Nickelbrille und Latzhose – so kennen wir Peter Lustig. Doch wer erneut einen Blick in alte Löwenzahn-Folgen wirft, entdeckt: Peter Lustig war mehr als nur ein Kindheitsheld. Er war seiner Zeit um Jahre voraus. Ein verspäteter Nachruf.
Der LKW-Fahrer öffnet die Motorhaube von Peter Lustigs Auto. Er schaut ungläubig auf die Batterie: „Irgendwo muss doch der Motor sein?“ Peter Lustig begleitet ihn um das Auto herum. „Ah, da ist ja der Einfüllstutzen“, freut sich der LKW-Fahrer, der sich etwas Sprit von Peter für seinen liegengebliebenen LKW erhofft. „Sehen Sie, das ist gar kein Einfüllstutzen“, sagt Peter dem Mann, der immer mehr den Glauben an die Welt verliert.
„Das ist eine Steckdose“, erklärt Peter, „das Auto hier nämlich läuft mit Strom. Mit dem Strom von den Batterien da vorne und die werden aufgeladen über diese Steckdose.“ Es ist das Jahr 1983 und Peter Lustig fährt in der Kinderserie Löwenzahn ein Elektroauto.
Aus Liebe zum Nachdenken
Bereits 1972 veröffentlicht der amerikanische Ökonom Dennis Meadows seinen damals bahnbrechenden Bericht zu den Grenzen des Wachstums. Seine These überspitzt: Wenn wir so weiter machen wie bisher, haben wir noch gut 100 Jahre auf diesem Planeten.
Es folgen Waldsterben, Ölkrisen und autofreie Sonntage. Die Umweltbewegung in Deutschland wächst und auch Peter Lustig, damals als Öko-Spinner beschimpft, denkt über Alternativen zum Verbrennungsmotor nach: „Ich glaube, dass es viel zu viele Autos gibt und dass wir viel zu viel Benzin verschwenden“, sagt Peter Lustig in der Löwenzahn-Folge „Nur ein Tropfen Öl“ aus dem Jahr 1983.
Aber anstatt an Verbote zu denken, grübelt der gelernte Rundfunkmechaniker über neue Antriebsformen: „Wenn wir nachdenken, dann kommen wir vielleicht auch mal auf ein Auto, das nicht stinkt und das kein Benzin braucht.” Und tatsächlich: Am Ende der Folge fährt Peter mit einem surrenden E-Auto vor.
Noch nicht marktfähig
Das kleine grüne Elektroauto von Peter ist ein Elektro-Golf I, der seit 1976 in Kleinstserie von 25 Stück gebaut wurde. Immerhin 60 Kilometer Reichweite gaben die verbauten Blei-Säure-Batterien her. Auch zum Ladesystem hatte sich VW bereits Gedanken gemacht. So sollten öffentliche Ladestationen in Parkuhren integriert werden und speziell für E-Autos reservierte Stellplätze geschaffen werden. Die Frage ist also: Warum hat sich seitdem so wenig bewegt?
„Alles Spielerei“, meint Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen. Die Technologie sei aus verschiedenen Gründen „nicht marktfähig“ gewesen. Hauptgrund dafür waren, so Dudenhöffer, die Blei-Säure-Batterien: „Viel zu kleine Reichweite, viel zu schwer und viel zu wenig Energieinhalt.“
Alles auf Elektro
Erst durch die modernen Lithium-Ionen Batterien war es dann Autobauern wie Tesla vor etwa zehn Jahren möglich, eine tatsächlich konkurrenzfähige Alternative zum Verbrennungsmotor zu entwickeln. In Verbindung mit der immer größeren CO2-Debatte und den Vorgaben der Politik erhöht sich nun der Druck auf die Autoindustrie. Aber kommt es in den nächsten Jahren tatsächlich zum Durchbruch für die E-Autos?
„Regulierungsgetrieben, ja“, meint Dudenhöffer. Einerseits seien die neuen CO2-Vorschriften der EU für die Autohersteller nur durch Elektroautos zu erfüllen. Anderseits würden auf dem größten Automarkt der Welt in China immer weniger Autos mit Verbrennungsmotor zugelassen.
Deshalb investiere etwa VW nun auch massiv in die Elektromobilität. Über 35 Jahre nachdem Peter Lustig den Golf I CitySTROMer fuhr, stellte VW mit dem ID.3 in diesem Jahr seinen VolksStromer vor. Insgesamt 22 Millionen Elektroautos will der Konzern in den nächsten zehn Jahren verkaufen. 2040 soll dann endgültig Schluss sein mit den Benzin- und Dieselautos.
Bis heute erscheint die Technologie jedoch vielen Autokäufern als nicht alltagstauglich: Zu wenige Lademöglichkeiten, zu teuer in der Anschaffung und zu geringe Reichweite. Doch Dudenhöffer ist sich sicher: Die Verbraucher werden umsteigen und die Zukunft des Autos „wird elektrisch sein.“ Peter Lustig fuhr die Zukunft schon 1983.
