Interview: So versuchen 125 queere Menschen, die katholische Kirche zu ändern

Die katholische Kirche hat historische Tage hinter sich. Einerseits haben sich 125 queere Menschen im (ehemals) kirchlichen Dienst in der Initiative #OutinChurch geoutet. Andererseits gibt es neue Entwicklungen zu den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche. Wir haben mit Pfarrer Bernd Mönkebüscher aus Hamm gesprochen. Er ist Mitinitiator der #OutinChurch-Initiative und hat uns die Vorgänge in der katholischen Kirche erklärt.

KURT: In den vergangenen Tagen ist ja viel in der katholischen Kirche passiert. Und wahrscheinlich auch bei Ihnen persönlich. Wie haben sie denn die letzte Zeit erlebt?

Bernd Mönkebüscher: Es war turbulent. Es fing ja in der vergangenen Woche mit der Veröffentlichung des Münchener Gutachtens bezüglich der Missbrauchsverbrechen an. Wo wieder mal klar wurde, dass Kirche, die Amtsträger, die Bischöfe und die verantwortlichen Missbrauchsverbrecher gedeckt haben. Taten wurden vertuscht und kein Blick fiel auf die Opfer. Das erleben wir ähnlich bei queeren Menschen. Es wird zwar viel über, aber nicht mit den queeren Menschen geredet, die auch durch die kirchliche Lehre eine Diskriminierung erfahren haben.

KURT: Auch Sie sind Teil der #OutinChurch-Initiative. Worum geht es dabei?

Mönkebüscher: In der Initiative geht es darum, dass sich bislang 125 Menschen zusammengetan haben – eigentlich im letzten Jahr schon – die als queere Menschen in der Kirche arbeiten oder gearbeitet haben. Das war ein langer Prozess. Es geht um Menschen, die Zeit und Energie investieren und ganz viel Herzblut, aber sich trotzdem diskriminiert fühlen. Es geht sogar so weit, dass sie mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes rechnen müssen. Spätestens in dem Moment, in dem eine lesbische Gemeindereferentin ihre Freundin heiraten würde, ist sie ihren Beruf los.

Die Kirche bewertet so etwas als einen schweren Loyalitätsverstoß. Wir haben uns zusammengetan und gesagt: Das ist diskriminierend, das ist nicht der Glaube, der in uns wohnt und der dem Evangelium gemäß ist. Deshalb haben wir sieben Kernforderungen formuliert: Eine davon ist, das Arbeitsrecht zu verändern. Zum Zweiten aber auch, dass queere Menschen in der Kirche sichtbar werden und gleichgeschlechtliche Ehen eingehen dürfen.

Die Initiative #OutinChurch
Bei der Initiative #OutInChurch haben am Montag (24.01.2022) 125 queere Mitarbeiter*innen der katholischen Kirche ein Ende der Diskriminierung seitens der katholischen-römischen Kirche gefordert. Einige Personen sind schon länger nicht mehr bei der Kirche angestellt, da das offene Queer-sein als Kündigungsgrund gilt.

KURT: Wie sind Sie dazu gekommen, bei der Aktion mitzumachen, wie sind Sie darauf aufmerksam geworden?

Mönkebüscher: Im Grunde bin ich Mitinitiator. Auslöser war die #ActOut-Aktion, bei der 185 Schauspielerinnen und Schauspieler sich im Februar vergangenen Jahres geoutet haben. Wir haben uns dann gedacht, so was müsste es in der Kirche auch geben und mein Kollege Jens Ehebrecht-Zumsande und ich haben das dann in die Hand genommen.

Ich hab mich vor drei Jahren schon geoutet, damals allein. Jetzt ist es sicherlich noch mal einfacher, da so eine große Gruppe auch schützt: Man kann nicht so einzeln herausgepickt werden und ich bin sehr froh, dass jetzt 125 Menschen diesen Schritt gegangen sind und auch auf sich aufmerksam machen.

