Wer zweimal trifft, der trifft den dritten Wurf auch! Viele Basketball-Spieler und-Fans glauben, dass ein Spieler heiß laufen kann. Er hat eine „Hot Hand“ und ist nicht zu stoppen? Aber was genau ist das „Hot-Hand“-Phänomen?
Maxi Kleber steht schulterbreit in der rechten Ecke hinter der Dreierlinie. Bei noch 3:47 Minuten auf der Uhr im 4. Viertel landet der Ball in seinen Händen. Lehrbuchmäßig klappt das Handgelenk ab und – Swwissshh. Die Halle explodiert, alle Arme fliegen in die Höhe. Und auch der Kommentator kann sich nicht mehr kontrollieren: “He‘s cooking tonight!”
Maxi Klebers Team, die Dallas Mavericks, gehen dadurch im zweiten Spiel der ersten NBA-Playoff-Runde gegen die Utah Jazz in Führung. Die Jazz nehmen erstmal eine Auszeit, um Klebers Rhythmus zu stoppen, denn: Er ist “heiß”! Acht von elf Dreiern versenkt er in diesem für ihn denkwürdigen Spiel, dass die Mavs mit 110:102 gewinnen.
In solchen Fällen wird im Basketball vom „Hot Hand“-Phänomen gesprochen. Wenn jemand mehrere Würfe hintereinander trifft, steigt die Erwartungshaltung, dass auch der nächste Wurf durch die Reuse geht. Der Spieler „fängt Feuer“ und die einhellige Meinung lautet, dass er nun möglichst schnell wieder den Ball bekommen muss – er kann ja angeblich nicht daneben werfen.
“Hot Hand” ist nicht eindeutig definierbar
Dieses Phänomen wurde bereits in etlichen wissenschaftlichen Studien untersucht und teilweise nachgewiesen. Dabei gibt es aber verschiedene Definitionen der „Hot Hand“. Unter aktiven Basketballer wird es meist als Erwartungshaltung verstanden, dass der nächste Wurf sitzt. Viele aktive Basketballer schwören darauf, dass dieses Phänomen real ist.
Bevor die Suche nach der „Hot Hand“ beginnt, bedarf es einem Blick in die Mathematik: Je öfter ein Spieler trifft, desto niedriger wird – nach Wahrscheinlichkeitstheorie – die Chance, dass der nächste Wurf sitzt. Hebelt die „Hot Hand“ also die Mathematik aus? „Das Konstrukt ist einfach unfassbar schwer zu erfassen“, holt Sportpsychologe Sebastian Altfeld aus: „Es gibt nicht nur die statistische Ebene, sondern viele Variablen: Zum Beispiel Gegner und Fans.“
Doch wie sieht es in der Praxis, genauer gesagt in den NBA-Playoffs 2022 aus?
Beispiel 1: Maxi Kleber als Dreierspezialist
Wie bereits beschrieben, bot der deutsche NBA-Spieler Maxi Kleber fantastische Leistungen in den Playoffs – gerade von der Dreierlinie. Er kam mit seinen Dallas Mavericks bis in die Western Conference Finals und erzielte im Schnitt 8,7 Punkte in 18 Spielen.
Die Grafik zeigt, dass der erste Wurf nach einem Treffer von Kleber entscheidend ist: Diesen trifft er nur zu unter 40 Prozent. Wenn er aber trifft, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit auf einen dritten und sogar vierten Treffer enorm. Beweist das den „Hot Hand“-Mythos? Zu bedenken gilt es bei Kleber, dass er viele positive Wurf-Faktoren vereint: Er bekommt den Ball meist von Luka Doncic, einem der besten Passgeber der Welt, punktgenau serviert.
Zudem half Klebers Verteidiger oft aus, sodass er völlig frei war. “Durch die kreierten Situationen war sein Wurf meist frei und so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass es ein Trainingswurf ist. Es ist ja nicht so, dass er grundsätzlich gegen jede Mannschaft so wirft“, nimmt auch Sebastian Altfeld, selbst Basketballer, die Störvariablen mit ins Visier. Es wird deutlich, dass die „Hot Hand“ in Ansätzen zu erkennen ist. Die Umstände aber immer berücksichtigt werden müssen.
Beispiel 2: Doncic ist “heiß” – auf eine andere Art
Der Slowene Luka Doncic ist ein Mitspieler von Maxi Kleber und der Superstar der Dallas Mavericks. Er punktet, rebounded und zieht alle Aufmerksamkeit auf sich.
Die Grafik zeigt, dass Doncic auch regelmäßig daneben wirft. Meistens hat er aber trotzdem einen positiven Einfluss auf sein Team, wie beispielsweise im 4. Spiel gegen die Phoenix Suns. Doncic traf nur neun seiner 25 Würfe (1/10 Dreier). Trotzdem gewann Dallas das Spiel 111:101. Wenn man unter der “Hot Hand” versteht, dass ein Spieler ein Spiel an sich zieht, ist dies hier der Fall. Auch gegen die Utah Jazz scorten die Mavericks mehr als der Gegner, wenn Doncic auf dem Parkett stand.
