Bund und Länder haben die bisher einschneidendsten Corona-Beschränkungen beschlossen: In Kreisen mit besonders hohen Inzidenzwerten soll man sich nur noch 15 Kilometer vom Wohnort entfernen dürfen. Wie sinnvoll ist die Einschränkung des Bewegungsradius? Und wer kontrolliert das?
15 Kilometer und nicht weiter: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete diese Maßnahmen als hart, aber notwendig. Konrekt gilt die Einschränkung der Bewegungsfreiheit für alle Kreise und kreisfreien Städte, deren Sieben-Tages-Inzidenz über 200 liegt. Heißt: Innerhalb von einer Woche gibt es mehr als 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner*innen. Dann darf man sich nur noch in einem Radius von 15 Kilometern bewegen. Ausnahmen sind zum Beispiel der Weg zur Arbeit oder zum Krankenhaus. Freizeitausflüge zählen explizit nicht dazu.
Was bringt ein eingeschränkter Bewegungsradius?
Ziel der Maßnahme ist es, die Mobilität und damit auch die Kontakte noch weiter zu reduzieren. Grundsätzlich waren die Deutschen 2020 bereits weniger mobil als zuvor. Das zeigt eine Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach. 48 Prozent der Befragten gaben an, weniger Reisen unternommen zu haben. Ist eine zusätzliche Beschränkung der Mobilität also überhaupt nötig?
Eine Studie der Universität Oxford kommt zu keinem klaren Ergebnis. In der Studie wurde ermittelt, welche Corona-Beschränkungen im Frühjahr am erfolgreichsten waren, um den Reproduktionsfaktor R, also die Ansteckungsrate, in Europa zu senken. Das Ergebnis: Eine Ausgangssperre senkte den R-Wert durchschnittlich um 18 Prozent. Andere Maßnahmen waren laut der Studie jedoch deutlich effektiver. Die Schulschließungen reduzierten den R-Wert um 39 Prozent, die Ladenschließungen um 40 Prozent. Allerdings bietet die Studie nur einen Durchschnitt: Die genauen Werte schwanken stark zwischen den Ländern. Da die Länder unterschiedliche Maßnahmen ergriffen haben, sind sie nur bedingt vergleichbar.
Virologin: Der Grenzwert müsste niedriger sein
Die Ausgangssperren im Frühjahr, die die Studie untersuchte, waren z. T. deutlich drastischer als die 15-Kilometer-Regel. Und auch jetzt ergreifen einige europäische Länder härtere Maßnahmen. In England dürfen Menschen in Corona-Hotspots nur aus essentiellen Gründen das Haus verlassen. Joggen oder spazieren darf man nur einmal täglich. Wie groß im Vergleich dazu der Effekt der 15-Kilometer-Regel ist, ist unklar.
Angesichts der hohen Corona-Zahlen halten es Fachleute jedoch für unabdingbar, dass wir unsere Kontakte weiter reduzieren. “Inwiefern die Begrenzung des Bewegungsradius auf 15 Kilometer hier eine sinnvolle Maßnahme ist, sei dahingestellt”, sagt die Dortmunder Virologin Anja Sägers. “Diese Maßnahme zielt aber eindeutig auf die Verhinderung des Tagestourismus, wie er in letzter Zeit zum Beispiel in Winterberg zu chaotischen Zuständen geführt hat.” Solche pauschalen Verbote seien unvermeidbar, da Appelle an die Vernunft bei vielen Uneinsichtigen nicht ausreichten. “Jetzt müssen nun mal alle darunter leiden.”
Sägers hält jedoch den Grenzwert von 200 für zu hoch. Sie betont: “Das trifft aktuell auf keinen Kreis in NRW zu. Für einen direkten Effekt hätte man den Grenzwert niedriger wählen müssen.”
Polizeigewerkschaft: Kontrolle gar nicht möglich
15 Kilometer klingt erst einmal nach wenig Bewegungsfreiheit. Doch gerade in größeren Städten dürften viele diese Einschränkung gar nicht merken. Beispiel Herne: Dort liegt der Inzidenzwert knapp unter der 200-Marke (Stand 06.01.: Inzidenzwert 178,3). In einem Radius von 15 Kilometern wäre das gesamte Bochumer Stadtgebiet noch zu erreichen.
Das wirft auch die Frage auf, wie die Einhaltung der Maßnahmen kontrolliert werden soll. Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft NRW, Erich Rettinghaus, sieht dort Probleme. “Gerade im Ruhrgebiet mit fließenden Stadtgrenzen ist eine Kontrolle dieser Einschränkungen der Bewegungsfreiheit gar nicht flächendeckend möglich. Grundsätzlich sollte ein Bußgeld eine abschreckende Wirkung entfalten.” Kontrollen seien höchstens stichpunktartig möglich. Städte, die wie in anderen Ländern von Polizei und Militär abgesperrt werden, könne und wolle sich Rettinghaus in Deutschland nicht vorstellen.
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