KURT: Was bedeutet es denn für Sie persönlich jetzt im Alltag offen mit Ihrer Sexualität umgehen zu können?

Mönkebüscher: Ich fühle mich freier. Vorher habe ich immer darauf geachtet: Wie bewegst du dich? Was sagst du? Wie sprichst du? Verrätst du dich auch nicht? Man muss dazu wissen, dass es in der Kirche eigentlich vonseiten des Vatikans eine Maßgabe gibt, dass Männer mit „tief sitzenden homosexuellen Tendenzen“ – so ist die offizielle Formulierung – nicht zum Priester geweiht werden dürfen, weil sie keine korrekte Beziehung zu Frauen oder Männern aufbauen können.

Die Begründung, die muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. In dem Moment, in dem sich Priester outen, setzen sie sich natürlich der Kritik aus und dürften das Amt streng genommen gar nicht ausüben. Nun bin ich nicht der einzige schwule Priester, es gibt ja auch Schätzungen von Experten, die sagen, es sind 20 bis 40 oder sogar 50 Prozent. Das ist, so glaube ich, auch den Bischöfen bekannt.

KURT: Welche Erfahrungen haben Sie genau mit dem Queer-sein in der katholischen Kirche gemacht haben? Gab es Unterschiede vor und nach dem Outing?

Mönkebüscher: Also in meinem Arbeitsverhältnis hat sich nichts verändert, aber in meiner Arbeit konkret schon. Mich hat es in meiner Arbeit freier gemacht, also ich habe dadurch ganz viele seelsorgliche Gespräche geführt. Menschen, die sich anvertrauen, die einfach von sich erzählen möchten. Die Transparenz, die durch das Outing und die Aktion offensichtlich bei mir wahrgenommen wurde, hat auch andere ermutigt, sich zu öffnen.

KURT: Gibt es etwas, das Sie queeren Menschen sagen möchten? Vielleicht besonders denjenigen, die gläubig sind?

Mönkebüscher: Das ist ja ein ganz breites Spektrum. Es gibt ja ganz viele queere Menschen, die sagen: „Bleibt mir mit der Kirche weg, denn sie nimmt mich nicht so an, wie ich bin.“ Das kann ich auch verstehen. Wir erleben ja große Austrittswellen aus den Kirchen und ich kann einfach nur sagen, wie ich persönlich meinen Glauben verstehe: Jeder Mensch ist so, wie er ist, von Gott geschaffen mit all den Farben und Facetten. Wo Menschen als Erwachsene sich in Liebe begegnen, in Partnerschaft füreinander Verantwortung übernehmen, da ist ganz viel vom Schöpferplan Gottes verwirklicht.

 

Ich finde es peinlich und völlig unverständlich, dass verantwortungstragende Bischöfe bis hin zum ehemaligen Papst Benedikt nur das zugeben, was sie gar nicht mehr abstreiten können.

 

KURT: Sie haben es zu Beginn selbst angesprochen: das Missbrauchsthema. Es gibt mittlerweile schon seit Jahren immer wieder Berichte, Debatten und Erkenntnisse zu Missbrauchsvorwürfen in der katholischen Kirche. Wie erleben Sie diese Zeit?

Mönkebüscher: Es ist schwierig. Ich finde, das Thema zieht sich unendlich lang hin – im Grunde ja seit 2010. Dann gab es vor drei oder vier Jahren eine Missbrauchsstudie, die ganz viele Dinge klar benannt hat, unter anderem systematische Ursachen. Ich finde es peinlich und völlig unverständlich, dass verantwortungstragende Bischöfe bis hin zum ehemaligen Papst Benedikt nur das zugeben, was sie gar nicht mehr abstreiten können.

Dass sie über Gutachten an ihre Verantwortung und an ihre Fehlentscheidungen erinnert werden müssen, das finde ich schwer auszuhalten. Das sind Menschen, die auf der anderen Seite doch Leuten bis ins Schlafzimmer hinein geredet haben. Also das passt alles nicht zusammen. Das finde ich nicht nur enttäuschend. Das lässt schon die Frage zu: Wie lange willst du in der Kirche arbeiten? Wie lange hältst du das aus? Wie lange willst du für die Kirche auch dein Gesicht hinhalten?

