Auf Plakaten, in Onlineshops, auf Modenschauen: In vielen Situationen begegnen uns Models und mit ihnen die Vorstellung davon, was schön ist. Mit welchen äußerlichen Anforderungen die Modelbranche arbeitet – und wieso das Aussehen trotzdem nicht alles ist.
Viele denken bei dem Wort Model nur an dessen äußere Erscheinung. Und die soll bitte möglichst „schön“ sein. Wie oft sagen Menschen: „Wow, du siehst so schön aus, du könntest modeln!“ Dieses „Kompliment“ hat Antonia El Ghali schon unzählige Male gehört. Sie studiert Modemanagent und modelt hauptberuflich. Manchmal stört es sie, wenn Menschen den Begriff „Model“ leichtfertig verwenden. Denn: „Das ist keine Definition für einen hübschen Menschen. Es ist eine Berufsbezeichnung“, stellt Antonia klar. Deshalb drückt dieses vermeintliche Kompliment nicht nur Bewunderung aus. Es zeigt das, was wir – bewusst oder unbewusst – verinnerlicht haben, auf andere übertragen und für uns selbst anstreben: unser Schönheitsideal.
Natürlich sei das Aussehen ein Teil des Berufs als Model, meint Antonia. Aber das habe nichts mit einem Schönheitsideal zu tun, sondern mit allgemeinen, beruflichen Voraussetzungen. „Du musst mit manchen körperlichen Gegebenheiten geboren werden, um zu modeln. Wenn du die nicht hast, heißt das nicht, dass du nicht schön bist. Du kannst dann eben nur nicht modeln. So hart das leider klingt, daran kannst du nichts ändern.“ Für ihren Beruf ist die 19-Jährige in die Modestadt Mailand gezogen. Die Normen dort seien deutlich weniger streng als zum Beispiel in Paris: „Da sind die Mädels schon wirklich alle sehr dünn, sehr groß.“ Antonia selbst misst 1,79 Meter. Sie hat blonde, kinnlange Haare, die um ihr schmales Gesicht fallen.
Grundsätzlich existieren in jeder Gesellschaft bestimmte Normen. Zu denen gehöre auch das Schönheitsideal, erklärt Johannes Krause, Soziologe an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Schönheitsideale seien zum einen evolutionär bedingt. Verschiedene genotypische, also durch das Erbgut bestimmte, Merkmale würden sich mit der Zeit im Aussehen des Menschen durchsetzen und ihn attraktiv wirken lassen. Reine Haut beispielweise habe ursprünglich auf Parasitenresistenz hingewiesen und sich bis heute als ein begehrenswertes Ideal gehalten – obwohl die Menschen dabei mittlerweile nicht mehr an Parasiten denken. Zum anderen beruhe ein Schönheitsideal auf der sozialen Komponente, „die sich aus gesellschaftlichen Bedingungen ergibt und sowohl zeitlich als auch geographisch variiert“. Diese Bedingungen entstünden durch die Ressourcen in einer Gesellschaft. Gebe es beispielsweise viele Nahrungsmittel, folge ein eher schlankes Schönheitsideal. Krause fasst zusammen: „Es gilt als schön, was schwer zu erreichen ist.“
Hell, hübsch, groß – divers?
Laura Molderings ist Gründerin und Geschäftsführerin der deutschen Modelagentur VIA. Diese vermittelt Models an andere Agenturen in verschiedenen Ländern, die den jungen Frauen wiederum Castings verschaffen für Jobs bei Modeunternehmen. So auch bei Antonia. Molderings beobachtet, dass Modeunternehmen bevorzugt schlanke Models buchen mit heller Haut, hellen Haaren und hellen Augen. Das gelte insbesondere für Mainstream-Marken wie H&M und Zara. Das Gesicht der Frauen soll weiblich, oval und definiert geschnitten sein, aber keine zu scharfen Wangenknochen haben. Dazu eher große Augen und eine feine, nicht zu markante Nase. Die Frauen sollten außerdem mindestens 1,73 Meter groß sein. Sind die Models kleiner, haben sie „vielleicht eine fünfprozentige Chance auf einen Job“, schätzt Molderings. Entspreche ein Model also nicht den idealtypischen Vorstellungen, die in weiten Teilen in der Modebranche gelten, würde es kaum Jobs bekommen. In ihre Agentur nehme Molderings mittlerweile hauptsächlich Frauen auf, die den Anforderungen der Mainstream-Marken gerecht würden. Es gebe es aber andere Agenturen, die unkonventionellere Typen vermitteln.
