre Argumentation: Der Mensch verfügt über ein Gehirn, das Milliarden von Operationen pro Sekunde ausführen kann und verwendet Computer mit unfassbarer Rechenleistung. Steuern muss er sie jedoch über Touchscreens, Tastaturen und komplizierte Menüführungen. Das bedeutet: Eine. Eingabe. Nach. Der. Anderen.

Welch verschenktes Potential, findet Musk. Mit Hilfe eines BCI will er all das in Zukunft mit ein paar kurzen Gedanken erledigen. Der Neuralink-Gründer plant sogar, die Antwort des Computers auf dem gleichen Weg zurück ins Gehirn zu senden. Das könnte zum Beispiel ein Suchergebnis sein, ein Gedanke oder sogar der Befehl für eine Bewegung oder eine Handlung. BCIs würden damit eine Vielzahl neuer Möglichkeiten für die Kommunikation zwischen Computer und Mensch bieten.

Elon Musk und Neuralink

Neuralink, eine Firma des US-amerikanischen Unternehmers Elon Musk, forscht seit 2016 an Möglichkeiten, eine Gehirn-Computer-Schnittstelle für den Alltagsgebrauch zu entwickeln. Im September 2020 zeigte Musk nun bei einer Präsentation den Prototypen eines BCI-Implantates, das in den Schädel eingesetzt werden und Gehirnaktivitätsdaten nach außen senden kann. Um die gesundheitliche Unbedenklichkeit des Implantates und der zum Einsetzten des Implantates notwenigen Operation zu zeigen, testen die Forscher die BCI-Implantate aktuell an Schweinen. Im Video unten ist zu sehen, wie das Implantat die Gehirnaktivität der Schweine liest. Bislang findet aber noch keine Interpretation der Signale statt. Ein großer Vorteil des gezeigten Implantates: einmal eingesetzt, funktioniert es vollkommen drahtlos. Anders als bei bisherigen invasiven Modellen müssen also keine Kabel durch eine offene Wunde aus dem Kopf herausgeführt werden.

Gedankenmanipulation über BCI theoretisch möglich

Theoretisch eröffnet die Technologie aber auch neue Wege, Menschen zu manipulieren, meint der Bochumer BCI-Forscher und Neurowissenschaftler Christian Klaes: „Natürlich sollten wir uns Gedanken darüber machen, was passieren könnte, wenn ein BCI gehackt wird und wie man BCI-Systeme sicher machen kann.“ Langfristig müssten Mechanismen entwickelt werden, die verhindern, dass Nutzer*innen von außen über ihr BCI manipuliert werden können, sagt er.

Bislang würden solche Fragen in der BCI-Forschung jedoch wenig behandelt. „Viele Anwendungsmöglichkeiten sind bislang nur Ideen. Technisch sind wir noch weit davon entfernt, konkrete Gedanken zu erkennen oder Menschen gezielt Gedanken oder Befehle in den Kopf setzen zu können.“

Christian Klaes ist Neurowissenschaftler und BCI-Forscher. Foto: Damian Gorczany

Technisch sind wir noch weit davon entfernt, konkrete Gedanken zu erkennen oder Menschen gezielt Gedanken oder Befehle in den Kopf setzen zu können.

Bis BCI-Systeme für den Massenmarkt verfügbar sind, könnten noch Jahrzehnte vergehen. Um nämlich gedachte Befehle ohne Hilfe flackernder Morsecodes ausführen zu können, muss der Computer zunächst lernen, welche Gehirnströme welchen Befehl auslösen sollen. „Das ist bei jedem Menschen leicht verschieden“, erklärt Klaes. Neue Anwender*innen müssten das ihrem BCI-System erst in einem extrem langwierigen Einrichtungsprozess beibringen. Um das zu vermeiden, bräuchte es daher große Datenbanken, in denen die Gehirnströme und zugehörigen Befehle von möglichst vielen Nutzer*innen hinterlegt sind. Diese Daten würden dem BCI als Referenz für die Erkennung der Eingaben dienen. Bislang gibt es jedoch viel zu wenige Anwender*innen, um solche Datenbanken aufbauen zu können.

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