Das Gutachten von München
Das Missbrauchsgutachten von München wurde vergangene Woche veröffentlicht. Das Gutachten geht von mindestens 497 Betroffenen von sexualisierter Gewalt durch Kleriker und Angestellte der katholischen Kirche im Bereich der Erzdiözese München und Freising aus. Viele davon Kinder.

Dem emeritierten Papst Benedikt XVI. wird Fehlverhalten in vier Fällen während seiner Zeit als Erzbischof vorgeworfen. Dabei geht es unter anderem um einen Fall, bei dem ein Priester zur Erzbischofs Amtszeit von Benedikt XVI. – damals noch Kardinal Joseph Ratzinger – von NRW nach Bayern versetzt worden war. Der Priester hatte vielfach Jungen missbraucht.

KURT: Hat sich in Ihrem Glauben etwas mit den Erkenntnissen, die über die vergangenen Jahre und Tage veröffentlicht worden sind, verändert?

Mönkebüscher: Ja, klar, da verändert sich permanent etwas. Ich glaube, jeder steht heute als Glaubender in der Kirche vor der Herausforderung: Mit was für einem Kirchenbild bin ich unterwegs? Ist Kirche für mich ein Papst, Bischöfe, Priester? Oder ist Kirche für mich: Menschen versammeln sich, um miteinander Jesus zu feiern, in der Bibel zu lesen, das Brot zu empfangen, sich als segensreich zu erfahren?

Das ist ein massiver Unterschied und derzeit passt das nicht zusammen. Die Fragen kann nur jeder für sich beantworten. Die einen treten aus und sagen, die Kirche ändert sich erst, wenn sie spürt, das Geld fehlt. Die anderen sagen, ja, das kann sein, aber ich versuche durch meine Energie Kirche so zu leben, dass sie doch mehr dem Geist Jesu entspricht.

KURT: Haben sie selber schon mal darüber nachgedacht, aus der Kirche auszutreten?

Mönkebüscher: Ja, klar. Also ich meine, dann wäre ich meinen Beruf auch los. Ich finde das im Moment wirklich eine ganz schwierige Frage. In jeder Messfeier wird an prominenter Stelle für Papst und Bischöfe gebetet. Das fällt mir im Moment richtig schwer, weil ich denke: Mensch, in jeden Gottesdienst wird für diese Herren gebetet und genau die haben Missbrauchsverbrechen verharmlost, vertuscht  und verdeckt. Ich will jetzt nicht mit dem Zeigefinger auf jemanden zeigen. Aber es wäre doch ein starkes Zeichen, wenn wir stattdessen für die beten, die Leidtragende dieses Systems Kirche geworden sind und denen man unrecht getan hat.

 

Nicht wenige Experten und Expertinnen sagen, wir erleben im Moment einen Umbruch, der vielleicht sogar mit der Reformationszeit vergleichbar ist.

 

KURT: Wie kann oder muss sich die katholische Kirche verändern?

Mönkebüscher: Das ist natürlich ein Prozess. Also Kirche hat sich ja immer verändert, allerdings immer sehr, sehr langsam, weil es die Weltkirche ist. Die Kirche ist in erster Linie dem Evangelium verpflichtet und damit steht Kirche vor der Herausforderung, das Evangelium in der jeweiligen Zeit, in der wir leben, neu zu verstehen. Da gibt es Erkenntnisgewinne, da gibt es neue Sichtweisen, die sich weiterentwickeln. Und die bedürfen Gehör. Nicht wenige Experten und Expertinnen sagen, wir erleben im Moment einen Umbruch, der vielleicht sogar mit der Reformationszeit vergleichbar ist.

 

Beitragsbild: Robert Szkudlarek

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