Hab‘ ich nur Glück gehabt?

Die Klausur ist gut gelaufen? Glück gehabt. Waren halt die richtigen Fragen. Im Referat schon wieder eine Eins? Naja, die Dozentin mag euch. Manche Menschen verbinden ihren Erfolg nie mit ihrem Können. Dr. Mona Leonhardt forscht seit Jahren zum Impostor-Selbstkonzept, bei dem sich Betroffene unberechtigterweise als Betrüger*innen fühlen.

Was ist das Impostor-Selbstkonzept?

Bei dem Impostor-Selbstkonzept handelt es sich um leistungsbezogene Selbstzweifel. Personen, die objektiv erfolgreich sind, sind der Überzeugung, dass ihre Erfolge nicht auf ihren tatsächlichen Fähigkeiten beruhen. Sie führen ihre Erfolge auf andere Umstände zurück, zum Beispiel Glück, Zufall oder besonders intensive Vorbereitung. Daher führt der Erfolg zu einem subjektiven Betrugsempfinden und sie haben Sorge, dass ihr vermeintlicher Betrug vor ihrem Umfeld auffliegen könnte. Dieses Betrugsempfinden und das Gefühl, andere über die eigenen Fähigkeiten zu täuschen, unterscheidet das Impostor-Selbstkonzept von anderen Konzepten wie Bescheidenheit oder einer hohen Ängstlichkeit. 

Wer ist häufig betroffen vom Impostor-Selbstkonzept?

Das Impostor-Selbstkonzept ist sehr weit verbreitet. In nationalen und internationalen Studien spricht man von bis zu 50 Prozent. Das Konzept kann in unterschiedlichen Stärken auftreten. Die 50 Prozent müssen also nicht stark betroffen sein, aber sie kennen zumindest Impostor-Gefühle. Zudem zeigt sich immer wieder in Studien, dass das Konzept eher in westlichen, leistungsorientierten Gesellschaften verbreitet ist.

Gibt es geschlechterspezifische Unterschiede?

Unterschiede zwischen Geschlechtern konnten nicht ausgemacht werden. Die ersten Forschungen dazu gab es 1978. Clance und Imes, zwei Psychologinnen, haben das Impostor-Selbstkonzept in ihrer therapeutischen Arbeit mit Frauen entdeckt. Sie nahmen an, dass es ein eher weibliches Phänomen ist.

Das hat sich so nicht bestätigen lassen. Es gibt eine Reihe von Studien, die zeigen, dass Frauen stärker betroffen sind. Es gibt aber auch Studien, die zeigen, dass Männer stärker betroffen sind oder überwiegend, dass es keine Unterschiede gibt. Der Konsens ist, dass sich keine Geschlechterunterschiede zeigen. Ein Ansatz, den wir im Moment verfolgen, ist, dass die soziale Geschlechterrollen-Orientierung eine Rolle spielen könnte. Hier hängen eher weiblich assoziierte Erlebensmuster stärker mit dem Impostor-Selbstkonzept zusammen.

Stellt die Frauenquote das Risiko dar, dass Frauen in Führungspositionen verstärkt betroffen sind?

Das ist ein wichtiger Punkt, der jedoch nicht gegen die Frauenquote spricht, sondern für einen achtsamen Umgang damit. Für eine Frau mit Impostor-Selbstkonzept liefert die Frauenquote die naheliegendste Erklärung, dass sie die Stelle nicht aufgrund ihrer Fähigkeiten und Kompetenzen hat, sondern weil sie eine Frau ist. Da gilt es, hinzuhören. Denn dann kann man gezielt gegensteuern, um eine realistische Einschätzung der eigenen Leistung zu fördern, damit genau das nicht passiert.

Mal abseits des Berufslebens, äußert sich das Impostor-Selbstkonzept auch im Privatleben?

Erfolge nicht auf die eigenen Fähigkeiten zurückzuführen, ist etwas, was stark im beruflichen Kontext verhaftet ist. Also in einem sehr leistungsbezogenen Setting. Das Privatleben, Elternschaft und Beziehung sind nicht so sehr auf einer Leistungsebene messbar. Es ist dennoch sehr wahrscheinlich, dass solche Personen auch in ihrem Privatleben einen sehr hohen Anspruch an sich selbst haben und auch hier das Gefühl haben, dass ihre Erfolge, z.B. eine als besonders gut bewertete Work-Life-Balance oder die elterliche Kompetenz, von anderen überschätzt werden.

Dr. Mona Leonhardt forscht seit Jahren zum Imposter-Selbstkonzept an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Foto: Tim Wegner

Ich bin in meiner Vorbereitung oft den Schlagwörtern Perfektionismus und Prokrastination begegnet. Was hat es damit auf sich? 

Wenn eine Person mit Impostor-Phänomen auf eine Herausforderung oder leistungsbezogene Situation stößt, entsteht eine sehr große Angst, zu scheitern. Ihre Sorge ist, dass dieses Scheitern für ihr Umfeld offensichtlich wird. Dagegen gibt es zwei Strategien. Die eine ist Perfektionismus. Die Person bereitet sich übergründlich auf die Aufgabe vor. Sie spielt jede Frage bis ins allerletzte Detail durch. Das andere Extrem ist, dass die Person die Aufgabe bis zuletzt aufschiebt, und zwar genauso lange, dass sie es gerade noch schaffen kann, sich vorzubereiten.

