Am Sonntag findet einer der Höhepunkte des Kölner CSD statt: Die Demonstration zu Erinnerung an den ersten bekannten Aufstand queerer Menschen für ihre Rechte. Die Ereignisse werden jedoch überschattet. Ein Anschlag in Norwegen erinnert daran, dass Gewalt gegenüber queeren Menschen keinesfalls der Vergangenheit angehört und noch viel sichtbarer gemacht werden sollte.
Am heißesten Tag in Dortmund sitze ich mit einem meiner besten Freunde, Felix, auf meinem Fensterbrett. Wir rauchen ein paar Zigaretten und bräunen unsere Beine. Am Sonntag wollten wir zur Demonstration auf dem Christopher Street Day in Köln gehen. Es ist einer der größten CSD Veranstaltungen in ganz Deutschland. Für Felix, der offen bisexuell lebt, wäre es der erste CSD überhaupt. „Ich hab mich einfach nur extrem darauf gefreut. Jetzt dreht sich mir der Magen um.“ Ein möglicher Safe Space wird überschattet von einem Anschlag. Ich öffne auf meinem Handy die News und beginne zu scrollen. Es ist der Vorabend der CSD-Parade in Oslo. Ein 42-jähriger Mann schießt in einem beliebten queeren Nachtclub auf Menschen. Zwei Menschen sterben, mindestens 21 sind verletzt.
“Ich dachte mir so: Scheiße, das hätte ich sein können.”
Die Parade in Oslo wird von den Veranstalter*innen abgesagt. Inmitten des Pride Month ist das Zusammenkommen queerer Menschen zur Gefahr geworden. „Dabei ist es unglaublich wichtig, dass solche Safe Spaces existieren und man mit Leuten, die in einem ähnlichen Bott stecken, seine Existenz feiern darf, ohne das Gefühl zu haben, dass man sich irgendwie verstecken muss“, meint der 24-jährige Musikjournalist.
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Einen Safe-Space zu schaffen und gleichzeitig auch etwas zu verändern, ist auch die Intention des Kölner CSD. Auf der Website steht: „Unser Ziel bleibt die uneingeschränkte gesellschaftliche Anerkennung. Der ColognePride drückt aber auch Selbstbewusstsein und Lebensfreude aus. Dass wir gemeinsam auftreten und demonstrieren, macht den Erfolg, die Stärke sowie die politische und gesellschaftliche Wirkung des CSD aus.“
Was ist der CSD überhaupt?
Die Abkürzung CSD steht für Christopher Street Day. Dieser Tag soll an die Aufstände von queeren Menschen in der Christopher Street in New York erinnern. Immer wieder gab es in dem Stadtviertel Greenvich Village gewalttätige Razzien der Polizei. Ziel waren vor allem Kneipen mit überwiegenden queerem Publikum. Am 28. Juni 1969 wehrten sich in der Bar Stonewall Inn vor allem Drag-Queens und Transsexuelle gegen die gewaltsamen Kontrollen und lösten so tagelange Straßenschlachten mit der New Yorker Polizei aus. Dieser erste große Aufstand wird heute auch als Stonewall-Aufstand bezeichnet.
Die 26-jährige Sophia informiert auf ihrem Instagram @die_millenial neben anderen Themen wie Feminismus und mentale Gesundheit auch viel über Queerness. Auch sie ist selbst queer und erzählt, weswegen Events wie der CSD für Betroffene so wichtig sind: „Eigentlich alle queeren Menschen erfahren Diskriminierung und leben oder haben in Scham gelebt. Wenn man zum Beispiel so wie ich auf dem Land aufwächst, hat man oft das Gefühl, damit alleine zu sein. Solche Veranstaltungen verbinden und man erfährt Gemeinschaft.“ Dabei darf man aber die politische Komponente nicht vergessen:
“Es ist nicht nur eine Party, sondern ein Tag um auf Rechte und Gleichbehandlung aufmerksam zu machen. Und natürlich um an die Kämpfe im Jahr 1969 zu erinnern.“
Thema Queerfeindlichkeit
Aufgrund der aktuellen Ereignisse ist es für sie wichtig zu erwähnen: “Queerfeindlichkeit taucht nicht nur auf, wenn solche medienwirksame Ereignisse passieren. Das ist Alltag. Natürlich haben solche Taten eine symbolische Wirkung. Dafür gibt es auch einen Begriff: „Botschaftstaten.“
In Deutschland fehlen genaue Zahlen zu Anschlägen, die sich gegen queere Menschen richten. Das Bundesinnenministerium veröffentlicht Zahlen zu dieser Art von Kriminalität unter „Politisch motivierter Kriminalität“ unterteilt in mehrere Kategorien. Dabei unterscheidet es zwischen Gewalt gegen „sexuelle Orientierung“ und gegen „Geschlecht/sexuelle Identität“ Letztere Kategorie gibt es erst seit 2020, zuvor wurde jegliche Gewalt gegen queere Menschen in die erste Kategorie gepackt. Und das obwohl, Transgeschlechtlichkeit/ Transsexualität nichts mit der sexuellen Orientierung zu tun hat. Die Vielschichtigkeit der Thematik geht an den Innenministerien von Bund und Ländern vorbei.