Grundsätzlich reichen die Kund*innen der Modelagenturen von Mainstream-Marken bis hin zu Modeschöpfer*innen im High-Fashion-Bereich. International ist häufiger von Haute Couture die Rede. Der Begriff steht für hochwertige und extravagante Kleidungsstücke, meist mit ungewöhnlichen Accessoires. Große Modeunternehmen wie Bershka, H&M oder Zara wollen ihre Kleidung in Massen verkaufen, möglichst viele Menschen sollen sie tragen. Viele Haute Couture-Kreationen sind hingegen nur als sehr teure Einzelstücke zu haben. Sie dienen eher als Werbung für die Designer*innen und deren Kreativität. Antonia arbeitet sowohl für das eine als auch das andere Extrem der Modebranche, denn: „Ich liege echt genau in der Mitte. Für die einen ist mein Gesicht zu langweilig, für die anderen ist es zu speziell.“ Dem Ziel entsprechend variieren also die Ansprüche an das Aussehen der Models.
Den eigenen Look finden
Das mache es umso schwieriger, einzuschätzen, wie die Chancen bei Castings stehen. Antonia erinnert sich an offene Castings, zu denen die Kund*innen alle möglichen Typen von Frauen eingeladen hätten – egal, welche Haar- oder Hautfarbe sie hatten. Bei dutzenden unterschiedlichen Models ist die Location voll und die Auswahl groß. Niemand könne vorhersagen, wonach die Unternehmen gerade suchen würden, erzählt Antonia.
In Pandemiezeiten würden sich die Kund*innen meist vorab bereits wenige Models aussuchen und nur diese einladen. Solche kleineren Castings zeigten deutlicher, welchen Typ die Kund*innen bevorzugen. „Trotzdem liegt es nicht an einem bestimmten Schönheitsideal, ob man den Job am Ende bekommt oder nicht“, behauptet Antonia. Für eine Typveränderung habe Antonia sich beispielsweise die Haare abgeschnitten und dadurch vor allem mehr Jobs für Eyewear bekommen. Sie ist überzeugt davon, dass es besser ist, sich mit dem eigenen Look von den anderen Models abzuheben.
Die Modelbranche dreht sich im Kreis
Für Trendmarken wie Gucci oder Balenciaga dürfte das stimmen, bestätigt Molderings. Im Gegensatz dazu würden die Mainstream-Marken wie Bershka eher auf Models setzen, deren Aussehen ähnlich ist und daher zueinander passt. Sie ergäben so ein stimmiges Gesamtbild auf der Webseite des Onlineshops. Außergewöhnliche Typen würden da fehl am Platz wirken. „Bei den meisten der Kund*innen ist wirklich dieses typische Schönheitsideal sehr gefragt. Sprich heller Typ und weibliche, nicht zu spezielle Gesichtszüge“, sagt Molderings.
Der Grund: Beim Shoppen sollen sich die Menschen mit den Models identifizieren, die die Kleidung tragen. Das täten sie am ehesten bei Frauen, die dem allgemeinen gesellschaftlichen Schönheitsideal entsprechen. Molderings erklärt, dass Modeunternehmen nur die Models buchen würden, die die Konsumierenden sehen wollten. Mit der Zeit würden die Menschen die dauerhaft präsenten Models und Ideale als Standard wahrnehmen. Das bestehende Schönheitsideal festige sich dadurch und die Modeunternehmen würden darauf reagieren, indem sie weiter die entsprechenden Models buchen. Manchmal testen Mainstream-Marken aus, wie Models ankommen, die nicht den typischen Idealen entsprechen. Sind sie damit erfolgreich, entstehe jedoch nicht mehr als ein kurzfristiger Trend, weiß Molderings aus Erfahrung. Der halte vielleicht ein oder zwei Jahre an. Letztendlich kehre die Branche immer wieder zu dem Typ Model zurück, der schon seit Jahren gefragt sei.
Das liege vor allem an den sozialen Bedingungen, unter denen eine Gesellschaft lebe und die ein Schönheitsideal vorgeben, sagt Soziologe Krause. Diese Bedingungen könnten sich sogar jährlich ändern und damit auch ein Schönheitsideal.ingegen entstünden evolutionäre Schönheitsideale wie die reine Haut über Jahrhunderte hinweg – entsprechend würden diese sich nur langsam wieder verändern.
Junge Frauen eifern Schönheitsidealen nach
Das suggeriere vor allem jungen Frauen, das Aussehen der Models in den Onlineshops wäre unbedingt erstrebenswert. Wenn ein Ideal zur Norm werde, könne das extrem gefährlich werden, warnt Stephan Herpertz. Er ist Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LWL-Uniklinikums der Ruhr-Universität Bochum. Vor allem junge Frauen stünden zunehmend unter psychischem Druck, dem von außen suggerierten Schönheitsideal zu entsprechen. Das beobachtet Schönheitschirurg Daniel Talanow ebenfalls, denn das Alter seiner Patientinnen liege mittlerweile deutlich unter 20 Jahre. Ihre Vorstellungen davon, was schön ist, forme sich vor allem „durch Trends und Personen des öffentlichen Lebens mit einer dominanten Außendarstellung und Stärke“, vermutet Talanow. Teilweise präsentieren die jungen Frauen dem Schönheitschirurgen Fotos, ganz nach dem Motto: „So will ich auch aussehen.“ Besonders die Konkurrenz gegenüber anderen Frauen sei für die Patientinnen belastend.
