Das Kopftuch als Staatsangelegenheit

Eine Lehrerin, Richterin oder Polizistin mit Kopftuch? Die Trennung von Religion und Staat ist eine immer wieder aufkommende Diskussion, bei der sich muslimische Frauen rechtfertigen müssen ein Kopftuch zu tragen. Auch in öffentlichen Schwimmbädern steht zur Debatte, ob Frauen sich bedecken dürfen. Geht es dabei tatsächlich um Neutralität des Staates oder ist das nur eine Ausrede? Ein Kommentar.

Muslimische Frauen werden immer wieder Objekt politischer Diskussionen. Neben Sexismus und Islamophobie müssen sie sich die Frage stellen, wo sie arbeiten oder gar schwimmen gehen können. So auch kürzlich in Frankreich. Dort sind Ganzkörperbadeanzüge, auch als Burkinis bekannt, in öffentlichen Schwimmbädern verboten. Die Stadt Grenoble wollte die jedoch erlauben. Der Versuch ist am Dienstag (21.06.22) im Staatsrat in Paris gescheitert. Somit bleiben Burkinis in öffentlichen Schwimmbädern verboten.

Kopfuchdebatte auch in Deutschland

Auch in Deutschland ist das Kopftuch immer wieder öffentliches Thema. Dabei richtet sich die Debatte klar gegen Muslimas: Doch anstelle Muslimas selbst diskutieren und entscheiden zu lassen, wie sie sich kleiden wollen, wird die Diskussion für sie geführt. Das hat sich 2019 in Koblenz gezeigt. Der Stadtrat setzte sich mit knapper Mehrheit dafür ein, Burkinis in öffentlichen Schwimmbädern zu verbieten. Die Begründung: Bademeister*innen müssten kontrollieren können, ob Badegäst*innen offene Wunden oder Hautausschläge hätten. Ganzkörper-Neoprenanzüge waren jedoch erlaubt. Nachdem eine Badegästin geklagt hatte, wurde das Verbot im selben Jahr wieder gekippt: Es verstoße gegen das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot. Dieser Fall zeigt klar die Doppelmoral, da Ganzkörperbadeanzüge nur dann verboten sind, wenn sie ein religiöses Zeichen sind. 

Hürden am Arbeitsplatz

Der Alltag von Muslimas wird jedoch nicht nur beim Schwimmen eingeschränkt. Im Sommer 2021 wurde von der Bundesregierung ein Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbildes von Beamt:innen.verabschiedet. Damit soll das Tragen religiöser Merkmale eingeschränkt oder verboten werden. Als Beispiel wird das muslimische Kopftuch, die jüdische Kippa oder das christliche Kreuz genannt. Begründet wird das mit der Neutralitätspflicht des Staates.

Auch Betriebe haben ein Anrecht auf Neutralität. So lautet ein Entscheid des europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 15. Juli 2021 zu religiösen Symbolen am Arbeitsplatz. Damit dürfen Arbeitgeber*innen „großflächige“ Zeichen von politischer oder religiöser Weltanschauung verbieten, um somit betriebliche Neutralität zu gewährleisten.

Es geht nicht wirklich um Neutralität

Das bietet eine Steilvorlage um kopftuchtragenden Muslimas eine Stelle zu verwehren, wenn sie ihr Kopftuch nicht ablegen. Doch hierbei geht es nicht um Neutralität. Die Entscheide ignorieren, dass Gesetze zum Nachteil von Minderheiten instrumentalisiert werden können. Und sie ignorieren, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der die antislamischen Straftaten steigen und alltägliche Diskriminierung zunimmt. Diese Entscheide übergehen die Lebensrealität von muslimischen Frauen, die ständig Erfahrungen damit machen müssen, dass sie in der Arbeitswelt diskriminiert werden und ihnen sogar Stellen verwehrt werden. Die Doppelmoral wird klar, wenn wir nicht das gleiche Maß bei anderen religiösen Zeichen anwenden.

In Bayern ist es zum Beispiel gesetzlich verpflichtend „gut sichtbar“ christliche Kreuze in Dienstgebäuden aufzuhängen (AGO §28). Klar, könnte jetzt argumentiert werden, dass das Christentum eine andere Stellung als der Islam in Bayern hat. Aber geht es dabei wirklich nur um Neutralität? Denn Christliche Kreuze werden nicht annähernd so stark diskutiert wie Kopftücher.

Das Kopftuch als persönliche Entscheidung

Wenn eine Muslima entscheidet sich zu bedecken, verliert sie keine Neutralität. Ein Kopftuch zu tragen, bedeutet nicht missionieren zu wollen oder stellvertretend für eine Weltreligion zu stehen, sondern ist eine unglaublich persönliche Entscheidung. Das Einschränken und Verbieten von religiösen Zeichen ist damit anmaßend. Dem Ganzen stehen auch zahlreiche Grundgesetze entgegen, die persönliche und religiöse Selbstbestimmung garantieren sollen. Darunter zum Beispiel das Recht auf Religionsfreiheit (Art.4 Abs.1 und 2 GG) und das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung (Art. 2 Abs.1 GG). 

Demnach wird diese Diskussion auf dem Rücken von diskriminierten Frauen geführt. Kopftuchtragende Frauen werden als Gegenpol zu Staatsneutralität dargestellt. Obwohl Deutschland viel größere Probleme mit rechter Ideologie in staatlichen Instanzen hat, die tatsächlich die Neutralität gefährden. Egal ob aktuell in Frankreich oder allgemein in der EU, solche gerichtlichen Entscheidungen bieten ein Instrument für Islamfeindlichkeit. Das Ziel war also nie Neutralität, denn die Debatte um das Kopftuch ist eine rassistische und keine juristische. 

Beitragsbild: Nada Hanifah by Unsplash

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