SciFi im Gewächshaus: Verändern wir erst die Umwelt, dann die Gene?

Vertical Farming soll die Landwirtschaft revolutionieren und die Welternährung sichern. Zwei Biologen aus Karlsruhe und Witten glauben, dass es dazu mehr braucht. Was das für die Landwirtschaft bedeutet und ob Gentechnik eine Rolle spielen wird, bewerten beide unterschiedlich.

Schon heute leidet jeder zehnte Mensch auf der Welt an Hunger. Laut den Vereinten Nationen (UN) soll die Bevölkerung in den nächsten 30 Jahren um fast zwei Milliarden Menschen wachsen. Außerdem ist etwa ein Sechstel der Böden weltweit von Erosion betroffen. Laut der Online-Plattform Our World in Data könnten die Böden dadurch in weniger als 100 Jahren unfruchtbar werden. Das könnte die Welternährung bedrohen.

Neue Methoden der Landwirtschaft

Vertical Farming gilt zuweilen als Lösung der Nahrungsmittelknappheit von morgen. Verbesserte LED-Technik macht die Anzuchtmethode ökonomisch. Trotzdem lohnt sich die Technik momentan nur, um Pflanzen anzubauen, die wertvolle Inhaltsstoffe produzieren. Spinat zum Beispiel enthält das Spurenelement Eisen, Brokkoli wichtiges Jod. Auch für medizinische Heilpflanzen ist Vertical Farming interessant.

Bei dieser Methode passen Wissenschaftler*innen die Umwelt an die Pflanze an. Dadurch können sie das Wachstum der Pflanze unabhängig vom Standort optimieren. Aber die biologischen Stoffwechselwege haben natürliche Grenzen. Müsste also in Zukunft nicht nur die Umwelt, sondern auch die Pflanze selbst mittels Gentechnik optimiert werden?

Golden Rice: ein Vorzeigeprojekt der Grünen Gentechnik

Prof. Peter Nick
Prof. Peter Nick. Foto: Maren Riemann

Professor Peter Nick, Molekularbiologe und Leiter des Botanischen Instituts am Karlsruher Institut für Technologie hat die Anfänge einer besonders prominenten, gentechnisch veränderten Pflanze miterlebt: des Golden Rice. In einem Nachbar-Labor in Freiburg haben Wissenschaftler im Jahr 2000 Reispflanzen so manipuliert, dass im Reiskorn ß-Carotin gebildet wurde. Das kann der menschliche Körper zu Vitamin A umwandeln. Die Wissenschaftler wollten damit den Vitamin A-Mangel in Südostasien bekämpfen.

Die ersten Versuche hat die Forschergruppe mit Tomatenpflanzen gemacht. „Die Tomaten waren knallrot, das war super. Aber die Pflanzen waren zwergwüchsig“, erinnert sich Nick. Auch deshalb sieht er es skeptisch, wenn sich gentechnische Verfahren im Vertical Farming etablieren. „Mit gentechnischen Methoden verändern Sie, wie Stoffe in der Pflanze fließen. Während ein Teil des Stoffwechsels angeregt wird, wird ein anderer Teil vernachlässigt. Wie bei einem Fluss: Wenn man einen Arm staut, trocknet ein anderer Arm aus.“

Auf den richtigen Reiz kommt es an

Nick und seine Arbeitsgruppe gehen andere Wege. Sie manipulieren nicht die genetische Information der Pflanze selbst, sondern die Umweltreize. In ihrem Labor reizen sie Arnikapflanzen mithilfe von Schwerkraft. Dadurch bildet sich Helenanin – der entzündungshemmende und damit wertvolle Inhaltsstoff der Pflanze.

Gentechnische Veränderungen aus der klassischen Landwirtschaft kämen im Vertical Farming sowieso nicht zum Tragen, sagt Nick. In der konventionellen Landwirtschaft würden Pflanzen zum Beispiel genetisch an Herbizide angepasst. So würden sie Resistenzen gegen Unkrautvernichter entwickeln, die sonst den eigenen Stoffwechsel stören würden. In Vertical-Farming-Systemen herrschen aber hygienische Zustände, das System ist geschlossen. So können keine Unkräuter und Insekten in die Nähe der Nutzpflanzen geraten.