Ein solches Konkurrenzgefühl würden die Models bei Castings gar nicht erst aufkommen lassen. Vielmehr würden sie einander unterstützen, so berichtet es Antonia. „Bei einem Casting haben wir den Eingang alle nicht gefunden und die ganze Zeit zusammen gesucht“, sagt Antonia und lacht. „Oder ein anderes Mädchen hat einmal keine Heels dabeigehabt. Natürlich gebe ich ihr dann meine. Das passiert oft, dass wir einander aushelfen.“ Sich miteinander zu verstehen und zu connecten, gehöre für junge Models ebenso zum Beruf wie die Castings oder die Jobs. „Das hört sich vielleicht krass an, aber: Wenn du dir keine Freunde suchen würdest, würdest du dich verloren fühlen.“ Oft schreiben jüngere Models aus der Agentur Antonia auf Instagram an. „Wir gehen alle durch dasselbe und sind froh, jemanden zu haben“, begründet Antonia den Umgang miteinander.
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Die Bewertungskriterien sind klar definiert
Es ist wichtig, dass Frauen bei Modelcastings zusammenhalten, statt miteinander zu konkurrieren. Denn: „Frauen werden ohnehin schon innerhalb sehr klar definierter Grenzen bewertet, die leider wenig Raum für Andersartigkeiten lassen“, erläutert der Soziologe Johannes Krause. Bei Frauen beschränke sich die Bewertung meist auf ihr Aussehen. Männer hingegen könnten „fehlende Schönheit“ durch andere Attribute ausgleichen, beispielsweise durch Wohlstand.
Wir schreiben schönen Menschen positive Eigenschaften zu, behandeln sie positiver und gehen anders mit ihnen um.
Egal, welches Geschlecht sie haben – Menschen, deren Figur und Gesicht dem gesellschaftlichen Schönheitsideal entsprechen, erhalten bestimmte Vorteile. „Wir schreiben schönen Menschen positive Eigenschaften zu, behandeln sie positiver und gehen anders mit ihnen um“, sagt Johannes Krause. Umgekehrt erführen Menschen, die dem Ideal nicht entsprechen, Nachteile, ergänzt Herpertz, Klinikdirektor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des RUB-Uniklinikums. Ihnen traue die Gesellschaft in zahlreichen Lebensbereichen geringere Fähigkeiten zu. Schlankheit beispielswiese stehe für Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Erfolg, während für übergewichtige Menschen das Gegenteil gelte. Dieses Schubladen-Denken bewirke auch im Arbeitsumfeld unfaire Konsequenzen. Dabei sei klar, dass es im Beruf darum geht, inhaltlich qualifiziert zu sein – nicht ums Aussehen.
Knochenjob in kostbaren Kleider
Das ist beim Modeln nicht anders. Laura Molderings hat im Verlauf ihrer Arbeit festgestellt: „Es kommt viel mehr auf die Persönlichkeit und die Ausstrahlung an.“ Und natürlich auf die Arbeitsmoral. Denn: „Es ist letztendlich ein Business und kein Hobby“, verdeutlicht sie. „Viele denken von außen: Wow, was für eine Glitzer- und Glamour-Welt und alle verdienen hier viel Geld. Aber das ist nicht der Fall.“ Viele junge Frauen, die mit dem Modeln anfangen wollen, würden den Beruf unterschätzen. Molderings spricht aus Erfahrung: „Sie denken, sie wollen ein Teil der Modelwelt sein. Aber spätestens nach einem halben Jahr merken wir in der Agentur, dass das nicht so ist.“ Besonders bei Jobs zeige sich immer wieder, dass das Aussehen nicht das Wichtigste sei. Ohne die richtige Einstellung und Kommunikationsfähigkeit der Models würden die Unternehmen sie nicht erneut buchen.
Aus diesem Grund versucht Antonia bei jedem Job, sich mit allen Beteiligten am Set gut zu stellen. Das koste zwar extrem viel Energie, aber „man möchte natürlich wieder von den Kunden gebucht werden“, erzählt das Model. Manchmal seien die Kund*innen beispielsweise nicht zufrieden, weil sie selbst die Kleidungsstücke nicht passend zusammengestellt oder inszeniert haben. Die dadurch gedrückte Stimmung am Set nehme Antonia sich aber nicht wirklich zu Herzen. Denn sie wisse, dass die Unzufriedenheit sich in dem Fall nicht gegen sie richte. Sie versuche aber, grundsätzlich zu verstehen, wo das Problem lag – und es, wenn möglich, zu beheben: „Das ist am Ende das, was einen richtigen daraus Beruf macht.“
Beitragsbild: Flaunter bei Unsplash