Für das Jahr 2021 wurde auf Anfrage der Grünen folgende Zahlen veröffentlicht: 870 Fälle werden dem Bereich „sexuelle Orientierung“ zugeordnet, 164 davon sind Gewaltdelikte. Der Kategorie „Geschlecht/sexuelle Identität“ wurden 340 Fälle zugeordnet, davon 57 als Gewalttaten.
Auch Felix berichtet, dass ihm schon eklige Dinge hinterhergerufen wurden: „Dumm angeguckt wird man immer, aber da muss man drüber stehen. Dennoch bin ich jedes Mal angespannt, wenn ich mit einem nicht 100% heteronormativen Outfit unterwegs bin. Da bereite ich mich mental schon immer darauf vor, dass jeden Moment etwas passieren könnte.“ Körperliche Gewalt aufgrund seiner Identität musste er zum Glück noch nie erfahren. “Im Gegensatz zu vielen meiner Freund*innen aber,” meint er.
Sophia befindet sich im Moment in einer heteronormativen Beziehung. „Dadurch und als weiße cis-Frau bin ich immer noch wahnsinnig privilegiert, deswegen kann ich natürlich nicht für eine ganze Gruppe sprechen. Ich bin oft nach außen hin nicht als queer erkennbar und deswegen nicht von Diskriminierung betroffen. Das trifft trans-Personen und sichtlich queere Paare anders.“
Im Mai 2020 veröffentlichte die EU-Grundrechtsagentur (FRA) die zweite große „dLGBTI-Survey“, eine Onlineumfrage unter queeren Menschen. Knapp 140.000 Menschen aus 30 Ländern beteiligten sich daran. Damit ist sie die größte internationale Umfrage unter queeren Menschen. Aus Deutschland nahmen 16.119 Menschen an der Umfrage teil. Aus der Umfrage ergibt sich, dass nur 13 % der von Hasskriminalität Betroffenen nach einem Angriff zur Polizei gehen. Die meisten geben als Grund an, dass sie weder glaubten, dass es was bringen würde, noch dass der Angriff wirklich „schlimm genug“ war, um ihn anzuzeigen. Der Lesben und Schwulenverband (LSVD) fordert deshalb, dass Behörden verstärkt mit queeren Organisationen zusammenarbeiten sollen.
Was tun bei Diskriminierung?
Das Gleichstellungsbüro der TU Dortmund hat zum Beispiel einen Flyer zusammengestellt, mit Angeboten und Räumen, die queere Menschen in Dortmund nutzen können. Aber auch nicht- queere Menschen können ihren Beitrag dazu leisten, um einen Safe-Space zu kreieren. „Das fängt allein schon damit an, dass man einfach mal sein Maul aufmacht, wenn homophobe Beleidigungen fallen. Mit einer Regenbogenfahne herumwedeln reicht nicht“, fordert Felix. Als nicht- queere Person auf den CSD zu gehen, finden Sophia und Felix okay. „Aber den Titel als Ally muss man sich trotzdem verdienen, indem man sich auch für die Rechte von queeren Menschen einsetzt“, meint Felix. Zurücknehmen, aber sich trotzdem solidarisch zeigen, sei eine gute Kombination, findet auch Sophia.
Problematischer sieht die Studentin, dass einige Firmen den CSD für Kommerz ausnutzen. „Firmen wie Disney verkaufen Pride-Produkte, aber verhindern aktiv, dass queere Stories in ihren Filmen auftauchen. Da wird die eigentliche Bedeutung, die hinter der Bewegung steht, nur ausgehöhlt.“ Konkret zu diesem Thema hat sie auch ein Reel auf ihrem Instagram veröffentlicht.
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Auch 50 Jahre nach den Protesten in der Christopher Street führen queere Menschen noch Kämpfe für Anerkennung und Gleichbehandlung. Die CSD Paraden und die Veranstaltungen darum herum sind ein wichtiger Teil dieses Kampfes. Trotz Angst und Sorge vor möglichen Anschlägen oder Angriffen lassen ihn sich die Menschen nicht nehmen. „Es ist eine Illusion zu glauben, dass so ein Anschlag nicht genauso auch in Deutschland passieren könnte. Ich denke trotzdem, dass ich mich am Sonntag gut aufgehoben fühlen werde“, sagt Felix. Es ist und bleibt eine Veranstaltung für Zusammenhalt und Gemeinschaft.
Beitragsbild: pexels, Fotograf: Mac Destroir