Personen mit Impostor-Phänomen haben meistens Erfolg, denn es handelt sich überwiegend um sehr leistungsfähige Personen. Im Fall der perfektionistischen Herangehensweise führen die Personen ihren Erfolg auf ihre übergründliche Vorbereitung zurück. Sie sagen z.B.: „Ich bin nicht so erfolgreich gewesen, weil ich so kompetent gewesen bin, sondern ich habe mich einfach sehr gut vorbereitet.“

Im Fall der prokrastinierenden Verhaltensweise ist es so, dass die Personen beispielsweise sagen: „Bei der kurzen Vorbereitungszeit war das reines Glück. Das waren wirklich die richtigen Fragen und ich habe mich gut herausreden können.“

Welche Folgen hat das dann?

Mit Erfolg sind viele positive Merkmale verbunden, zum Beispiel eine Steigerung des Selbstwerts. Das bleibt beim Impostor-Selbstkonzept aus. Bei der nächsten Aufgabe gibt es wieder als erste Reaktion diese große Besorgnis, zu scheitern. Das ist ein selbstverstärkender Kreislauf. Um das mit einer Karriereleiter zu vergleichen: Je höher man klettert, desto tiefer kann man fallen. Die Erwartungen des Umfelds werden in der Regel größer und damit steigt auch die Besorgnis eines vermeintlichen Auffliegens.

Spielen Kindheit und Erziehung eine Rolle als Auslöser?

Ja, davon kann man ausgehen. Eine mögliche Erklärung: Es gibt Familien, in denen eine starke Leistungsorientierung herrscht. Das Impostor-Phänomen tritt sehr verstärkt auf, wenn bei einem Kind das Empfinden entsteht, dass es vor allem wegen seiner Leistung, aber nicht wegen seiner selbst willen geliebt wird.

Ein anderer verstärkender Effekt kann sein, wenn in der Familie bestimmte Rollenzuschreibungen sehr stark kommuniziert werden und beispielsweise das eine Kind in der Familie als das intelligente Kind gilt, während dem anderen Kind vermittelt wird, es sei vor allem ein einfühlsames, niedliches Kind. Wenn zweiteres Erfolge verzeichnet, wird sich diese Person auch im Erwachsenenalter wahrscheilich weniger als intelligent beschreiben, sondern die Zuschreibung der Eltern übernehmen (z.B. „Ich bin eben sehr charmant.“).

Neben diesen familiären Bedingungen gibt es Persönlichkeitsmerkmale, die für die Entstehung eines Impostor-Selbstkonzeptes besonders anfällig machen. Hierzu zählt beispielsweise ein geringerer Selbstwert. Es ist also ein Zusammenspiel aus Anlage und Umweltfaktoren.

Kann man das Impostor-Selbstkonzept therapieren oder der Ausbildung entgegenwirken?

Allein das Wissen um das Phänomen hilft Betroffenen enorm, denn dadurch können sie das Impostor-Selbstkonzept einordnen. Es hilft sehr, wenn sie dieser Wahrnehmung einen Namen geben können und wissen, dass es anderen auch so geht. Der nächste Schritt wäre Unterstützung von außen. Hier sind zunächst Trainings und Coachings gemeint. Das ist auch im beruflichen Umfeld die übliche Maßnahme.

Die letzte Option wäre eine psychotherapeutische Maßnahme. Sie ist angebracht, wenn die Auswirkungen sehr gravierend sind. Welche Maßnahme angemessen ist, hängt vor allem vom Leidensdruck der Betroffenen ab.

Nun haben sich viele Prominente wie Emma Watson oder Taylor Swift zum Impostor-Selbstkonzept bekannt. Hilft das Betroffenen?

Es hilft, dass das Impostor-Selbstkonzept dadurch sichtbar wird. Wenn es Prominente betrifft, kann man darüber schmunzeln: „Also, wenn die das haben, dann kann ich das natürlich auch haben.“ Natürlich würde es auch helfen, wenn Führungskräfte und Vorgesetzte transparenter mit dem Impostor-Selbstkonzept umgehen, sowohl im Hinblick auf mögliche eigene Impostor-Gefühle oder auch, wenn sie Symptome bei Arbeitnehmenden bemerken.

Haben Sie Tipps, wie ich dem Impostor-Phänomen vorbeugen kann?

Es lohnt sich, sich mit seinen Erfolgen auseinanderzusetzen – sich zu überlegen: „Was habe ich dazu beigetragen, dass ich diese Note bei der Prüfung erhalten habe?“ Möglicherweise ist ein kleiner Anteil Glück gewesen, aber was ist da noch? Relativ einfach ist es, ein Erfolgstagebuch zu führen. Die eigenen Leistungen festzuhalten und in Bezug zu setzen zu den eigenen Fähigkeiten.

Es hilft, eine eigene Fehlerkultur zu entwickeln. Wenn etwas nicht geklappt hat, sollte dies nicht die gesamten Fähigkeiten oder sogar die Existenzberechtigung der Person infrage stellen. Ich habe einfach eine Arbeit in den Sand gesetzt oder einen Vortrag vermasselt – meistens überstrahlt hier sogar ein einziger Fehler auf einer Folie oder eine Frage, die nicht entsprechend der eigenen Anspruchshaltung beantwortet werden konnte, die gesamte Leistung. Dies realistischer einzuordnen ist ein wichtiger Ansatz. Auch hilft ein veränderter Umgang mit Anerkennung. Wenn jemand sagt: „Das hast du gut gemacht.“ kann ein einfaches „Danke“ helfen, das Lob zu internalisieren, anstatt bespielsweise das Lob zu relativieren oder kleinzureden.

 

Beitragsbild: Brigitte Werner/Pixabay

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