Freiwillig verzichtet niemand: Warum die EU-Taxonomie das Klima nicht rettet

Gas und Atomkraft sollen nachhaltig sein? Der Aufschrei war groß, als die EU-Kommission diese Entscheidung bekanntgegeben hat. Doch die EU-Taxonomie, die das Geld von Anleger*innen in nachhaltige Firmen lenken soll, hat weitere Schwächen. Was sich ändern muss. 

Unverpackt-Läden, vegane Restaurants, Biosiegel auf Lebensmitteln im Supermarkt – Nachhaltigkeit verkauft sich gut. Viele Menschen ändern ihre Alltagsgewohnheiten, um einen kleinen Teil zum Schutz von Klima und Umwelt beizutragen. Gerade Studierende sind dazu bereit, wie eine Befragung von jungen Menschen in Deutschland des Bundesumweltamts vom Januar 2020 zeigt. Dass immer mehr Menschen für Nachhaltigkeit Geld ausgeben möchten, ist auch der Finanzwelt nicht entgangen. Unter anderem den Anbieter*innen von Aktienfonds.

Ein Aktienfonds ist eine Form der Geldanlage. Fondsanbieter*innen sammeln Geld von Kund*innen und investieren es in Aktien verschiedener Unternehmen. Wenn die Aktienkurse der Unternehmen steigen, profitieren die Kund*innen. Die Zahl der Aktienfonds, die damit werben, nachhaltig zu sein, ist in Deutschland in den letzten Jahren enorm gestiegen. Die Anbieter*innen versprechen nicht nur möglichst hohe Gewinne, sondern, das Geld ihrer Kund*innen ökologisch und sozial nachhaltig anzulegen. Sie werben zum Beispiel damit, die Arbeitsbedingungen von Mitarbeitenden und den CO2-Ausstoß von Firmen zu berücksichtigen, in die sie investieren. Etwas mehr als 100 vermeintlich nachhaltige Aktienfonds gab es in Deutschland 2010, im Oktober 2021 waren es 446. Das haben Forscher*innen der Organisation Finanzwende Recherche herausgefunden.

Das eigene Ersparte anlegen, damit Geld verdienen und etwas gegen den Klimawandel tun – hört sich sehr verlockend an für junge, nachhaltigkeitsbewusste Menschen. Einziger Haken: Die meisten Anbieter*innen, die ihre Fonds als “nachhaltig” bezeichnen, scheinen es bisher nicht besonders genau damit zu nehmen. ”Nachhaltige” Fonds in Deutschland investieren das Geld ihrer Kund*innen fast genauso wie Fonds, die nicht mit Nachhaltigkeit werben, kritisiert die Studie von Finanzwende Recherche. Viele Anbieter*innen scheinen also den Nachhaltigkeits-Hype ausnutzen zu wollen, ohne dafür tatsächlich ökologische oder soziale Aspekte zu beachten.

EU-Taxonomie soll Greenwashing verhindern

Das können auch Nachhaltigkeitssiegel für Aktienfonds nicht verhindern. Sie funktionieren ähnlich wie das Bio-Siegel bei Lebensmitteln. Verschiedene private Organisationen zeichnen die Fonds, die tatsächlich ökologisch und sozial investieren, damit aus. Aber auch Anbieter*innen von Fonds, die kein Nachhaltigkeitssiegel haben, dürfen damit werben, wie klimaschonend ihr Fonds angeblich ist. Für Kund*innen ist es nicht auf den ersten Blick nachvollziehbar, ob ein Fonds ihr Geld wirklich klimafreundlich anlegt oder nicht.

