Tag der Arbeiter*innen: Über die Geschichte des 1. Mai

Jedes Jahr finden am 1. Mai auf der ganzen Welt Kundgebungen und Demonstrationen von Gewerkschaften und linken Parteien statt. Nur wenige Menschen kennen den Ursprung des Tages. Kurt blickt zurück auf die bewegte Geschichte des 1. Mai.

Dass wir den 1. Mai heute als Tag der Arbeiter*innenbewegung kennen, ist auf den Kampf der Arbeiter*innen von Chicago zurückzuführen. Am 1. Mai 1886 legten 90.000 von ihnen die Arbeit nieder. Sie wollten erreichen, dass die Regierung die tägliche Arbeitszeit auf acht Stunden verringerte. Auch in den darauffolgenden Tagen streikten die Arbeiter*innen und versammelten sich zu Kundgebungen. Die Polizei ging gewaltsam dagegen vor und versuchte so, den Streik zu brechen. Bei einer Protestversammlung am 4. Mai gegen die Gewalt der Polizei explodierte eine Bombe, die mehrere Menschen tötete. Die Polizei schoss in die Menge. Kurz darauf stellte die Justiz acht Anarchisten vor Gericht. Zwar konnte ihnen das Gericht keine Schuld an der Explosion nachweisen, wollte aber ein Exempel an den Arbeiterführern statuieren. Vier der Männer wurden schließlich verurteilt und gehängt, weil sie angeblich mitschuldig an dem Attentat waren. Die Justiz konnte nie beweisen, dass sie darin verwickelt waren.

Vom Justiz-Skandal zum weltweiten Kampftag der Arbeiter*innenbewegung

Das Urteil empörte die weltweite Arbeiter*innenbewegung, erklärt Dr. Hartmut Simon, Archivar der Gewerkschaft Ver.di: „Der Gedanke der internationalen Solidarität war damals für die Arbeiterbewegung sehr wichtig.“ Auf dem Gründungskongress der zweiten sozialistischen Internationale, einem weltweiten Zusammenschluss von Arbeiter*innenparteien, bestimmten die Delegierten deshalb einen Tag, an dem weltweit Arbeiter*innen für ihre Rechte und ganz konkret für den Acht-Stunden-Tag demonstrieren sollten. Vertreter*innen aus den USA schlugen den 1. Mai als Datum vor – der Tag, an dem der Streik von Chicago begonnen hatte. Dass die Delegierten des Gründungskongresses diesen Vorschlag annahmen, hatte noch mehr Gründe, sagt Simon: „Der 1. Mai war als moving day in den USA der Tag, an dem Gewerkschaften und Arbeitgeber*innen neue Arbeitsbedingungen für die Arbeiter aushandelten.“ 1890 fanden das erste Mal auf der ganzen Welt Demonstrationen zum neuen „Kampftag der Arbeiterbewegung“ statt – auch in Deutschland.

In Uneinigkeit geeint: Der 1. Mai in Deutschland

Hier machte vor allem die SPD den 1. Mai zum „zentralen Termin der Arbeiterbewegung“, schildert Simon. Innerhalb der Bewegung gab es Meinungsverschiedenheiten darüber, wie die Aktionen zum 1. Mai aussehen sollten. Während viele Arbeiter*innen an diesem Tag die Arbeit niederlegen wollten, lehnte die Spitze der SPD eine allgemeine Arbeitsruhe ab. Deshalb unterschied sich der 1. Mai in der Kaiserzeit innerhalb Deutschlands: Während in einigen Städten die Arbeit konsequent ruhte, fanden anderswo Versammlungen erst nach Ende der Arbeit statt.

Das änderte sich nur teilweise mit dem Ende der Monarchie. Denn nach der Novemberrevolution 1918 machte der Reichstag den 1. Mai lediglich 1919 zum Feiertag. In den Jahren danach mussten die Arbeiter*innen an diesem Tag wieder arbeiten. Es fanden aber weiterhin jährliche Massenversammlungen statt. Der Tag blieb damit Anlass für Spannungen und gewalttätige Auseinandersetzungen – zwischen Arbeiter*innen und der Polizei, aber auch zwischen unterschiedlichen Teilen der Arbeiter*innenbewegung.

Als der Nationalsozialismus an die Macht kam, unterdrückte er die linke Arbeiter*innenbewegung. Im Mai 1933 machte er den 1. Mai per Gesetz zum arbeitsfreien „Tag der nationalen Arbeit“. So wollten er sich die Sympathien der Arbeiter*innenschaft sichern. Am nächsten Tag stürmten die Nazis jedoch die Gewerkschaftshäuser und zerschlugen die freien Gewerkschaften. In den Jahren danach zelebrierte das NS-Regime mit Maifeiern die angebliche Versöhnung von Arbeiter*innenschaft und Kapital. Im Untergrund und in den Konzentrationslagern feierten linke Arbeiter*innen, wo es ihnen möglich war, dagegen weiter den Kampftag der Arbeiter*innenbewegung.

Wiederbelebte Tradition: Der 1. Mai nach 1945

Nachdem der Nationalsozialismus 1945 zusammengebrochen war, riefen Gewerkschaften und linke Parteien wieder zu Demonstrationen auf. Der 1. Mai entwickelte sich im nun geteilten Deutschland allerdings sehr unterschiedlich. In der Bundesrepublik bestätigte der Alliierte Kontrollrat den 1. Mai als gesetzlichen Feiertag. In den folgenden Jahrzehnten nutzten Gewerkschaften und linke Parteien den „Tag der Arbeit“, um für ihre aktuellen Forderungen zu demonstrieren – zum Beispiel unter dem Slogan „Samstags gehört Vati mir“ für die Fünf-Tage-Arbeitswoche. Währenddessen entwickelte sich der Kampftag der Arbeiter*innenbewegung in der DDR zum Anlass für Militärparaden, mit denen der SED-Staat seine Macht und Wehrfähigkeit beweisen wollte.

Seit der Wiedervereinigung demonstrieren Gewerkschaften und linke Parteien am 1. Mai wieder gemeinsam in ganz Deutschland. Nach zwei Jahren corona-bedingter Pause rufen der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und andere Organisationen auch 2022 wieder zu Veranstaltungen auf. Der 1. Mai bleibt also auch in Zukunft der zentrale Termin der deutschen Arbeiter*innenbewegung.

Beitragsbild: Zeitgenössische Zeichnung von T. de Thulstrup nach Skizzen von H. Jeanneret. Hier online abrufbar.

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