“Die Schwierigkeit ist nicht, den Gene-Edit zu machen, die Schwierigkeit ist das Zulassungsverfahren”

Dr. Stefan Hey
Dr. Stefan Hey. Foto: vGreens

Gesetzliche Rahmenbedingungen in der Europäischen Union machen die Zulassung genetisch veränderter Pflanzen kompliziert. Das weiß auch Biologe Stefan Hey. Zusammen mit drei Kollegen hat er das Vertical-Farming-Start Up vGreens gegründet. Hey ist als „Chief Gardening Officer“ für die Pflanzen verantwortlich. Er kann die pauschale Ablehnung Grüner Gentechnik nicht nachvollziehen. „Es ist eher akzeptiert, wenn ich, wie bei der klassischen Züchtung, einen Sack Saatgut mit radioaktiver Strahlung mutagenisiere (Anmerkung der Redaktion: Mutationen einfüge) und mich überraschen lasse, welche neuen Eigenschaften dabei entstehen, als wenn ich gezielt mit der Genschere pflanzliche Eigenschaften verändere.“

Diese Mutationen entstehen durch einen Bereich der klassischen Züchtung, die Mutagenese. Dabei behandeln Wissenschaftler*innen Saatgut mit Strahlung oder Chemikalien. Die Gene mutieren zufällig. Pflanzen, die durch diese Mutagenese entstehen, fallen in der EU unter eine Ausnahme. Sie müssen nicht gesondert geprüft oder gekennzeichnet werden. Anders als Pflanzen, die durch gezielte Mutagenese mithilfe der Genschere entstehen. Diese gelten seit einem Beschluss des Europäischen Gerichtshof im Jahr 2018 als genetisch veränderte Organismen und unterliegen speziellen Zulassungsverfahren.

Infobox:
Die Genschere CRISPR/Cas ist Bestandteil des Immunsystems vieler Bakterien. Sie schützen sich vor angreifenden Viren, indem sie gezielt Sequenzen im viralen Erbgut erkennen und durchtrennen. Für die Entdeckung von CRISPR/Cas haben die Biologinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna 2020 den Nobelpreis bekommen. Mit Hilfe der Genschere können Wissenschaftler*innen in einem Genom punktgenau Veränderungen vornehmen. So können sie die Gentechnik, die sie anwenden, präzise bewerten.

2019 konnten Forscher*innen mittels Grüner Gentechnik drei bakterielle Stoffwechselwege in Tabak einbringen. Dadurch produzierten die Pflanzen bis zu 24 Prozent mehr Biomasse durch verbesserte Photosyntheseeffizienz  als die nicht modifizierten Wildtypen. „Da können sich keine Resistenzen bilden. Effizientere Photosynthese – wie kann man dazu nein sagen?“, sagt Hey.

Wie es (vielleicht) weiter geht

Sowohl Hey als auch Molekularbiologe Nick sind sich sicher, dass Vertical Farming in Zukunft eine maßgebliche Rolle spielen wird. Das größere Verbesserungspotenzial sieht Hey momentan noch bei technischen Aspekten. Energiekosten machten 70 bis 80 Prozent der Kosten des Start-Ups aus. Sattmachende Grundnahrungsmittel wie Reis, Mais oder Weizen werden auch in den nächsten Jahrzehnten wohl nicht aus Vertical Farms kommen. Der erzielte Preis kann die Kosten nicht decken. Während diese Zukunftstechnologie in urbanisierten Regionen betrieben werden könne, müsse sich die konventionelle Landwirtschaft laut Nick dem Klimawandel stellen.

„Wir brauchen vor allem Kulturpflanzen, die stressresilient sind, wenn der Meeresspiegel ansteigt oder die Böden trocken sind“, sagt Nick. Biodiversität könne dabei helfen. „Oft haben alte Landrassen oder verwandte wilde Rassen noch diese Resilienz-Gene, die der Mensch ihnen weggezüchtet hat. Das heißt, wir brauchen innovative Methoden, aber auch Veränderungen von Pflanzen durch Züchtung.“ Ob diese Züchtung irgendwann auf moderne Methoden wie die Genschere zurückgreifen wird, bleibt abzuwarten.

 

Beitragsbild: Prof. Peter Nick

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