Kommentar: Liebe EU, wie begründest du deine ambivalente Flüchtlingspolitik?

Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges sind Millionen Ukrainer*innen auf der Flucht. In der EU haben sie die Möglichkeit zu arbeiten, zu wohnen und sich weiterzubilden. Das ist auch gut so und notwendig. Doch jene Solidarität bringt die EU Geflüchteten aus anderen Ländern nicht entgegen. Um ihre Glaubwürdigkeit beizubehalten, muss die EU ihre Flüchtlingspolitik verändern. Ein Kommentar.

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zwingt seit dem 24. Februar Millionen Ukrainer*innen zur Flucht. Nach Angaben der UN refugee agency ist es bereits mehr als ein Viertel der ukrainischen Bevölkerung. Viele Ukrainer*innen suchen in EU-Staaten nach Schutz. So zählt Deutschland mehr als 400.000 Kriegsflüchtige, wenn auch die Dunkelziffer wahrscheinlich deutlich höher ist.

Die Hilfe der EU für die Geflüchteten läuft dabei untypischerweise vorbildlich ab. So scheinen sich alle EU-Länder auf einmal einig zu sein, dass vor dem Krieg fliehenden Menschen Hilfe entgegengebracht werden sollte und eine zynische, nationalzentrierte Politik nicht zu rechtfertigen ist.  Gemäß einer europäischen Flüchtlingsrichtlinie dürfen die Kriegsflüchtigen bis zu drei Jahre in der EU bleiben. Sie haben die Möglichkeit in einem jeweiligen Land zu wohnen, zu arbeiten und Bildung zu beanspruchen. Genauso so sollte es sein: Eine Flüchtlingspolitik auf Augenhöhe.

Doch das aktuell menschenrechtswürdige Verhalten darf nicht zu dem Denken führen, dass die Mitgliedsstaaten plötzlich zu den Samaritern Geflüchteter geworden sind. Zumindest nicht für alle.

Guter Flüchtling, schlechter Flüchtling?

Neben aktueller Solidarität und Anteilnahme zeigt sich in der Flüchtlingspolitik der letzten Jahre eine Abstumpfung und Überforderung der Mitgliedsstaaten, die nicht gemeistert werden möchte. Dafür reicht schon ein Blick nach Polen. Denn während der Mitgliedstaat täglich tausende Ukrainer*innen willkommen heißt, sterben einige Kilometer weiter andere Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze – wegen Hunger, Kälte oder Erschöpfung.

Wie die Ukrainer*innen fliehen diese Menschen vor Krieg und Leid. Nur stammen sie aus Ländern wie dem Irak, Jemen und Afghanistan. Nach Polen sollen sie nach Auffassung der polnischen Regierung aber nicht gelangen.

Zeitgleich und beinahe vergessen verharren Geflüchtete in überfüllten Camps in Griechenland aus, während andere tagtäglich im Mittelmeer ertrinken. Es zeichnet sich ein ambivalentes Bild der EU, das auch vor dem Asylgesuch in den jeweiligen Ländern keinen Halt macht. Insbesondere als sich die Bundesregierung entschieden hat, ukrainischen Geflüchteten ein Studium ohne Abschluss zu ermöglichen, ging ein Schub der Enttäuschung durch Social Media. Keinesfalls weil es unfair ist, Menschen die Möglichkeit zur Weiterbildung zu geben. Sondern vielmehr, weil Geflüchtete aus anderen Ländern diese Chancen nicht haben oder ihnen sogar Abschlüsse aberkannt werden.

 

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Die zwei Gesichter der EU

In dem auseinanderklaffenden Umgang mit Geflüchteten zwingt sich die Frage nach dem ‚warum‘ auf. Dabei wird offensichtlich, dass die EU Geflüchtete mit zweierlei Maß misst. Maßstab ist dabei ein vermeintliches westliches Wertesystem, das von Rassismus und Ignoranz durchzogen ist. Es ist jener Rassismus, den selbst schwarze Ukrainer*innen an der polnischen Grenze zu spüren bekommen müssen.

Einen solch ambivalenten Umgang mit Menschen verschiedener Nationen kann die EU nicht rechtfertigen. Andersbehandlung überhaupt am Herkunftsland, der Religion oder der Kultur festmachen zu wollen, widerspricht alldem wofür die EU als Verteidigerin der Demokratie steht.

Um ihre Glaubwürdigkeit zu behalten, muss die EU endlich einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik anstreben. Dabei ist es das Allermindeste, dass im Umgang mit Geflüchteten europäische Rechte eingehalten und Menschenrechtsverletzungen belangt werden. Das heißt auch, den Vorwürfen von illegalen Pushbacks an der polnisch-belarussischen Grenze, in Ungarn oder Griechenland weiter nachzugehen und die polnische Regierung neben verbaler Kritik wirksam zu zur Verantwortung zu ziehen.

Pushbacks - Was war das nochmal?

Der Begriff „Pushback“ bezeichnet die Praxis, Flüchtende an den Grenzen Europas zurückzuweisen.  Nach der europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechtscharta sind Pushbacks illegal. Denn nach geltendem EU-Recht haben Asylbewerber*innen das Recht, einen Asylantrag in einem EU-Land zu stellen.

Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bereits Kroatien wegen illegaler Pushbacks verurteilt. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch werfen Polen, Ungarn und Griechenland ebenfalls die Durchführung der menschenrechtsverletzenden Praxis vor.

Langfristige Solidarität als Leitbild

Es braucht aber auch dringend grundlegende Veränderungen im Umgang mit Geflüchteten. Angenehmerweise können sich die Mitgliedsstaaten an ihrem eigene Verhalten gegenüber ukrainischen Geflüchteten ein Vorbild nehmen. Denn der bittere Krieg zeigt, dass unbürokratische Lösungen möglich sind. Dass man Geflüchteten grundlegende Rechte, wie Arbeit und Wohnraum zusprechen kann, ohne dass dies eine Bedrohung für eine bestehende Gesellschaft darstellen könnte.

Vor allem sollten die Mitgliedsstaaten aber eins mitnehmen: Krisen erfordern Zusammenhalt und Solidarität. Mit dieser Solidarität und Hilfsbereitschaft sollte langfristig jedem Geflüchteten begegnet werden, unabhängig des Herkunftslandes.

Foto: Pixabay 

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