Das soll jetzt ein Ende haben. Ab 2023 soll die sogenannte EU-Taxonomie in Kraft treten. Das ist eine Verordnung, die ökologische Investitionen fördern und Greenwashing verhindern soll. Teil der Taxonomie ist eine Art Katalog, in dem die EU definiert, welche Wirtschaftstätigkeiten ökologisch sind. Er reicht von Aufforstung über die Herstellung von emissionsarmen Autos bis hin zu Forschung, die zur Klimaneutralität beiträgt. In Zukunft sollen Investmentfonds in der EU genau angeben, wie viel Prozent des Geldes, das sie investieren, in solche nachhaltigen Tätigkeiten fließt. So soll für Kund*innen auf den ersten Blick erkennbar sein, ob sie ihr Geld wirklich klimaverträglich anlegen.

Eine weitere Wirtschaftstätigkeit, die die EU unter bestimmten Auflagen als “nachhaltig” definiert, ist die Energiegewinnung aus Atomkraft und Gas. Der Aufschrei war groß, als die EU-Kommission diesen Beschluss bekannt gegeben hat. Klimaaktivist*innen in vielen europäischen Ländern sind auf die Straße gegangen, um dagegen zu protestieren. Die EU-Kommissare Österreichs und Luxemburgs wollen gegen die Einstufung von Kernkraft als „nachhaltig“ klagen.

Was dagegen spricht, dass Gas und Atomkraft nachhaltig sind, ist bekannt: Wie und wo der Atommüll entsorgt werden soll, ist noch immer unklar. Wie schlimm die Folgen von Reaktorunfällen sind, ist dagegen seit Jahrzehnten klar. Gas ist zwar im Vergleich zu Kohle und Öl die klimafreundlichere Variante, verursacht aktuell aber trotzdem rund ein Fünftel der jährlichen CO2-Emissionen weltweit. Das ist das Ergebnis einer Studie der Klimaforschungsorganisation Global Carbon Project.

Gas und Atomkraft sind nicht das einzige Problem

Dass Atomkraft und Gas entgegen den Fakten auf einmal nachhaltig sein sollen, ist nicht das einzige Problem mit der EU-Taxonomie. Leider spricht einiges dafür, dass die EU-Verordnung keinen großen Beitrag zum Klimaschutz leisten würde. Auch wenn die beiden umstrittenen Energieträger nicht als klimafreundlich gelten würden.

Die EU-Taxonomie soll das Geld von Anleger*innen gezielt in Firmen lenken, die nachhaltig sind. Das soll andere Unternehmen motivieren, ebenfalls ökologischer zu wirtschaften und von den Investments zu profitieren. Einziger Haken: Für mindestens 59 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen sind Staatskonzerne verantwortlich. Die meisten davon Öl-, Gas- oder Kohleunternehmen, die nicht in Europa ansässig sind. Das berichtet die 0000

Kohlekraftwerke in China, der saudi-arabische Ölkonzern Saudi Aramco oder die iranische National Iranian Oil Company – sie alle haben zwei Dinge gemeinsam: Sie zählen zu den größten Emittenten von CO2 weltweit. Und sie gehören jeweils ganz oder zum Großteil den Staaten, in denen sie produzieren. Diesen Konzernen kann es herzlich egal sein, ob Europäer*innen ihre Aktien kaufen oder nicht, weil sie weitgehend unabhängig davon sind, was im Aktiengeschäft passiert. Natürlich kann die EU nicht einfach so bestimmen, dass der CO2-Ausstoß dieser Staatskonzerne sinkt. Politiker*innen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten treffen sich aber jedes Jahr bei UN-Klimakonferenzen mit Vertreter*innen dieser Länder. Große Durchbrüche, was die Emissionen der staatlichen Energieunternehmen angeht, konnten sie dabei bisher nicht vorweisen.

Bleiben immer noch 41 Prozent aller Emissionen, die nicht von staatlichen Unternehmen stammen. Natürlich ist das ein großer Anteil. Ihn so weit wie möglich zu reduzieren, wäre ein wichtiger, wenn auch nicht ausreichender Schritt im Kampf gegen den Klimawandel.

