Nawalny-Prozess: Wie Putin den Aufbruch ausbremst

Am Tag des Urteils über Kreml-Kritiker Alexej Nawalny gehen erneut tausende junge Menschen aus Russland auf die Straße. Putin und seine Regierung setzen auf Polizeigewalt und Zensur, um die Demonstrierenden auszubremsen.

Warum protestieren die Menschen in Russland?
Der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny steht vor Gericht. Mit seinen Recherchen zu Korruption in der Regierung hat er viele junge Russen erreicht. Diese protestieren nun für seine Freilassung. Einige Demonstrierende wollen allerdings auch auf die generellen Umstände in Russland hinweisen.

Die Verhandlungen haben noch gar nicht begonnen, als in Moskau die ersten Menschen festgenommen werden. Wahllos greifen Polizisten Demonstrierende auf, so berichtet es eine Korrespondentin vor Ort. Allein am letzten Wochenende hat die russiche Justiz laut Medienberichten über 5000 Menschen in Gewahrsam genommen. Bilder und Videos von Polizeigewalt kursieren seit Tagen im Netz. Immer stärker verlässt man sich auf die staatlichen Sicherheitskräfte. Erstmals nutzen diese nun auch Elektroschocker, um die Demonstrierenden zu traktieren. Ein Versuch, die Menschen vom Demonstrieren abzuhalten, sagt Russlandexperte Dr. Janis Kluge von der Stiftung für Wissenschaft und Politik. Die Bevölkerung lasse sich von rechtlichen Strafen nicht mehr so sehr einschüchtern.

Meistens sind es nur Geldstrafen

Dr. Janis Kluge, Bild: Stiftung für Wissenschaft und Politik

Dabei können die Folgen in Einzelfällen weitreichend sein. Russische Studierende können exmatrikuliert werden, Angestellte in staatlichen Unternehmen sogar ihren Job verlieren, wenn sie bei nicht zugelassenen Demonstrationen festgenommen werden. Dies sei jedoch eher die Ausnahme, so Russlandexperte Kluge. In den meisten Fällen bleibe es dabei, dass die Personalien aufgenommen und Geldstrafen verhängt werden.

Es sind eher junge Menschen, die auf den Demos zu sehen sind. Insgesamt ist der Anteil der Menschen, die auf die Straße gehen, vergleichsweise gering. Pavel D.* ist 19 Jahre alt und hat an einer Demo teilgenommen. Er lebt in einer mittelgroßen Stadt, es kamen nur ein paar hundert Menschen. Viele wüssten nicht, warum sie überhaupt an den Demos teilnehmen sollten, sagt Pavel.

In seiner Stadt verlief die Demonstration friedlich. Doch die Bilder und Videos, die er aus den großen Städten sieht, machen ihm trotzdem ein bisschen Angst: “Ich finde es nicht normal, dass militärische Kräfte gegen normale Leute eingesetzt werden”. Was er über die Demonstrationen und die Vorgänge in der Hauptstadt weiß, nimmt er ausschließlich aus dem Internet. Per Telegram und YouTube, vor allem über den Kanal von Alexej Nawalny, informiert er sich abseits der Kreml-abhängigen Medien.

Wer ist Alexej Nawalny?
Alexej Nawalny ist ein russischer Kreml-Kritiker und Oppositioneller. Im August wurde er Opfer eines Gift-Anschlags, hinter dem die russische Regierung vermutet wird. Vor einer Woche veröffentlichte er ein Video, in dem er einen luxuriösen Palast zeigt, der Präsident Putin gehören soll. Bei der Moskauer Bürgermeisterwahl 2013 erreichte er fast ein Drittel der Stimmen.

Dem Staat immer zwei Schritte voraus

Am Montag war bekannt geworden, dass der Kreml Informationen über die Proteste aus Sozialen Medien verbannen will. Die Betreiber werden in die Pflicht genommen, entsprechende Inhalte zu suchen und zu löschen. In einem öffentlichen Statement hat Facebook bereits angekündigt, dieser Richtlinie nicht zu folgen. Und auch Russlandexperte Janis Kluge schätzt die Schlagkraft der Maßnahme eher gering ein. Zu schnell könne sich die digitale Gemeinschaft über andere, neue Kanäle vernetzen.

Die Medienmacht des Kremls ist jedoch trotzdem nicht zu unterschätzen. Die stille Masse der Bevölkerung erreichen verzerrte Sichtweisen über das Staatsfernsehen. “Meine Eltern halten Nawalny für einen Spion. Sie denken, Putin wird gegen ihn kämpfen”, erzählt Pavel. Dass er zu einer der Demonstrationen gegangen ist, hat er ihnen nicht erzählt. Sie würden sehr sauer werden, glaubt er.

Den Kreml berühren die Proteste kaum

Alena Epifanova, Bild: Deutsche Gesellschaft für auswärtige Politik

Wieviel die Demonstrationen in Russland wirklich bewegen, bleibt abzuwarten. Janis Kluge vermutet, dass die Protestwellen in den nächsten Wochen abflachen werden. Und auch die Russlandexpertin Alena Epifanova von der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik rechnet nicht mit großen Veränderungen. Es sei wahrscheinlich, dass Putin nach außen Signale der Öffnung und Liberalisierung sende, die jedoch keine echten Konsequenzen tragen. “Ich glaube das System wird noch repressiver werden. Bei der Parlamentswahl im September braucht Putins Partei ‘Einiges Russland’ wieder eine Mehrheit”, so Epifanova.

*Name geändert

Beitragsbild: Victoria Borodinova / pixabay

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