Kaum jemand anders hat Generationen von Kindern so sehr geprägt wie Peter Lustig. Knapp 28 Jahre lang war Peter Lustig in seiner blauen Latzhose im ZDF zu sehen und erklärte Klein und Groß die Welt. „Ich kann nur eine Rolle und das ist der Lustig“, sagte er in der NDR Talkshow. Diese authentische Seite kam auch bei den Kindern an. Spätestens wenn das Intro von Löwenzahn erklingt, kommen wohl bei den meisten Erinnerungen an die Kindheit hoch. „Ohne Peter wär ich nicht ans Biostudium gekommen, glaube ich… Danke, Peter :)!“, heißt es in einem Kommentar unter einer Löwenzahn-Folge bei YouTube.
Peter Lustig hasste Kinder übrigens nicht, auch wenn sich das Gerücht bis heute hartnäckig hält. Der Journalist Kai Biermann, der indirekt für das Gerücht sorgte, entschuldigte sich nach Peter Lustigs Tod vor über drei Jahren: „Lieber, verehrter Peter Lustig, es tut mir leid.“
„Ich habe ihn auch sehr geliebt die ganzen Jahre“, sagte Peter Lustig bei Markus Lanz über seinen blauen Bauwagen. So sehr, dass er zeitweise auch dort übernachtete. „Es war sehr praktisch. Da kam morgens das Team und ich war schon da.“ Schließlich war der Bauwagen auch voll funktional eingerichtet: Kochplatte, Bett, Tisch und jede Menge Krimskrams. „Alles zusammen in einem Wagen und wenn man will kann man mit vereisen. Das ist doch toll.“ Heute steht der Bauwagen im Filmpark Babelsberg.
“Die kleinen Kinder haben auch schon mal Angst vor mir“, sagte Schauspieler Helmut Krauss über sich und seine Rolle des Nachbarn Paschulke. Er war der faule, etwas übergewichtige Sidekick von Peter Lustig. „Herr Lustig, kann man das nicht einfacher haben?“, war eine dieser Frage von Nachbar Paschulke, wenn die beiden etwas erforschten. „Aber Herr Paschulke“, konnte dann Peter Lustig erwidern und nicht nur ihm, sondern auch den Zuschauern einen Sachverhalt erklären. Über die Jahre wurde der Nachbar Paschulke so zum festen Teil von Löwenzahn. Auch noch nach dem Ausscheiden von Peter Lustig. In diesem Jahr verstarb nun auch Helmut Krauss.
Am Ende jeder Folge hieß es: Abschalten! Heutzutage heißt es dank Social Media meist: Kommentiert! Liked! Teilt! Und abonnieren nicht vergessen! Kein Wunder also, dass auch Peter Lustigs Nachfolger Guido Hammesfahr nicht mehr Abschalten sagt. Dabei sei es „sehr sehr wichtig, jetzt gerade wo die Kinder überschüttet werden mit Informationen (…), dass sie mal wieder raus gehen. Wieder in die Natur oder sonst wohin“, sagte Peter Lustig noch vor seinem Tod.
Warum ist denn das alles verpackt?
Ähnlich futuristisch wie Peters Ideen zur Mobilität war auch sein Einkaufsverhalten. „Nun guckt euch an, was hier alles aufgetürmt ist. Verpackungen, nichts als Verpackungen“, sagt Peter Lustig, während er seinen Einkaufswagen an den Regalen des Supermarktes entlang schiebt. Peter Lustig beißt auf eine Scheibe Käse: „Igitt, wie schmeckt denn das! Achso, da ist nochmal was drum. Nochmal Plastik.“ Scheiblettenkäse – auch in der Löwenzahn-Folge „Lauter alte Schachteln“ von 1983 ausschließlich einzeln verpackt.
Schon damals ärgerte sich Peter Lustig über den Verpackungswahn: „Alles, was man hier zum Essen und Trinken braucht, ist verpackt. Aber nicht mehr für mich!” Peter schnappt sich seinen Wagen und greift sich ein Produkt nach dem nächsten. Zehn Eier? Viel zu viel. Er braucht nur zwei. Mehl? Ja, aber nicht so viel und füllt es in seine mitgebrachte Box. Waschpulver? Ja, mein Gott so viel. Eine große Hand voll reicht. Peter macht den Supermarkt zu so einer Art Unverpacktladen. Seit 2014 bieten diese Läden der Zero Waste Bewegung Lebensmittel ohne Verpackung zum eigenen Abfüllen an. 1983 kommt die Idee weniger gut an. Peter wird aus dem Supermarkt geworfen und geht lieber auf den Markt.
Wenn man sich hier so umsieht auf dem Markt, da merkt man, dass eigentlich eine ganze Menge Lebensmittel von Natur aus ganz fabelhaft verpackt sind. Zum Beispiel so ne Gurke.