Großteil investiert nicht nachhaltig

Aber werden durch die Taxonomie so viel mehr Menschen in klimafreundliche Unternehmen investieren? Die Zahl der Menschen, die in Deutschland ihr Geld in “nachhaltigen” Fonds anlegt, ist in den letzten Jahren gestiegen. Insgesamt sind die nachhaltigkeitsbewussten Anleger*innen aber immer noch in der Minderheit. Etwa 18 Prozent des gesamten Geldes, das in Aktienfonds fließt, investieren Anleger*innen laut der Studie von Finanzwende Recherche in vermeintlich nachhaltige Fonds. Im Umkehrschluss bedeutet das: Über 80 Prozent des Geldes, das Deutsche in Aktienfonds investieren, steckt in Fonds, deren Anbieter*innen nicht einmal so tun, als würden sie sich um Klima und Umwelt kümmern.

In ganz Europa sind es sogar knapp 90 Prozent des Geldes, rechnet die Finanzanalyse-Plattform Morningstar Direct vor. Die EU-Taxonomie verbietet es den Anbieter*innen von Fonds nicht, weiterhin klimaschädlich zu investieren. Sie müssen in Zukunft nur offenlegen, wie viel Prozent ihrer Investitionen laut Taxonomie nachhaltig sind. Wer sich bei der Geldanlage bisher also nicht um das Klima geschert hat, kann auch in Zukunft unökologisch investieren.

Denn so sehr Nachhaltigkeit momentan im Trend ist: Den meisten Menschen geht es verständlicherweise darum, aus ihrem Geld mehr zu machen, wenn sie es anlegen. Es ist nicht unmöglich, Nachhaltigkeit und Profit miteinander zu vereinen. Aber auch die Aktien vieler klimaschädlicher Firmen lohnen sich für Anleger*innen. Es ist ein bisschen, wie in den Urlaub zu fliegen oder plastikverpacktes Fleisch aus dem Kühlregal im Supermarkt zu kaufen: Jede*r weiß, dass es schlecht für Klima und Umwelt ist, aber solange es die günstigste Alternative ist, können oder wollen viele nicht darauf verzichten.

Zwischenüberschrift CO2 darf sich nicht mehr lohnen

Es sollte also nicht nur transparent sein, wie nachhaltig verschiedene Aktienfonds sind – die klimafreundlichsten sollten auch die sein, die sich für Kund*innen am meisten lohnen. Das schreibt auch der Europäische Rechnungshof, ein Kontrollorgan der EU, in einem Bericht aus dem September 2021. Die Autor*innen schlagen unter anderem einen höheren CO2-Preis für Unternehmen vor. Dadurch wären klimaschädliche Unternehmen weniger profitabel und stünden unter dem Druck, etwas zu ändern. Dann wären die Aktien dieser Unternehmen für Käufer*innen unattraktiver.

Was außerdem fast wie Ironie wirkt: Die EU erwartet von Bürger*innen, dass sie durch die Taxonomie freiwillig weniger in fossile Energie investieren. Die Regierungen ihrer Mitgliedsstaaten geben aber seit 2009 jährlich konstant um die 55 Milliarden Euro an Subventionen für klimaschädliche Energieträger aus, so der Europäische Rechnungshof. Das hilft Unternehmen, die ihr Geld mit fossiler Energie machen, enorm. Es sorgt außerdem dafür, dass sich die Aktien solcher Firmen weiter für private Anleger*innen lohnen.

Dass die ganze Welt auf einmal freiwillig anfängt, Geld nicht mehr klimaschädlich anzulegen, wäre zu viel erwartet. Das wird erst passieren, wenn sich solche Investments nicht mehr lohnen. Die Taxonomie ändert nichts daran, dass klimaschädliche Investments oft profitabel sind. Außerdem braucht es verbindliche internationale Abmachungen, damit auch Staatskonzerne ihren CO2-Ausstoß so schnell wie möglich reduzieren. Im Alleingang wird die EU nicht den großen Durchbruch im Kampf gegen den Klimawandel erreichen.

Beitragsbild: pixabay/catazul

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