Corona hat dafür gesorgt, dass viele Menschen unter psychischen Problemen leiden. Therapieplätze sind inzwischen schwer zu finden. Das ist aber keine völlig neue Entwicklung. Viele Psychotherapiepraxen arbeiten schon seit Jahren an der Belastungsgrenze. Wieso und welche Lösungsansätze gibt es?
Seit fast eineinhalb Jahren ist der Coronavirus Bestandteil des Lebens. Im Laufe der Pandemie ist auch die Zahl der Menschen mit psychischen Problemen gestiegen – das belegen verschiedene Studien. Eine Langzeitstudie der Universität Bielefeld zusammen mit dem Sozioökonomischen Panel am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung etwa zeigt diesen Anstieg insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Aber auch bei Menschen, die vorher schon stärker gefährdet waren, haben die Probleme zugenommen. Dazu zählen laut dieser Studie zum Beispiel Geflüchtete oder Geringverdienende.
Laut Statistischem Bundesamt gab es im Jahr 2019 in Deutschland ungefähr 35.000 Psychologische Psychotherapeut*innen. Zwar ist diese Zahl in den vergangenen Jahren schon deutlich gestiegen: 2015 war die Zahl noch bei 28.000 Psychotherapeut*innen gelegen. Doch die durchschnittlichen Wartezeiten auf eine Therapie zeigen: Das ist bei Weitem nicht genug.
Lange Wartezeiten auf Behandlungen
Das stellte auch die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) in ihrer Studie von 2018 fest. Allein die Wartezeit auf eine erste psychotherapeutische Sprechstunde lag durchschnittlich bei sechs Wochen. Bis dann die wirkliche Therapie beginnt, dauert es aber noch einmal sehr lange. Bis zur Psychotherapie, so die Studie, dauerte es im Jahr 2018 noch einmal durchschnittlich fünf Monate. Im Ruhrgebiet waren sogar knapp siebeneinhalb Monate. Was diese Studie auch zeigt: Die psychiatrische Versorgung war bereits vor der Pandemie sehr angespannt.
Für das Jahr 2020 ergab eine deutschlandweite Umfrage des “Verbands für psychologische Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen” (VPP) sogar noch schlechtere Zahlen — durchschnittlich warteten Menschen sechs Monate von erster Sprechstunde bis zur Psychotherapie. Das ist zu lange. Denn je länger die Wartezeiten sind, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Patienten am Ende gegen eine Therapie entscheiden. Das zeigt die Studie der BPtK. Außerdem besteht das Risiko, dass die langen Wartezeiten zur Verschlimmerung von Problemen führen.
Für den Präsidenten der BPtK, Dr. Dietrich Munz, ist klar, dass die Pandemie die Probleme bei psychotherapeutischen Behandlungen verstärkt: „Die Coronakrise verschärft den Mangel an Behandlungsplätzen“, kritisiert er auf der Webseite des BPtK. Aus seiner Sicht räche sich jetzt, “dass die Krankenkassen seit Jahren die Zulassung einer ausreichenden Anzahl von psychotherapeutischen Praxen blockieren.”
Der Hintergrund: Erst eine kassenärztliche Zulassung ermöglicht den Therapeuten eine Abrechnung mit gesetzlichen Krankenkassen. Die Anzahl an Praxen, die in einer Region kassenärztlich zugelassen werden kann, ergibt sich aus der Einwohnerzahl. Praxen können grundsätzlich zwar auch ohne kassenärztliche Zulassung arbeiten. Die Behandlung in einer nicht zugelassenen Praxis ist für gesetzlich Versicherte allerdings meistens nicht sinnvoll — da die Krankenkasse die Kosten der Behandlung üblicherweise nicht übernimmt.
Die Politik muss reagieren
Vor allem im Jahr 2021 hat die Corona-Pandemie die Situation bei psychotherapeutischen Angeboten noch einmal verschärft. Das bestätigt auch die BPtK auf ihrer Webseite. Im Vergleich zwischen Januar 2020 und Januar 2021 gab es einen starken Anstieg in den Anfragen an Psychotherapiepraxen. 2020 hatten laut BPtK durchschnittlich fünf Patient*innen pro Woche in einer Praxis eine psychotherapeutische Behandlung angefragt — 2021 waren es im Schnitt sieben Patient*innen pro Woche. Das ist vor allem auf den zweiten Lockdown zurückzuführen. Als kurzfristige Lösung fordert die BPtK daher, dass bis Ende des Jahres auch Praxen ohne Kassenzulassung gesetzlich Versicherte mit psychischen Problemen auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung behandeln dürfen.
Langfristig braucht es aber andere Ansätze, von selbst wird sich das Problem der Unterversorgung nicht lösen. Denn allgemein ist eine steigende Nachfrage nach Psychotherapien zu beobachten. Grund dafür ist auch, dass Menschen immer weniger Vorurteile gegenüber einer Psychotherapie haben. Die BPtk sieht daher lediglich eine Option: Die Krankenkassen müssen mehr Praxen zulassen. Nur so ließe sich die erhöhte Nachfrage bedienen. Präsident Munz nimmt dabei auch die Politik in die Pflicht: “Die Politik sollte endlich das Leid der psychisch kranken Menschen ernst nehmen”, sagt er auf Website der BPtK.