Eingeholt von der Realität
Es sind genau diese Sätze, die den Blick in die alten Löwenzahn-Folgen so reizvoll machen. Da steht Peter Lustig in einem körnigen 4:3 Video in einer längst vergangenen Welt und spricht zu uns, als würde er die aktuelle Umweltdebatte kommentieren. Als hätte sich absolut nichts getan.
Ein weiteres Beispiel: Das Insektensterben. Während die Politik heute über ein Verbot von Laubbläsern diskutiert, philosophierte Peter bereits 1985 in seiner Hängematte über das selbe Thema. Selbstverständlich lasse er das Fallobst und das Laub in seinem Garten liegen, verkündet er seinen Zuschauern. „Denn unter dem Laub gibt es eine Menge kleiner Tiere.“ Regenwürmer und andere Insekten leben von dem Laub und das ist auch gut für die Vögel. Umweltschutz heruntergebrochen in eine verständliche Analogie und komprimiert in kindgerechte Sprache: Das war die Kunst von Peter Lustig.
Vermittler zwischen Wissenschaft und Publikum
Peter Lustig hat sich dabei selbst immer als Vermittler zwischen Fachleuten und Publikum verstanden: „Jemand, der von nichts richtig Ahnung hat, der aber so lange fragt, bis er alles versteht. Und dann kann ich es weitergeben, und zwar so, dass es auch Kinder verstehen können.“ Mit dieser Neugierde arbeitet sich Peter naiv wie ein Kind durch die moralischen Fallstricke der Konsumgesellschaft.
Warum wird denn das Getreide nicht direkt zu Brot, Kuchen, Nudeln oder Müsli verarbeitet anstatt es an die Tiere zu verfüttern?, fragt sich Peter in der Folge „Eine Ess- und Fressgeschichte“. Das sei doch ein Umweg. Ohne die Massentierhaltung „würden viel mehr Menschen satt werden.“ Häufig beginnen die Löwenzahn-Folgen genau mit diesen einfachen Fragen und verwandeln sich mit jeder Antwort in schon fast trotzigen Widerstand.
„Eine Schande ist das!“, meint Peter zum Insektensterben. „Was ist überhaupt ein Unkraut oder ein Kraut?“, fragt Peter am Anfang der Folge „Der Unkrautgärtner“. Seine Antwort wenig später: Unkraut gibt es nicht. „Jede Pflanze soll da wachsen wo sie will. Die Tiere haben sich schließlich drauf eingerichtet. Da können wir doch nicht einfach daherkommen und sagen:
Das ist ein Unkraut. Das muss weg. Ne, ne. Das mache ich nicht mehr mit!
Abschalten?
Was Peter, wenn er noch lebte, den Kindern wohl heute sagen würde? Die Lage hat sich seit den 80er Jahren in den angesprochenen Umweltthemen eher verschlechtert. Allein die Zahl der SUVs weltweit hat sich seit 2010 mehr als verfünffacht. Das Bienensterben ist in Teilen der Erde so weit vorangeschritten, dass Blüten per Hand bestäubt werden müssen. Coffee to go und Lieferservice sorgen für nie dagewesene Mengen von Verpackungsmüll und die Liste ließe sich problemlos weiterführen. „Abschalten!“, forderte Peter Lustig den Zuschauer am Ende jeder Folge auf. Gemeint war damit der Fernseher, aber auch selbst aktiv zu werden.
Selbst aktiv werden und handeln!
Genauso aktiv wie auch Peter Lustig am Ende der Folge zum Insektensterben. Dort beginnt er nämlich die Samen “von allem, was die Leute so Unkraut nennen“ zu sammeln und dort zu verstreuen, wo „so hässliche, braune, kahle Vierecke“ um die Bäume sind. Und um dem Unkraut auch wirklich zu helfen, fordert Peter die Kinder dazu auf, bei ihnen in der Straße das Gleiche zu tun: „Macht doch mal ein Foto und schickt es mir!“ Urban Gardening sagt man dazu heute. 1985 steckte es noch in den Kinderschuhen.
Sich für die Umwelt über Grenzen hinwegsetzen – die Idee ist heute durch “Fridays for Future“ und Aktionen junger Umweltaktivisten in ganz andere Dimensionen gewachsen. Vielleicht auch dank eines Kindheitshelden und Visionärs: Peter Lustig.
Aus urheberrechtlichen Gründen dürfen die Ausschnitte hier leider nicht eingebunden werden. Die Folgen lassen sich aber ohne Probleme online finden:
Lauter alte Schachteln, Deutsche Erstausstrahlung: So 20.03.1983
Der Unkrautgärtner, Deutsche Erstausstrahlung: So 16.06.1985
Eine Ess- und Fressgeschichte, Deutsche Erstausstrahlung: Mo 04.03.1996
Nur ein Tropfen Öl, Deutsche Erstausstrahlung: So 23.01.1983
Beitragsbild: ZDF/Christiane Pausch