Interessant ist ebenfalls ein Blick auf das entscheidende 7. Spiel in der Phoenix-Serie: Die Mavericks demontierten ihren Gegner in dessen Halle mit 123:90 Punkten. Alle Dallas-Korbjäger performten in diesem Spiel über und liefen “heiß”- Phoenix performte dagegen unter dem Normal-Niveau. Mit Doncic auf dem Feld war Dallas um 37 Punkte stärker als die Suns; in der Zeit mit Reggie Bullock auf dem Parkett gar um 44 Punkte . In diesem Spiel hatte also wahrscheinlich ein ganzes Team eine “Hot Hand” und perfomte weit über!
Beispiel 3: Chris Paul – Der “King of the fourth”
Chris Paul ist ein alter Hase in der NBA und hat sich in seinen 17 Saisons den Namen „Point God“ erarbeitet. Neben seinen Spielmacher-Fähigkeiten gilt er auch als besonders nervenstark im letzten Viertel. Oft sorgt er am Ende eines Spiels mit etlichen Würfen aus der Mitteldistanz für einen Sieg seines Teams.
Beim ersten Blick auf den Graphen wird deutlich: Chris Paul ist im Schlussabschnitt nicht zu stoppen. Gegen New Orleans traf er kurz vor Ende fast alles. Und das, obwohl der Druck in dieser Phase besonders hoch ist. Allgemein steht fest, dass Paul in fünf Spielen dieser Serie eine „Hot Hand“ hat, wenn man diese als mindestens vier Treffer hintereinander definiert. „An diesem Beispiel wird die grundlegende Frage klar: Ist der Spieler besser als sein durchschnittliches Können und deshalb „on fire“? Oder übernimmt er einfach mit seiner Kompetenz und ruft diese standardmäßig ab“, sagt Altfeld.
In diesem Fall liegt die Wahrheit wahrscheinlich in der Mitte: Gegen New Orleans performte Paul selbst für seine Verhältnisse über und war “heiß”. Ein riesiger Ausreißer war dies aber auch nicht, denn Paul fängt meist erst im letzten Viertel an, selbst den Abschluss zu suchen. Beispielsweise hat er im 1. Spiel der Serie insgesamt 16 Mal geworfen – zehnmal im letzten Viertel. Über die Jahre ist sein Selbstbewusstsein zudem enorm gewachsen. Er wandelt also auf einem schmalen Grad zwischen Normalform und “Hot Hand”.
Beispiel 4: Giannis Antetokounmpo – “Cold Streaks” als Gegenteil zur “Hot Hand”?
Giannis Antetokounmpo ist einer der besten Spieler der Welt, schied aber in den NBA-Playoffs 2022 bereits in der zweiten Runde aus. Ein Grund dafür: Sein Co-Star Khris Middleton war verletzt und so lastete noch mehr Last auf dem Griechen, der meist nur durch Abschlüsse nah am Korb zu Punkten kommt.
Antetokounmpo ist ein Power-Scorer, der in den Playoffs 2022 im Schnitt auf 31,7 Punkte pro Spiel kommt. Kann so jemand, der kaum Würfe aus großer Entfernung nimmt, heiß laufen? “Wenn jemand sagt, dass Giannis heiß läuft, meint das meist etwas anderes als eine “Hot Hand”: Er trifft ja nicht unfassbar schwere Würfe, sondern zieht das Spiel an sich”, findet Sebastian Altfeld.
Eine “Hot Hand” ist bei Giannis also selten, er glänzt mit konstanten Leistungen. Allerdings ist auffällig, was passiert, wenn er “kalt” ist: Etliche Male traf der Grieche mindestens viermal in Serie nicht. Diese Cold-Streak lässt sich in der 2. Runde mit den Teamergebnissen in Verbindung setzten. Viermal, wenn Giannis solch eine “Cold-Streak” im Spiel hatte, verloren die Milwaukee Bucks.
Nur Spiel 1 gegen die Boston Celtics gewannen sie trotzdem. Es scheint also so, dass das Basketball-Niveau von Antetokounmpo sehr hoch ist und sein Team auf ihn angewiesen ist. Erst, wenn er nicht normal performt und „kalt“ ist, fällt dies auf. Eine “Hot Hand” ist dies aber nicht.
Fazit: Alles eine Frage der Definition
“Es ist immer die Frage, welches Konstrukt man als ,Hot Hand’ zur Rate zieht”, sagt Sebastian Altfeld. Der Blick in die Daten zeigt die Komplexität: Wenn vieles auf eine “heiße Hand” hindeutet, muss trotzdem immer die Normalform des Spielers berücksichtigt werden. Zumindest in den NBA-Playoffs 2022 lassen sich keine eindeutigen statistischen Belege finden.
Trefferfolgen sind somit nur teilweise geeignet, eine Auskunft über die”Hot Hand” zu geben. Vielmehr müssen für jeden einzelnen Wurf sämtliche Faktoren berücksichtigt werden, von denen die Wurfwahrscheinlichkeit mehr abhängt, als von dem Ergebnis des vorherigen Wurfs. Und trotzdem waren sich bei Maxi Klebers Dreier-Show gegen Utah alle Fans einig: Der ist “heiß”!
Datenquelle: www.basketball-reference.com
Grafiken: Ashish Saini, Tim Geisemann
Beitragsbild: picture alliance / REUTERS / USA Today Sports / Kevin Jairaj